Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Zoologie des Mittelalters.
sowie die Feindschaft mit dem Drachen scheinen selbständige Zusätze
Späterer zu sein.

Die Sirenen und Onocentauren sind gleichfalls durch die
griechisch-alexandrinische Bibelübersetzung in den Physiologus gekom-
men, da dieselbe bei mehreren Stellen, z. B. Micha 1, 8, Hiob 33, 29,
Jesaja, 13, 22 und 34, 11, wo im Original entweder Strauß oder
Walthier oder Steine erwähnt werden, die betreffenden Worte mit
Sirenen oder Onocentauren wiedergibt. Die bekannte Fabel von die-
sen widernatürlichen Mischwesen erwähnen viele alte Autoren, bei-
spielsweise Aelian 17, 9 und 17, 22.

Schwieriger ist es, den Ursprung der Antilope im Physiologus
nachzuweisen. Zunächst fällt schon die Verschiedenheit der Namen auf.
Bei Epiphanius heißt das Thier Urus, bei den übrigen griechischen
Physiologus-recensionen Hydrops oder Hydrippus. Im Hexameron
des Eustathius wird es Antholops genannt und aus dieser letzteren
Form ist dann die Reihe allmählich immer mehr verstümmelter Namen
entstanden, welche sich in den armenischen, lateinischen, deutschen und
französischen Physiologis finden, nämlich Utolphocha und Tolopha (ar-
menisch), Antalops, Autolops, Autula, Aptalon, Aptalops. Hierher
gehört wohl auch die Form des Namens im syrischen Physiologus:
Rupes. Sicher ist, daß diese verschiedenen Namen das Thier bezeich-
nen sollen, welches im hebräischen Original Jachmur heißt und 5. Mose
14, 5 unter den reinen Thieren angeführt wird. Denn dieselbe Ge-
schichte, daß es ein großes ochsenähnliches Thier sei mit sägeförmigen
Hörnern, welches am Euphrat (oder am Meere) seinen Durst löscht
und dann dort mit den Hörnern in den Zweigen eines (zuweilen be-
nannten) Gebüsches verwickelt sich fangen lasse, erzählen ganz ähnlich
Damiri und Kazwini von dem arabischen Jamur, wie Bochart her-
vorhebt40). Weder die griechisch-alexandrinische Uebersetzung
noch die
Vulgata, deren beider Worte sonst genau im Physiologus beim Anfüh-
ren von Bibelstellen wiedergegeben werden, kennen einen Antholops oder
Urus. Talmudisten und auch Tychsen halten das Thier ebenso ohne

40) Bochart, Hierozoicon. Tom. I. col. 912 (Frankfurter Ausgabe).

Die Zoologie des Mittelalters.
ſowie die Feindſchaft mit dem Drachen ſcheinen ſelbſtändige Zuſätze
Späterer zu ſein.

Die Sirenen und Onocentauren ſind gleichfalls durch die
griechiſch-alexandriniſche Bibelüberſetzung in den Phyſiologus gekom-
men, da dieſelbe bei mehreren Stellen, z. B. Micha 1, 8, Hiob 33, 29,
Jeſaja, 13, 22 und 34, 11, wo im Original entweder Strauß oder
Walthier oder Steine erwähnt werden, die betreffenden Worte mit
Sirenen oder Onocentauren wiedergibt. Die bekannte Fabel von die-
ſen widernatürlichen Miſchweſen erwähnen viele alte Autoren, bei-
ſpielsweiſe Aelian 17, 9 und 17, 22.

