tionalcharakter als in ihrer in diesem wurzelnden Religionsform Hin- dernisse genug für eine wirksame Behandlung einer von strenger Beo- bachtung ausgehenden und wenig Anhaltepunkte für abergläubische Phantastereien darbietenden Wissenschaft vorfanden. Dagegen ist die culturhistorische Bedeutung der Araber und besonders der Syrer, sowie ihr Verdienst um die Zoologie dadurch sicher begründet, daß sie dieselbe durch Aufnahme und spätere Uebermittelung der Schriften des Alterthums entwickelungsfähig hielten und ihr Wiederaufleben in einer Zeit ermög- lichten, wo die Geister sich kräftiger zu bewegen begannen, und daß sie besonders durch die Philosophie des Averroes, welche eine wissenschaft- liche Naturforschung denkbar werden ließ, zu eingehender Beschäftigung mit der Natur veranlaßt wurden. Freilich äußerte sich die letztere mehr in dem Durchsuchen und der theilweisen oder völligen Wiedergabe der Meisterwerke des Alterthums. Aber gerade dieser Umstand, daß jenes durch poetische Erhebung und religiösen Enthusiasmus so ausgezeichnete Zeitalter die letztern wieder erhielt, war von durchgreifender Wichtigkeit.
Das Hauptgewicht wurde bis jetzt auf die Kenntniß der aristote- lischen Schriften gelegt, wie ja zweifelsohne das Wiedererscheinen der- selben in der Bildungsgeschichte des Mittelalters den Eintritt einer neuen Periode bezeichnen muß. Nun wird aber einer weit verbreiteten Meinung zufolge häufig angeführt, Aristoteles habe sich im Mittelalter auf dem Gebiete der Zoologie mit Plinius in die Herrschaft getheilt. Es mag gleich hier bemerkt werden, daß allerdings seit dem dreizehnten Jahrhundert Plinius häufig gelesen wurde. In Süddeutschland war er schon im elften Jahrhundert113). Robert de Thorigny brachte ihn zu- erst 1189 nach dem Kloster Le Bec, wo hundert Jahre früher Lanfranc den Eifer für litterarisches Wissen geweckt hatte. Sein Ansehn stieg auch im Allgemeinen so, daß im fünfzehnten Jahrhundert für ihn in Brescia ein eigner Lehrstuhl gegründet wurde. Um aber jene Behaup- tung rechtfertigen zu können, müßte sich nachweisen lassen, daß der Ein- fluß des Plinius nicht bloß im Ganzen auf die naturgeschichtlichen
113)Ellinger, Abt von Tegernsee, zierte die Naturgeschichte des Plinius mit Figuren der Thiere. Frhr. von Freyberg, Aelteste Geschichte von Tegernsee. München, 1822. S. 179.
Die Zoologie der Araber.
tionalcharakter als in ihrer in dieſem wurzelnden Religionsform Hin- derniſſe genug für eine wirkſame Behandlung einer von ſtrenger Beo- bachtung ausgehenden und wenig Anhaltepunkte für abergläubiſche Phantaſtereien darbietenden Wiſſenſchaft vorfanden. Dagegen iſt die culturhiſtoriſche Bedeutung der Araber und beſonders der Syrer, ſowie ihr Verdienſt um die Zoologie dadurch ſicher begründet, daß ſie dieſelbe durch Aufnahme und ſpätere Uebermittelung der Schriften des Alterthums entwickelungsfähig hielten und ihr Wiederaufleben in einer Zeit ermög- lichten, wo die Geiſter ſich kräftiger zu bewegen begannen, und daß ſie beſonders durch die Philoſophie des Averroes, welche eine wiſſenſchaft- liche Naturforſchung denkbar werden ließ, zu eingehender Beſchäftigung mit der Natur veranlaßt wurden. Freilich äußerte ſich die letztere mehr in dem Durchſuchen und der theilweiſen oder völligen Wiedergabe der Meiſterwerke des Alterthums. Aber gerade dieſer Umſtand, daß jenes durch poetiſche Erhebung und religiöſen Enthuſiasmus ſo ausgezeichnete Zeitalter die letztern wieder erhielt, war von durchgreifender Wichtigkeit.
