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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Stand des Wissens und der Cultur am Ende des zwölften Jahrh.
sind intellectuelle Begriffe Gottes, welche ewiges Sein haben. Da in-
dessen diese und ähnliche Ansichten für zu frei und dem orthodoxen Glau-
ben feindselig gehalten wurden, wandte sich der ganze Scharfsinn der
an aristotelischen Gesetzen groß gezogenen Dialektik dem Ausbau des
von Anselm zuerst mit Entschiedenheit betonten Grundsatzes zu, daß die
Erkenntniß auf dem Glauben beruhe. Hiermit war theologisch das Vor-
herrschen der platonischen Auffassung der Welt und Schöpfung gege-
ben, wissenschaftlich durch Zurücksetzung des Werthes unmittelbar sinn-
licher Erfahrung die Aussicht versperrt. Die ganze Ansicht Anselms
schließt sich noch eng an die Ueberlieferung der Kirchenväter an; es hat
sich daher noch lange nach ihm die Kirche gesträubt, dem immer drin-
gender werdenden Bedürfnisse nach Untersuchungen über den natür-
lichen Zusammenhang der Dinge von einer andern Seite her entsprechen
zu lassen, wie es erst nach dem Bekanntwerden des Aristoteles im drei-
zehnten Jahrhundert möglich wurde. Wie sehr die Erneuerung der Auf-
fassung der Natur im Sinne einer zunächst sinnlich gegebenen Erfah-
rung für das Wiederaufleben der Wissenschaft nothwendig war, geht
unter anderm auch aus dem negativen Resultate anderer abweichender
Bestrebungen hervor: es konnten weder der Rationalismus Abälard's
und Arnold's von Brescia, noch die orthodoxe Mystik Bernhard's von
Clairvaux und der Victoriner, besonders Hugo's76), von irgend wel-
chem Einfluß auf Anregung oder Erneuerung einer erweiterten Natur-
anschauung sein. Es wird sich daher später vorzüglich darum handeln,
das Eintreten der naturhistorischen Schriften des Aristoteles in den
Wissenskreis des Mittelalters und seine Wirkungen zu schildern. Da-
bei wird sich zeigen, wie nach verschiedenen, zum Theil für ihre Zeit
sehr glücklichen Versuchen, den Realismus mit dem Nominalismus zu
vereinigen, allmählich der letztere, wenn auch nicht immer unter dieser

76) Es mag hier auf die Schrift De bestiis hingewiesen werden, welche ge-
wöhnlich dem Hugo a S. Victore zugeschrieben wird und in dessen Opera (1516)
Tom. II. fol. CCXLI v.
sich findet. Sie ist indeß nach Casimir Oudin (Com-
ment. de Scriptor. eccles. Tom. II. p. 1107)
, dem die Herausgeber der Histoire
litter. de la France (Tom. XIII, p. 498
und Tom. XVI. p. 422) folgen, von
drei verschiedenen Verfassern, Hugo de Folieto, Alanus ab Insulis und Gulielmus
Perrotensis
.

Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des zwölften Jahrh.
ſind intellectuelle Begriffe Gottes, welche ewiges Sein haben. Da in-
deſſen dieſe und ähnliche Anſichten für zu frei und dem orthodoxen Glau-
ben feindſelig gehalten wurden, wandte ſich der ganze Scharfſinn der
an ariſtoteliſchen Geſetzen groß gezogenen Dialektik dem Ausbau des
von Anſelm zuerſt mit Entſchiedenheit betonten Grundſatzes zu, daß die
Erkenntniß auf dem Glauben beruhe. Hiermit war theologiſch das Vor-
herrſchen der platoniſchen Auffaſſung der Welt und Schöpfung gege-
ben, wiſſenſchaftlich durch Zurückſetzung des Werthes unmittelbar ſinn-
licher Erfahrung die Ausſicht verſperrt. Die ganze Anſicht Anſelms
ſchließt ſich noch eng an die Ueberlieferung der Kirchenväter an; es hat
ſich daher noch lange nach ihm die Kirche geſträubt, dem immer drin-
gender werdenden Bedürfniſſe nach Unterſuchungen über den natür-
lichen Zuſammenhang der Dinge von einer andern Seite her entſprechen
zu laſſen, wie es erſt nach dem Bekanntwerden des Ariſtoteles im drei-
zehnten Jahrhundert möglich wurde. Wie ſehr die Erneuerung der Auf-
faſſung der Natur im Sinne einer zunächſt ſinnlich gegebenen Erfah-
rung für das Wiederaufleben der Wiſſenſchaft nothwendig war, geht
unter anderm auch aus dem negativen Reſultate anderer abweichender
Beſtrebungen hervor: es konnten weder der Rationalismus Abälard's
und Arnold's von Brescia, noch die orthodoxe Myſtik Bernhard's von
Clairvaux und der Victoriner, beſonders Hugo's76), von irgend wel-
chem Einfluß auf Anregung oder Erneuerung einer erweiterten Natur-
anſchauung ſein. Es wird ſich daher ſpäter vorzüglich darum handeln,
das Eintreten der naturhiſtoriſchen Schriften des Ariſtoteles in den
Wiſſenskreis des Mittelalters und ſeine Wirkungen zu ſchildern. Da-
bei wird ſich zeigen, wie nach verſchiedenen, zum Theil für ihre Zeit
ſehr glücklichen Verſuchen, den Realismus mit dem Nominalismus zu
vereinigen, allmählich der letztere, wenn auch nicht immer unter dieſer

