Ideen jener Zeiten, sondern besonders auf die epochemachenden Werke des dreizehnten Jahrhunderts ein irgend wahrnehmbarer gewesen wäre. Es werden später die Quellen der letzteren einer Erörterung zu unter- werfen sein. Was das erstere betrifft, so ist an Folgendes zu erinnern. Die zoologische Bildung und die dieselbe allein oder vorzugsweise tra- gende ärztliche Wissenschaft war in den Händen der Araber und gieng von ihnen auf die jüdischen Schulen des südlichen Mitteleuropa's über. Diesen Weg hatte auch Aristoteles gefunden. Sollte Plinius einen gleichen Einfluß gehabt haben, so müßte auch er den Arabern bekannt gewesen und von ihnen im Abendlande weiter verbreitet worden sein.
Fabricius führt in seiner Bibliotheca latina eine arabische Uebersetzung des Plinius von Honiam, d. h. wohl von Joannitius (Abu Said Honein ben Ishak) an; diese existirt aber sicher nicht. Dagegen kommen häufig in arabischen Schriftstellern Verweisungen auf einen gewissen Belinas oder Belinus oder Bolonius, je nach der verschiedenen Vocalisation, vor. Von ihm werden verschiedene Schrif- ten angeführt, so ein Buch: das Geheimniß der Natur, ein Buch der Eigenschaften, ein Buch der Ursachen, ein Buch von den sieben Kör- pern (d. i. Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Blei, "chinesisches Eisen" und Zinn)114) und in Kazwini's Schrift noch ein Buch: die besondern Eigenthümlichkeiten der Thiere (Chawass el-Haiwan). Hier an Plinius zu denken, lag aus mehreren Gründen nahe. Das Geheimniß (Sir) der Natur konnte leicht in eine Geschichte (Siar) der Natur übergehen. Die Umwandlung des Namens konnte keine Schwierigkeit machen. Aus dem Alterthum war kein andrer Schriftsteller ähnlichen Namens und gleicher Richtung bekannt. Und daß dieser sogenannte Plinius eine von dem historischen verschiedene halb mythische Person geworden war, die zu den sieben Weisen gerechnet wurde, der Lehrer Alexanders des Großen gewesen sein sollte u. s. w., konnte bei Orientalen, welche Rom nicht kannten, sondern unter ihrem "Rum" Constantinopel ver-
114) Im Hadschi Khalfa (Ausgabe von Flügel, Bd. 2. S. 48) wird ange- führt, daß Aidemir ben Ali Dschildeki dieses Buch commentirt habe (14. Jahrhun- dert). Die Astrologia apotelesmatica des Apollonius übersetzte Honein ben Ishak in's Arabische. vergl. Wenrich, a. a. O. S. 240. 239.
Die Zoologie des Mittelalters.
Ideen jener Zeiten, ſondern beſonders auf die epochemachenden Werke des dreizehnten Jahrhunderts ein irgend wahrnehmbarer geweſen wäre. Es werden ſpäter die Quellen der letzteren einer Erörterung zu unter- werfen ſein. Was das erſtere betrifft, ſo iſt an Folgendes zu erinnern. Die zoologiſche Bildung und die dieſelbe allein oder vorzugsweiſe tra- gende ärztliche Wiſſenſchaft war in den Händen der Araber und gieng von ihnen auf die jüdiſchen Schulen des ſüdlichen Mitteleuropa's über. Dieſen Weg hatte auch Ariſtoteles gefunden. Sollte Plinius einen gleichen Einfluß gehabt haben, ſo müßte auch er den Arabern bekannt geweſen und von ihnen im Abendlande weiter verbreitet worden ſein.