Schwieriger iſt es, den Urſprung der Antilope im Phyſiologus
nachzuweiſen. Zunächſt fällt ſchon die Verſchiedenheit der Namen auf.
Bei Epiphanius heißt das Thier Urus, bei den übrigen griechiſchen
Phyſiologus-recenſionen Hydrops oder Hydrippus. Im Hexameron
des Euſtathius wird es Antholops genannt und aus dieſer letzteren
Form iſt dann die Reihe allmählich immer mehr verſtümmelter Namen
entſtanden, welche ſich in den armeniſchen, lateiniſchen, deutſchen und
franzöſiſchen Phyſiologis finden, nämlich Utolphocha und Tolopha (ar-
meniſch), Antalops, Autolops, Autula, Aptalon, Aptalops. Hierher
gehört wohl auch die Form des Namens im ſyriſchen Phyſiologus:
Rupes. Sicher iſt, daß dieſe verſchiedenen Namen das Thier bezeich-
nen ſollen, welches im hebräiſchen Original Jachmur heißt und 5. Moſe
14, 5 unter den reinen Thieren angeführt wird. Denn dieſelbe Ge-
ſchichte, daß es ein großes ochſenähnliches Thier ſei mit ſägeförmigen
Hörnern, welches am Euphrat (oder am Meere) ſeinen Durſt löſcht
und dann dort mit den Hörnern in den Zweigen eines (zuweilen be-
nannten) Gebüſches verwickelt ſich fangen laſſe, erzählen ganz ähnlich
Damiri und Kazwini von dem arabiſchen Jamur, wie Bochart her-
vorhebt40). Weder die griechiſch-alexandriniſche Ueberſetzung
noch die
Vulgata, deren beider Worte ſonſt genau im Phyſiologus beim Anfüh-
ren von Bibelſtellen wiedergegeben werden, kennen einen Antholops oder
Urus. Talmudiſten und auch Tychſen halten das Thier ebenſo ohne