76) Es mag hier auf die Schrift De bestiis hingewieſen werden, welche ge-
wöhnlich dem Hugo a S. Victore zugeſchrieben wird und in deſſen Opera (1516)
Tom. II. fol. CCXLI v.
ſich findet. Sie iſt indeß nach Casimir Oudin (Com-
ment. de Scriptor. eccles. Tom. II. p. 1107)
, dem die Herausgeber der Histoire
littér. de la France (Tom. XIII, p. 498
und Tom. XVI. p. 422) folgen, von
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[149/0160] Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des zwölften Jahrh. ſind intellectuelle Begriffe Gottes, welche ewiges Sein haben. Da in- deſſen dieſe und ähnliche Anſichten für zu frei und dem orthodoxen Glau- ben feindſelig gehalten wurden, wandte ſich der ganze Scharfſinn der an ariſtoteliſchen Geſetzen groß gezogenen Dialektik dem Ausbau des von Anſelm zuerſt mit Entſchiedenheit betonten Grundſatzes zu, daß die Erkenntniß auf dem Glauben beruhe. Hiermit war theologiſch das Vor- herrſchen der platoniſchen Auffaſſung der Welt und Schöpfung gege- ben, wiſſenſchaftlich durch Zurückſetzung des Werthes unmittelbar ſinn- licher Erfahrung die Ausſicht verſperrt. Die ganze Anſicht Anſelms ſchließt ſich noch eng an die Ueberlieferung der Kirchenväter an; es hat ſich daher noch lange nach ihm die Kirche geſträubt, dem immer drin- gender werdenden Bedürfniſſe nach Unterſuchungen über den natür- lichen Zuſammenhang der Dinge von einer andern Seite her entſprechen zu laſſen, wie es erſt nach dem Bekanntwerden des Ariſtoteles im drei- zehnten Jahrhundert möglich wurde. Wie ſehr die Erneuerung der Auf- faſſung der Natur im Sinne einer zunächſt ſinnlich gegebenen Erfah- rung für das Wiederaufleben der Wiſſenſchaft nothwendig war, geht unter anderm auch aus dem negativen Reſultate anderer abweichender Beſtrebungen hervor: es konnten weder der Rationalismus Abälard's und Arnold's von Brescia, noch die orthodoxe Myſtik Bernhard's von Clairvaux und der Victoriner, beſonders Hugo's 76), von irgend wel- chem Einfluß auf Anregung oder Erneuerung einer erweiterten Natur- anſchauung ſein. Es wird ſich daher ſpäter vorzüglich darum handeln, das Eintreten der naturhiſtoriſchen Schriften des Ariſtoteles in den Wiſſenskreis des Mittelalters und ſeine Wirkungen zu ſchildern. Da- bei wird ſich zeigen, wie nach verſchiedenen, zum Theil für ihre Zeit ſehr glücklichen Verſuchen, den Realismus mit dem Nominalismus zu vereinigen, allmählich der letztere, wenn auch nicht immer unter dieſer 76) Es mag hier auf die Schrift De bestiis hingewieſen werden, welche ge- wöhnlich dem Hugo a S. Victore zugeſchrieben wird und in deſſen Opera (1516) Tom. II. fol. CCXLI v. ſich findet. Sie iſt indeß nach Casimir Oudin (Com- ment. de Scriptor. eccles. Tom. II. p. 1107), dem die Herausgeber der Histoire littér. de la France (Tom. XIII, p. 498 und Tom. XVI. p. 422) folgen, von drei verſchiedenen Verfaſſern, Hugo de Folieto, Alanus ab Inſulis und Gulielmus Perrotenſis.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/160>, abgerufen am 22.11.2024.