Das Hauptgewicht wurde bis jetzt auf die Kenntniß der ariſtote- liſchen Schriften gelegt, wie ja zweifelsohne das Wiedererſcheinen der- ſelben in der Bildungsgeſchichte des Mittelalters den Eintritt einer neuen Periode bezeichnen muß. Nun wird aber einer weit verbreiteten Meinung zufolge häufig angeführt, Ariſtoteles habe ſich im Mittelalter auf dem Gebiete der Zoologie mit Plinius in die Herrſchaft getheilt. Es mag gleich hier bemerkt werden, daß allerdings ſeit dem dreizehnten Jahrhundert Plinius häufig geleſen wurde. In Süddeutſchland war er ſchon im elften Jahrhundert113). Robert de Thorigny brachte ihn zu- erſt 1189 nach dem Kloſter Le Bec, wo hundert Jahre früher Lanfranc den Eifer für litterariſches Wiſſen geweckt hatte. Sein Anſehn ſtieg auch im Allgemeinen ſo, daß im fünfzehnten Jahrhundert für ihn in Brescia ein eigner Lehrſtuhl gegründet wurde. Um aber jene Behaup- tung rechtfertigen zu können, müßte ſich nachweiſen laſſen, daß der Ein- fluß des Plinius nicht bloß im Ganzen auf die naturgeſchichtlichen
113)Ellinger, Abt von Tegernſee, zierte die Naturgeſchichte des Plinius mit Figuren der Thiere. Frhr. von Freyberg, Aelteſte Geſchichte von Tegernſee. München, 1822. S. 179.
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Die Zoologie der Araber.
tionalcharakter als in ihrer in dieſem wurzelnden Religionsform Hin-
derniſſe genug für eine wirkſame Behandlung einer von ſtrenger Beo-
bachtung ausgehenden und wenig Anhaltepunkte für abergläubiſche
Phantaſtereien darbietenden Wiſſenſchaft vorfanden. Dagegen iſt die
culturhiſtoriſche Bedeutung der Araber und beſonders der Syrer, ſowie
ihr Verdienſt um die Zoologie dadurch ſicher begründet, daß ſie dieſelbe
durch Aufnahme und ſpätere Uebermittelung der Schriften des Alterthums
entwickelungsfähig hielten und ihr Wiederaufleben in einer Zeit ermög-
lichten, wo die Geiſter ſich kräftiger zu bewegen begannen, und daß ſie
beſonders durch die Philoſophie des Averroes, welche eine wiſſenſchaft-
liche Naturforſchung denkbar werden ließ, zu eingehender Beſchäftigung
mit der Natur veranlaßt wurden. Freilich äußerte ſich die letztere mehr
in dem Durchſuchen und der theilweiſen oder völligen Wiedergabe der
Meiſterwerke des Alterthums. Aber gerade dieſer Umſtand, daß jenes
durch poetiſche Erhebung und religiöſen Enthuſiasmus ſo ausgezeichnete
Zeitalter die letztern wieder erhielt, war von durchgreifender Wichtigkeit.
Das Hauptgewicht wurde bis jetzt auf die Kenntniß der ariſtote-
liſchen Schriften gelegt, wie ja zweifelsohne das Wiedererſcheinen der-
ſelben in der Bildungsgeſchichte des Mittelalters den Eintritt einer
neuen Periode bezeichnen muß. Nun wird aber einer weit verbreiteten
Meinung zufolge häufig angeführt, Ariſtoteles habe ſich im Mittelalter
auf dem Gebiete der Zoologie mit Plinius in die Herrſchaft getheilt.
Es mag gleich hier bemerkt werden, daß allerdings ſeit dem dreizehnten
Jahrhundert Plinius häufig geleſen wurde. In Süddeutſchland war er
ſchon im elften Jahrhundert 113). Robert de Thorigny brachte ihn zu-
erſt 1189 nach dem Kloſter Le Bec, wo hundert Jahre früher Lanfranc
den Eifer für litterariſches Wiſſen geweckt hatte. Sein Anſehn ſtieg
auch im Allgemeinen ſo, daß im fünfzehnten Jahrhundert für ihn in
Brescia ein eigner Lehrſtuhl gegründet wurde. Um aber jene Behaup-
tung rechtfertigen zu können, müßte ſich nachweiſen laſſen, daß der Ein-
fluß des Plinius nicht bloß im Ganzen auf die naturgeſchichtlichen
113) Ellinger, Abt von Tegernſee, zierte die Naturgeſchichte des Plinius
mit Figuren der Thiere. Frhr. von Freyberg, Aelteſte Geſchichte von Tegernſee.
München, 1822. S. 179.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/186>, abgerufen am 19.07.2024.
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