In Vorstehendem wurde zu zeigen versucht, welcher Art das Ma- terial war, welches einer wissenschaftlichen Bearbeitung etwa zu unter- werfen gewesen wäre. Es frägt sich aber nun zunächst, ob und in welcher Weise die Culturverhältnisse jener Zeit überhaupt eine solche Verwerthung möglich erscheinen ließen. Es wurde früher auf die Ent- wickelung der Philosophie und die Stellung der Natur in ihrem Sy- steme hingewiesen. Aus den Fortschritten derselben allein würde sich kaum die Wiederaufnahme zoologischer Beobachtungen erklären lassen. Es ist daher nöthig, die andern einer solchen günstigen und wichtigen Momente kurz zu besprechen, ehe die Hauptwerke des dreizehnten Jahr- hunderts eingehender erörtert werden können.
Vor Allem war es für die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Er- fassung der Natur, besonders des belebten, mit geistigen Kräften und freiem Willen begabten Thierreichs verderblich, daß die Gelehrsamkeit früher ausschließlich in den Händen der Geistlichkeit geblieben war, da- neben aber eigentliche Forschung noch immer fehlte. Was die Philoso- phie an weiterem Ausbau und Zuwachs erhielt, betraf fast einzig und allein die metaphysische Begründung des Glaubensgehaltes, welcher aber nicht etwa selbständig philosophisch aufgerichtet, sondern fertig und abgeschlossen dem Klerus überliefert wurde. Dabei war natürlich an eine unbefangene Stellung des menschlichen Geistes der Natur gegen- über, als einem zu erklärenden Gegenstande nicht zu denken. Es hatte sich ferner die Geistlichkeit nicht bloß, wie früher angedeutet wurde, von der Laienwelt stillschweigend abgelöst, so daß sie mit den von ihr ver- tretenen Ideen dem übrigen Volke selbst dann noch fremd gegenüber- stand, als das persönliche Verhältniß der beiden Elemente durch die Ausbreitung der Bettelorden ein näheres geworden war, sondern es mußte der Kampf zwischen der Hierarchie und weltlichen Macht, welcher im dreizehnten Jahrhundert (wie zum Theil schon im zwölften) zur Emancipation und Oberherrschaft des Pabstthums führte, den Abstand noch fühlbarer machen.
Das dreizehnte Jahrhundert.
In Vorſtehendem wurde zu zeigen verſucht, welcher Art das Ma- terial war, welches einer wiſſenſchaftlichen Bearbeitung etwa zu unter- werfen geweſen wäre. Es frägt ſich aber nun zunächſt, ob und in welcher Weiſe die Culturverhältniſſe jener Zeit überhaupt eine ſolche Verwerthung möglich erſcheinen ließen. Es wurde früher auf die Ent- wickelung der Philoſophie und die Stellung der Natur in ihrem Sy- ſteme hingewieſen. Aus den Fortſchritten derſelben allein würde ſich kaum die Wiederaufnahme zoologiſcher Beobachtungen erklären laſſen. Es iſt daher nöthig, die andern einer ſolchen günſtigen und wichtigen Momente kurz zu beſprechen, ehe die Hauptwerke des dreizehnten Jahr- hunderts eingehender erörtert werden können.
Vor Allem war es für die Möglichkeit einer wiſſenſchaftlichen Er- faſſung der Natur, beſonders des belebten, mit geiſtigen Kräften und freiem Willen begabten Thierreichs verderblich, daß die Gelehrſamkeit früher ausſchließlich in den Händen der Geiſtlichkeit geblieben war, da- neben aber eigentliche Forſchung noch immer fehlte. Was die Philoſo- phie an weiterem Ausbau und Zuwachs erhielt, betraf faſt einzig und allein die metaphyſiſche Begründung des Glaubensgehaltes, welcher aber nicht etwa ſelbſtändig philoſophiſch aufgerichtet, ſondern fertig und abgeſchloſſen dem Klerus überliefert wurde. Dabei war natürlich an eine unbefangene Stellung des menſchlichen Geiſtes der Natur gegen- über, als einem zu erklärenden Gegenſtande nicht zu denken. Es hatte ſich ferner die Geiſtlichkeit nicht bloß, wie früher angedeutet wurde, von der Laienwelt ſtillſchweigend abgelöſt, ſo daß ſie mit den von ihr ver- tretenen Ideen dem übrigen Volke ſelbſt dann noch fremd gegenüber- ſtand, als das perſönliche Verhältniß der beiden Elemente durch die Ausbreitung der Bettelorden ein näheres geworden war, ſondern es mußte der Kampf zwiſchen der Hierarchie und weltlichen Macht, welcher im dreizehnten Jahrhundert (wie zum Theil ſchon im zwölften) zur Emancipation und Oberherrſchaft des Pabſtthums führte, den Abſtand noch fühlbarer machen.
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Das dreizehnte Jahrhundert.
In Vorſtehendem wurde zu zeigen verſucht, welcher Art das Ma-
terial war, welches einer wiſſenſchaftlichen Bearbeitung etwa zu unter-
werfen geweſen wäre. Es frägt ſich aber nun zunächſt, ob und in
welcher Weiſe die Culturverhältniſſe jener Zeit überhaupt eine ſolche
Verwerthung möglich erſcheinen ließen. Es wurde früher auf die Ent-
wickelung der Philoſophie und die Stellung der Natur in ihrem Sy-
ſteme hingewieſen. Aus den Fortſchritten derſelben allein würde ſich
kaum die Wiederaufnahme zoologiſcher Beobachtungen erklären laſſen.
Es iſt daher nöthig, die andern einer ſolchen günſtigen und wichtigen
Momente kurz zu beſprechen, ehe die Hauptwerke des dreizehnten Jahr-
hunderts eingehender erörtert werden können.
Wiederauftritt des Ariſtoteles.
Vor Allem war es für die Möglichkeit einer wiſſenſchaftlichen Er-
faſſung der Natur, beſonders des belebten, mit geiſtigen Kräften und
freiem Willen begabten Thierreichs verderblich, daß die Gelehrſamkeit
früher ausſchließlich in den Händen der Geiſtlichkeit geblieben war, da-
neben aber eigentliche Forſchung noch immer fehlte. Was die Philoſo-
phie an weiterem Ausbau und Zuwachs erhielt, betraf faſt einzig und
allein die metaphyſiſche Begründung des Glaubensgehaltes, welcher
aber nicht etwa ſelbſtändig philoſophiſch aufgerichtet, ſondern fertig und
abgeſchloſſen dem Klerus überliefert wurde. Dabei war natürlich an
eine unbefangene Stellung des menſchlichen Geiſtes der Natur gegen-
über, als einem zu erklärenden Gegenſtande nicht zu denken. Es hatte
ſich ferner die Geiſtlichkeit nicht bloß, wie früher angedeutet wurde, von
der Laienwelt ſtillſchweigend abgelöſt, ſo daß ſie mit den von ihr ver-
tretenen Ideen dem übrigen Volke ſelbſt dann noch fremd gegenüber-
ſtand, als das perſönliche Verhältniß der beiden Elemente durch die
Ausbreitung der Bettelorden ein näheres geworden war, ſondern es
mußte der Kampf zwiſchen der Hierarchie und weltlichen Macht, welcher
im dreizehnten Jahrhundert (wie zum Theil ſchon im zwölften) zur
Emancipation und Oberherrſchaft des Pabſtthums führte, den Abſtand
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/212>, abgerufen am 24.11.2024.
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