40) Bochart, Hierozoicon. Tom. I. col. 912 (Frankfurter Ausgabe).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0133" n="122"/><fw place="top" type="header">Die Zoologie des Mittelalters.</fw><lb/>
&#x017F;owie die Feind&#x017F;chaft mit dem Drachen &#x017F;cheinen &#x017F;elb&#x017F;tändige Zu&#x017F;ätze<lb/>
Späterer zu &#x017F;ein.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Sirenen und Onocentauren</hi> &#x017F;ind gleichfalls durch die<lb/>
griechi&#x017F;ch-alexandrini&#x017F;che Bibelüber&#x017F;etzung in den Phy&#x017F;iologus gekom-<lb/>
men, da die&#x017F;elbe bei mehreren Stellen, z. B. Micha 1, 8, Hiob 33, 29,<lb/>
Je&#x017F;aja, 13, 22 und 34, 11, wo im Original entweder Strauß oder<lb/>
Walthier oder Steine erwähnt werden, die betreffenden Worte mit<lb/>
Sirenen oder Onocentauren wiedergibt. Die bekannte Fabel von die-<lb/>
&#x017F;en widernatürlichen Mi&#x017F;chwe&#x017F;en erwähnen viele alte Autoren, bei-<lb/>
&#x017F;pielswei&#x017F;e <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119160285">Aelian</persName> 17, 9 und 17, 22.</p><lb/>
          <p>Schwieriger i&#x017F;t es, den Ur&#x017F;prung der <hi rendition="#g">Antilope</hi> im Phy&#x017F;iologus<lb/>
nachzuwei&#x017F;en. Zunäch&#x017F;t fällt &#x017F;chon die Ver&#x017F;chiedenheit der Namen auf.<lb/>
Bei <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118682229">Epiphanius</persName></hi> heißt das Thier Urus, bei den übrigen griechi&#x017F;chen<lb/>
Phy&#x017F;iologus-recen&#x017F;ionen Hydrops oder Hydrippus. Im Hexameron<lb/>
des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118682741">Eu&#x017F;tathius</persName> wird es Antholops genannt und aus die&#x017F;er letzteren<lb/>
Form i&#x017F;t dann die Reihe allmählich immer mehr ver&#x017F;tümmelter Namen<lb/>
ent&#x017F;tanden, welche &#x017F;ich in den armeni&#x017F;chen, lateini&#x017F;chen, deut&#x017F;chen und<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;chen Phy&#x017F;iologis finden, nämlich Utolphocha und Tolopha (ar-<lb/>
meni&#x017F;ch), Antalops, Autolops, Autula, Aptalon, Aptalops. Hierher<lb/>
gehört wohl auch die Form des Namens im &#x017F;yri&#x017F;chen Phy&#x017F;iologus:<lb/>
Rupes. Sicher i&#x017F;t, daß die&#x017F;e ver&#x017F;chiedenen Namen das Thier bezeich-<lb/>
nen &#x017F;ollen, welches im hebräi&#x017F;chen Original Jachmur heißt und 5. Mo&#x017F;e<lb/>
14, 5 unter den reinen Thieren angeführt wird. Denn die&#x017F;elbe Ge-<lb/>
&#x017F;chichte, daß es ein großes och&#x017F;enähnliches Thier &#x017F;ei mit &#x017F;ägeförmigen<lb/>
Hörnern, welches am Euphrat (oder am Meere) &#x017F;einen Dur&#x017F;t lö&#x017F;cht<lb/>
und dann dort mit den Hörnern in den Zweigen eines (zuweilen be-<lb/>
nannten) Gebü&#x017F;ches verwickelt &#x017F;ich fangen la&#x017F;&#x017F;e, erzählen ganz ähnlich<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/101045689">Damiri</persName> und <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119374382">Kazwini</persName> von dem arabi&#x017F;chen Jamur, wie <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/124373208">Bochart</persName></hi> her-<lb/>
vorhebt<note place="foot" n="40)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/124373208">Bochart</persName></hi>, Hierozoicon. Tom. I. col. 912</hi> (Frankfurter Ausgabe).</note>. Weder die griechi&#x017F;ch-alexandrini&#x017F;che Ueber&#x017F;etzung<lb/>
noch die<lb/>
Vulgata, deren beider Worte &#x017F;on&#x017F;t genau im Phy&#x017F;iologus beim Anfüh-<lb/>
ren von Bibel&#x017F;tellen wiedergegeben werden, kennen einen Antholops oder<lb/>
Urus. Talmudi&#x017F;ten und auch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119120577">Tych&#x017F;en</persName> halten das Thier eben&#x017F;o ohne<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0133] Die Zoologie des Mittelalters. ſowie die Feindſchaft mit dem Drachen ſcheinen ſelbſtändige Zuſätze Späterer zu ſein. Die Sirenen und Onocentauren ſind gleichfalls durch die griechiſch-alexandriniſche Bibelüberſetzung in den Phyſiologus gekom- men, da dieſelbe bei mehreren Stellen, z. B. Micha 1, 8, Hiob 33, 29, Jeſaja, 13, 22 und 34, 11, wo im Original entweder Strauß oder Walthier oder Steine erwähnt werden, die betreffenden Worte mit Sirenen oder Onocentauren wiedergibt. Die bekannte Fabel von die- ſen widernatürlichen Miſchweſen erwähnen viele alte Autoren, bei- ſpielsweiſe Aelian 17, 9 und 17, 22. Schwieriger iſt es, den Urſprung der Antilope im Phyſiologus nachzuweiſen. Zunächſt fällt ſchon die Verſchiedenheit der Namen auf. Bei Epiphanius heißt das Thier Urus, bei den übrigen griechiſchen Phyſiologus-recenſionen Hydrops oder Hydrippus. Im Hexameron des Euſtathius wird es Antholops genannt und aus dieſer letzteren Form iſt dann die Reihe allmählich immer mehr verſtümmelter Namen entſtanden, welche ſich in den armeniſchen, lateiniſchen, deutſchen und franzöſiſchen Phyſiologis finden, nämlich Utolphocha und Tolopha (ar- meniſch), Antalops, Autolops, Autula, Aptalon, Aptalops. Hierher gehört wohl auch die Form des Namens im ſyriſchen Phyſiologus: Rupes. Sicher iſt, daß dieſe verſchiedenen Namen das Thier bezeich- nen ſollen, welches im hebräiſchen Original Jachmur heißt und 5. Moſe 14, 5 unter den reinen Thieren angeführt wird. Denn dieſelbe Ge- ſchichte, daß es ein großes ochſenähnliches Thier ſei mit ſägeförmigen Hörnern, welches am Euphrat (oder am Meere) ſeinen Durſt löſcht und dann dort mit den Hörnern in den Zweigen eines (zuweilen be- nannten) Gebüſches verwickelt ſich fangen laſſe, erzählen ganz ähnlich Damiri und Kazwini von dem arabiſchen Jamur, wie Bochart her- vorhebt 40). Weder die griechiſch-alexandriniſche Ueberſetzung noch die Vulgata, deren beider Worte ſonſt genau im Phyſiologus beim Anfüh- ren von Bibelſtellen wiedergegeben werden, kennen einen Antholops oder Urus. Talmudiſten und auch Tychſen halten das Thier ebenſo ohne 40) Bochart, Hierozoicon. Tom. I. col. 912 (Frankfurter Ausgabe).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/133
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/133>, abgerufen am 22.11.2024.