zum Theil zugänglich gebliebenen Philosophen des Altherthums anknü- pfend, als eine nothwendige Folge des reichlich zuströmenden Stoffes eintreten mußte. Daß hierbei die Kirche ihr Interesse vor allen Dingen zu wahren suchte, war eine eben so nothwendige Lebenserscheinung der- selben. In ihren Händen, nicht in denen der Laien lag die Pflege und die Erhaltung der Wissenschaft. Die gesammte Christenheit, "welche beständig auseinander zu fallen drohte", war in ihrer Vertretung und in ihrem Schutze gegen die zersetzenden Parteieinflüsse auf die Hierar- chie angewiesen. Da war denn das erste und natürlichste, daß einzelne Differenzpunkte, wie die bereits erwähnten Lehren Gottschalk's, des Paschasius Ratpertus, die späteren Streitigkeiten Berengar's von Tour u. a. ausgeglichen oder unterdrückt wurden. Wichtiger war, daß die ganze Philosophie eine bestimmte, der Kirche dienstbare Form erhielt. Nun war aber nicht bloß der gesammte, von den Kirchenvätern, Sy- noden und Concilen bestimmte, sich nach und nach vermehrende und abrundende Glaubensinhalt philosophisch zu begründen, sondern es galt vorzüglich auch, die platonische und aristotelische, die idealistische und rationalistische Ansicht von der Natur der Dinge zum Ausgleich zu bringen; -- ein Ausgleich, welcher auch für die Entwickelung der wis- senschaftlichen Erfassung der Natur von maßgebender Bedeutung sein mußte.
Das ganze Gewicht der Philosophie des Mittelalters, welche als mit der Theologie zusammenfallend angesehen wurde, wenn schon ein eigentliches Aufgehen derselben in letzterer nur vorübergehend zu erreichen war, galt der Lösung des durch Porphyrius und Boethius überlieferten Problems, ob die allgemeinen Begriffe der Arten und Gattungen eine von den wirklichen Dingen unabhängige Realität be- säßen oder ob sie nur als subjective Vorstellungen zu gelten hätten. Dies ist die Grundfrage der Scholastik. Die erste an Plato sich an- schließende Beantwortungsart stellt den von Wilhelm von Champeaux besonders vertretenen Realismus, die letztere den Nominalismus dar, dessen Erneuerer, Roscellinus, zum Widerruf seiner Lehre gezwungen wurde. Im Grunde war hiernach bereits Johannes Scotus Erigena Scholastiker. Ihm ist Gott die einzig wahre Substanz; alle Geschöpfe
Die Zoologie des Mittelalters.
zum Theil zugänglich gebliebenen Philoſophen des Altherthums anknü- pfend, als eine nothwendige Folge des reichlich zuſtrömenden Stoffes eintreten mußte. Daß hierbei die Kirche ihr Intereſſe vor allen Dingen zu wahren ſuchte, war eine eben ſo nothwendige Lebenserſcheinung der- ſelben. In ihren Händen, nicht in denen der Laien lag die Pflege und die Erhaltung der Wiſſenſchaft. Die geſammte Chriſtenheit, „welche beſtändig auseinander zu fallen drohte“, war in ihrer Vertretung und in ihrem Schutze gegen die zerſetzenden Parteieinflüſſe auf die Hierar- chie angewieſen. Da war denn das erſte und natürlichſte, daß einzelne Differenzpunkte, wie die bereits erwähnten Lehren Gottſchalk's, des Paſchaſius Ratpertus, die ſpäteren Streitigkeiten Berengar's von Tour u. a. ausgeglichen oder unterdrückt wurden. Wichtiger war, daß die ganze Philoſophie eine beſtimmte, der Kirche dienſtbare Form erhielt. Nun war aber nicht bloß der geſammte, von den Kirchenvätern, Sy- noden und Concilen beſtimmte, ſich nach und nach vermehrende und abrundende Glaubensinhalt philoſophiſch zu begründen, ſondern es galt vorzüglich auch, die platoniſche und ariſtoteliſche, die idealiſtiſche und rationaliſtiſche Anſicht von der Natur der Dinge zum Ausgleich zu bringen; — ein Ausgleich, welcher auch für die Entwickelung der wiſ- ſenſchaftlichen Erfaſſung der Natur von maßgebender Bedeutung ſein mußte.
