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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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nismus. Es ergibt sich nämlich daß, da auch unsre
Psyche ursprünglich durchaus, und späterhin immer noch
großentheils, auf der Stufe des Unbewußtseins verharrt,
auch in ihr, in so weit sie unbewußt ist, nicht bloß die
eigenen Lebenszustände erfühlt und durch Innerung und
Ahnung, rück- und vorwärtsschauend bestimmt werden,
sondern daß sie, als Theil-Idee, zunächst der Menschheit,
und, entfernter, des Welt-Ganzen, bald näher, bald ferner
von allen Regungen der Seele der Menschheit und der
Seelen der Welt unbewußterweise durchdrungen sein muß.
Nöthig ist es jedoch sich auch hier gleich anfangs vollkom¬
men deutlich zu machen, daß dieses Durchdrungensein zum
Theil zwar nur in äußerst entfernten Beziehungen vor¬
kommen kann, daß es aber doch allerdings in irgend einem
Grade wirklich und wahrhaft vorhanden sein muß. Durch¬
zieht doch schon das, was mechanisch zwischen den Massen
als Attraction sich nachweisen läßt, in ganz ähnlicher Weise,
bald merklich bald unmerklich, die Welt. Will man sich
dies deutlich machen, so bedenke man, wie es z. B. keinen
Zweifel leide, daß, gleich wie das gegeneinander Graviti¬
ren, d. h. sich wechselseitig Anziehen der Himmelskörper,
eine gewisse Thatsache ist, eben so jede kleine frei schwebende
Masse die andere größre nach Verhältniß ihrer Masse an¬
zieht wie sie von ihr angezogen wird. Der fallende Stein
also, d. h. der kleine in der Atmosphäre schwebende Körper,
welcher von der so viel größern Erde so mächtig angezogen
wird, muß doch nicht minder seinerseits auch die Erde an¬
ziehen, obwohl wir von dieser Anziehung, ihrer unendlichen
Geringfügigkeit wegen, eben so wenig etwas wahrnehmen
können, als etwa von der Fortpflanzung der Erschütterung
irgend einer künstlichen Explosion auf das Ganze der tel¬
lurischen Masse, eine Fortpflanzung, worüber doch bereits
der englische Mathematiker Babagge so interessante, auf
das Unendliche einer jeden solchen Wirkung hinweisende
Berechnungen angestellt hat. Auf ähnliche Weise ist sonach

nismus. Es ergibt ſich nämlich daß, da auch unſre
Pſyche urſprünglich durchaus, und ſpäterhin immer noch
großentheils, auf der Stufe des Unbewußtſeins verharrt,
auch in ihr, in ſo weit ſie unbewußt iſt, nicht bloß die
eigenen Lebenszuſtände erfühlt und durch Innerung und
Ahnung, rück- und vorwärtsſchauend beſtimmt werden,
ſondern daß ſie, als Theil-Idee, zunächſt der Menſchheit,
und, entfernter, des Welt-Ganzen, bald näher, bald ferner
von allen Regungen der Seele der Menſchheit und der
Seelen der Welt unbewußterweiſe durchdrungen ſein muß.
Nöthig iſt es jedoch ſich auch hier gleich anfangs vollkom¬
men deutlich zu machen, daß dieſes Durchdrungenſein zum
Theil zwar nur in äußerſt entfernten Beziehungen vor¬
kommen kann, daß es aber doch allerdings in irgend einem
Grade wirklich und wahrhaft vorhanden ſein muß. Durch¬
zieht doch ſchon das, was mechaniſch zwiſchen den Maſſen
als Attraction ſich nachweiſen läßt, in ganz ähnlicher Weiſe,
bald merklich bald unmerklich, die Welt. Will man ſich
dies deutlich machen, ſo bedenke man, wie es z. B. keinen
Zweifel leide, daß, gleich wie das gegeneinander Graviti¬
ren, d. h. ſich wechſelſeitig Anziehen der Himmelskörper,
eine gewiſſe Thatſache iſt, eben ſo jede kleine frei ſchwebende
Maſſe die andere größre nach Verhältniß ihrer Maſſe an¬
zieht wie ſie von ihr angezogen wird. Der fallende Stein
alſo, d. h. der kleine in der Atmoſphäre ſchwebende Körper,
welcher von der ſo viel größern Erde ſo mächtig angezogen
wird, muß doch nicht minder ſeinerſeits auch die Erde an¬
ziehen, obwohl wir von dieſer Anziehung, ihrer unendlichen
Geringfügigkeit wegen, eben ſo wenig etwas wahrnehmen
können, als etwa von der Fortpflanzung der Erſchütterung
irgend einer künſtlichen Exploſion auf das Ganze der tel¬
luriſchen Maſſe, eine Fortpflanzung, worüber doch bereits
der engliſche Mathematiker Babagge ſo intereſſante, auf
das Unendliche einer jeden ſolchen Wirkung hinweiſende
Berechnungen angeſtellt hat. Auf ähnliche Weiſe iſt ſonach

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[82/0098] nismus. Es ergibt ſich nämlich daß, da auch unſre Pſyche urſprünglich durchaus, und ſpäterhin immer noch großentheils, auf der Stufe des Unbewußtſeins verharrt, auch in ihr, in ſo weit ſie unbewußt iſt, nicht bloß die eigenen Lebenszuſtände erfühlt und durch Innerung und Ahnung, rück- und vorwärtsſchauend beſtimmt werden, ſondern daß ſie, als Theil-Idee, zunächſt der Menſchheit, und, entfernter, des Welt-Ganzen, bald näher, bald ferner von allen Regungen der Seele der Menſchheit und der Seelen der Welt unbewußterweiſe durchdrungen ſein muß. Nöthig iſt es jedoch ſich auch hier gleich anfangs vollkom¬ men deutlich zu machen, daß dieſes Durchdrungenſein zum Theil zwar nur in äußerſt entfernten Beziehungen vor¬ kommen kann, daß es aber doch allerdings in irgend einem Grade wirklich und wahrhaft vorhanden ſein muß. Durch¬ zieht doch ſchon das, was mechaniſch zwiſchen den Maſſen als Attraction ſich nachweiſen läßt, in ganz ähnlicher Weiſe, bald merklich bald unmerklich, die Welt. Will man ſich dies deutlich machen, ſo bedenke man, wie es z. B. keinen Zweifel leide, daß, gleich wie das gegeneinander Graviti¬ ren, d. h. ſich wechſelſeitig Anziehen der Himmelskörper, eine gewiſſe Thatſache iſt, eben ſo jede kleine frei ſchwebende Maſſe die andere größre nach Verhältniß ihrer Maſſe an¬ zieht wie ſie von ihr angezogen wird. Der fallende Stein alſo, d. h. der kleine in der Atmoſphäre ſchwebende Körper, welcher von der ſo viel größern Erde ſo mächtig angezogen wird, muß doch nicht minder ſeinerſeits auch die Erde an¬ ziehen, obwohl wir von dieſer Anziehung, ihrer unendlichen Geringfügigkeit wegen, eben ſo wenig etwas wahrnehmen können, als etwa von der Fortpflanzung der Erſchütterung irgend einer künſtlichen Exploſion auf das Ganze der tel¬ luriſchen Maſſe, eine Fortpflanzung, worüber doch bereits der engliſche Mathematiker Babagge ſo intereſſante, auf das Unendliche einer jeden ſolchen Wirkung hinweiſende Berechnungen angeſtellt hat. Auf ähnliche Weiſe iſt ſonach

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/98>, abgerufen am 22.11.2024.