Fabricius führt in ſeiner Bibliotheca latina eine arabiſche Ueberſetzung des Plinius von Honiam, d. h. wohl von Joannitius (Abu Said Honein ben Iſhak) an; dieſe exiſtirt aber ſicher nicht. Dagegen kommen häufig in arabiſchen Schriftſtellern Verweiſungen auf einen gewiſſen Belinas oder Belinus oder Bolonius, je nach der verſchiedenen Vocaliſation, vor. Von ihm werden verſchiedene Schrif- ten angeführt, ſo ein Buch: das Geheimniß der Natur, ein Buch der Eigenſchaften, ein Buch der Urſachen, ein Buch von den ſieben Kör- pern (d. i. Gold, Silber, Kupfer, Eiſen, Blei, „chineſiſches Eiſen“ und Zinn)114) und in Kazwini's Schrift noch ein Buch: die beſondern Eigenthümlichkeiten der Thiere (Chawass el-Haiwân). Hier an Plinius zu denken, lag aus mehreren Gründen nahe. Das Geheimniß (Sir) der Natur konnte leicht in eine Geſchichte (Siar) der Natur übergehen. Die Umwandlung des Namens konnte keine Schwierigkeit machen. Aus dem Alterthum war kein andrer Schriftſteller ähnlichen Namens und gleicher Richtung bekannt. Und daß dieſer ſogenannte Plinius eine von dem hiſtoriſchen verſchiedene halb mythiſche Perſon geworden war, die zu den ſieben Weiſen gerechnet wurde, der Lehrer Alexanders des Großen geweſen ſein ſollte u. ſ. w., konnte bei Orientalen, welche Rom nicht kannten, ſondern unter ihrem „Rum“ Conſtantinopel ver-
114) Im Hadſchi Khalfa (Ausgabe von Flügel, Bd. 2. S. 48) wird ange- führt, daß Aidemir ben Ali Dſchildeki dieſes Buch commentirt habe (14. Jahrhun- dert). Die Astrologia apotelesmatica des Apollonius überſetzte Honein ben Iſhak in's Arabiſche. vergl. Wenrich, a. a. O. S. 240. 239.
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Die Zoologie des Mittelalters.
Ideen jener Zeiten, ſondern beſonders auf die epochemachenden Werke
des dreizehnten Jahrhunderts ein irgend wahrnehmbarer geweſen wäre.
Es werden ſpäter die Quellen der letzteren einer Erörterung zu unter-
werfen ſein. Was das erſtere betrifft, ſo iſt an Folgendes zu erinnern.
Die zoologiſche Bildung und die dieſelbe allein oder vorzugsweiſe tra-
gende ärztliche Wiſſenſchaft war in den Händen der Araber und gieng
von ihnen auf die jüdiſchen Schulen des ſüdlichen Mitteleuropa's über.
Dieſen Weg hatte auch Ariſtoteles gefunden. Sollte Plinius einen
gleichen Einfluß gehabt haben, ſo müßte auch er den Arabern bekannt
geweſen und von ihnen im Abendlande weiter verbreitet worden ſein.
Fabricius führt in ſeiner Bibliotheca latina eine arabiſche
Ueberſetzung des Plinius von Honiam, d. h. wohl von Joannitius
(Abu Said Honein ben Iſhak) an; dieſe exiſtirt aber ſicher nicht.
Dagegen kommen häufig in arabiſchen Schriftſtellern Verweiſungen
auf einen gewiſſen Belinas oder Belinus oder Bolonius, je nach der
verſchiedenen Vocaliſation, vor. Von ihm werden verſchiedene Schrif-
ten angeführt, ſo ein Buch: das Geheimniß der Natur, ein Buch der
Eigenſchaften, ein Buch der Urſachen, ein Buch von den ſieben Kör-
pern (d. i. Gold, Silber, Kupfer, Eiſen, Blei, „chineſiſches Eiſen“
und Zinn) 114) und in Kazwini's Schrift noch ein Buch: die beſondern
Eigenthümlichkeiten der Thiere (Chawass el-Haiwân). Hier an Plinius
zu denken, lag aus mehreren Gründen nahe. Das Geheimniß (Sir)
der Natur konnte leicht in eine Geſchichte (Siar) der Natur übergehen.
Die Umwandlung des Namens konnte keine Schwierigkeit machen.
Aus dem Alterthum war kein andrer Schriftſteller ähnlichen Namens
und gleicher Richtung bekannt. Und daß dieſer ſogenannte Plinius eine
von dem hiſtoriſchen verſchiedene halb mythiſche Perſon geworden war,
die zu den ſieben Weiſen gerechnet wurde, der Lehrer Alexanders des
Großen geweſen ſein ſollte u. ſ. w., konnte bei Orientalen, welche
Rom nicht kannten, ſondern unter ihrem „Rum“ Conſtantinopel ver-
114) Im Hadſchi Khalfa (Ausgabe von Flügel, Bd. 2. S. 48) wird ange-
führt, daß Aidemir ben Ali Dſchildeki dieſes Buch commentirt habe (14. Jahrhun-
dert). Die Astrologia apotelesmatica des Apollonius überſetzte Honein ben Iſhak
in's Arabiſche. vergl. Wenrich, a. a. O. S. 240. 239.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/187>, abgerufen am 16.02.2025.
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