Das ganze Gewicht der Philoſophie des Mittelalters, welche als mit der Theologie zuſammenfallend angeſehen wurde, wenn ſchon ein eigentliches Aufgehen derſelben in letzterer nur vorübergehend zu erreichen war, galt der Löſung des durch Porphyrius und Boëthius überlieferten Problems, ob die allgemeinen Begriffe der Arten und Gattungen eine von den wirklichen Dingen unabhängige Realität be- ſäßen oder ob ſie nur als ſubjective Vorſtellungen zu gelten hätten. Dies iſt die Grundfrage der Scholaſtik. Die erſte an Plato ſich an- ſchließende Beantwortungsart ſtellt den von Wilhelm von Champeaux beſonders vertretenen Realismus, die letztere den Nominalismus dar, deſſen Erneuerer, Roſcellinus, zum Widerruf ſeiner Lehre gezwungen wurde. Im Grunde war hiernach bereits Johannes Scotus Erigena Scholaſtiker. Ihm iſt Gott die einzig wahre Subſtanz; alle Geſchöpfe
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0159"n="148"/><fwplace="top"type="header">Die Zoologie des Mittelalters.</fw><lb/>
zum Theil zugänglich gebliebenen Philoſophen des Altherthums anknü-<lb/>
pfend, als eine nothwendige Folge des reichlich zuſtrömenden Stoffes<lb/>
eintreten mußte. Daß hierbei die Kirche ihr Intereſſe vor allen Dingen<lb/>
zu wahren ſuchte, war eine eben ſo nothwendige Lebenserſcheinung der-<lb/>ſelben. In ihren Händen, nicht in denen der Laien lag die Pflege und<lb/>
die Erhaltung der Wiſſenſchaft. Die geſammte Chriſtenheit, „welche<lb/>
beſtändig auseinander zu fallen drohte“, war in ihrer Vertretung und<lb/>
in ihrem Schutze gegen die zerſetzenden Parteieinflüſſe auf die Hierar-<lb/>
chie angewieſen. Da war denn das erſte und natürlichſte, daß einzelne<lb/>
Differenzpunkte, wie die bereits erwähnten Lehren <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118696726">Gottſchalk</persName>'s, des<lb/><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118739409">Paſchaſius Ratpertus</persName>, die ſpäteren Streitigkeiten <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118655825">Berengar</persName>'s von Tour<lb/>
u. a. ausgeglichen oder unterdrückt wurden. Wichtiger war, daß die<lb/>
ganze Philoſophie eine beſtimmte, der Kirche dienſtbare Form erhielt.<lb/>
Nun war aber nicht bloß der geſammte, von den Kirchenvätern, Sy-<lb/>
noden und Concilen beſtimmte, ſich nach und nach vermehrende und<lb/>
abrundende Glaubensinhalt philoſophiſch zu begründen, ſondern es galt<lb/>
vorzüglich auch, die platoniſche und ariſtoteliſche, die idealiſtiſche und<lb/>
rationaliſtiſche Anſicht von der Natur der Dinge zum Ausgleich zu<lb/>
bringen; — ein Ausgleich, welcher auch für die Entwickelung der wiſ-<lb/>ſenſchaftlichen Erfaſſung der Natur von maßgebender Bedeutung ſein<lb/>
mußte.</p><lb/><p>Das ganze Gewicht der Philoſophie des Mittelalters, welche<lb/>
als mit der Theologie zuſammenfallend angeſehen wurde, wenn ſchon<lb/>
ein eigentliches Aufgehen derſelben in letzterer nur vorübergehend zu<lb/>
erreichen war, galt der Löſung des durch <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118595873">Porphyrius</persName> und <persNameref="http://d-nb.info/gnd/11851282X">Boëthius</persName><lb/>
überlieferten Problems, ob die allgemeinen Begriffe der Arten und<lb/>
Gattungen eine von den wirklichen Dingen unabhängige Realität be-<lb/>ſäßen oder ob ſie nur als ſubjective Vorſtellungen zu gelten hätten.<lb/>
Dies iſt die Grundfrage der Scholaſtik. Die erſte an <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118594893">Plato</persName>ſich an-<lb/>ſchließende Beantwortungsart ſtellt den von <persNameref="http://d-nb.info/gnd/100944442">Wilhelm</persName> von Champeaux<lb/>
beſonders vertretenen Realismus, die letztere den Nominalismus dar,<lb/>
deſſen Erneuerer, Roſcellinus, zum Widerruf ſeiner Lehre gezwungen<lb/>
wurde. Im Grunde war hiernach bereits <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118557955">Johannes Scotus Erigena</persName><lb/>
Scholaſtiker. Ihm iſt Gott die einzig wahre Subſtanz; alle Geſchöpfe<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[148/0159]
Die Zoologie des Mittelalters.
zum Theil zugänglich gebliebenen Philoſophen des Altherthums anknü-
pfend, als eine nothwendige Folge des reichlich zuſtrömenden Stoffes
eintreten mußte. Daß hierbei die Kirche ihr Intereſſe vor allen Dingen
zu wahren ſuchte, war eine eben ſo nothwendige Lebenserſcheinung der-
ſelben. In ihren Händen, nicht in denen der Laien lag die Pflege und
die Erhaltung der Wiſſenſchaft. Die geſammte Chriſtenheit, „welche
beſtändig auseinander zu fallen drohte“, war in ihrer Vertretung und
in ihrem Schutze gegen die zerſetzenden Parteieinflüſſe auf die Hierar-
chie angewieſen. Da war denn das erſte und natürlichſte, daß einzelne
Differenzpunkte, wie die bereits erwähnten Lehren Gottſchalk's, des
Paſchaſius Ratpertus, die ſpäteren Streitigkeiten Berengar's von Tour
u. a. ausgeglichen oder unterdrückt wurden. Wichtiger war, daß die
ganze Philoſophie eine beſtimmte, der Kirche dienſtbare Form erhielt.
Nun war aber nicht bloß der geſammte, von den Kirchenvätern, Sy-
noden und Concilen beſtimmte, ſich nach und nach vermehrende und
abrundende Glaubensinhalt philoſophiſch zu begründen, ſondern es galt
vorzüglich auch, die platoniſche und ariſtoteliſche, die idealiſtiſche und
rationaliſtiſche Anſicht von der Natur der Dinge zum Ausgleich zu
bringen; — ein Ausgleich, welcher auch für die Entwickelung der wiſ-
ſenſchaftlichen Erfaſſung der Natur von maßgebender Bedeutung ſein
mußte.
Das ganze Gewicht der Philoſophie des Mittelalters, welche
als mit der Theologie zuſammenfallend angeſehen wurde, wenn ſchon
ein eigentliches Aufgehen derſelben in letzterer nur vorübergehend zu
erreichen war, galt der Löſung des durch Porphyrius und Boëthius
überlieferten Problems, ob die allgemeinen Begriffe der Arten und
Gattungen eine von den wirklichen Dingen unabhängige Realität be-
ſäßen oder ob ſie nur als ſubjective Vorſtellungen zu gelten hätten.
Dies iſt die Grundfrage der Scholaſtik. Die erſte an Plato ſich an-
ſchließende Beantwortungsart ſtellt den von Wilhelm von Champeaux
beſonders vertretenen Realismus, die letztere den Nominalismus dar,
deſſen Erneuerer, Roſcellinus, zum Widerruf ſeiner Lehre gezwungen
wurde. Im Grunde war hiernach bereits Johannes Scotus Erigena
Scholaſtiker. Ihm iſt Gott die einzig wahre Subſtanz; alle Geſchöpfe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/159>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.