Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Zum Theil konnte nämlich allerdings schon das Vor¬
hergehende auf dergleichen Verschiedenheiten im Unbewußten
aufmerksam machen; gegenwärtig aber, wo wir nun von
der Höhe des bewußten Geistes dorthin zurückblicken wollen,
und noch einmal alle Formen unbewußter Bethätigung des
eingebornen Göttlichen innerhalb unsers Wesens übersicht¬
lich zusammen zu fassen gedenken, kann es uns nicht ent¬
gehen, daß dergleichen Unterscheidungen hier zur Vervoll¬
ständigung einer wissenschaftlichen Erkenntniß nothwendig
gemacht werden müssen.

Zuerst nämlich werden wir genöthigt anzuerkennen,
daß es eine Region des Seelenlebens gebe, in welche wirk¬
lich durchaus kein Strahl des Bewußtseins dringt -- und
diese können wir daher das absolut Unbewußte nennen.
Dieses absolut Unbewußte verbreitet sich aber entweder noch
über alles Walten der Idee in uns allein, und dann
nennen wir es das Allgemeine. So fanden wir es
im embryonischen Dasein -- es war das noch aus¬
schließend
in der Bildung Waltende der Idee, der
Idee, die wir ebendeßhalb eigentlich hier noch nicht mit
dem Namen -- Seele -- bezeichnen. Oder aber das ab¬
solut Unbewußte ist nicht mehr allein und aus¬
schließend
der Charakter alles Seelenlebens, sondern
es hat sich zwar irgendwie ein Bewußtsein entwickelt, die
Idee ist wirklich Seele geworden, aber auch hiebei ver¬
bleiben alle Vorgänge des bildenden zerstörenden, und
wieder gestaltenden Lebens ganz ohne Theilnahme des
Bewußtseins, und ein solches Unbewußtes ist daher nicht
mehr ein Allgemeines, sondern nur ein Partielles.
Dem absoluten oder schlechthin Unbewußten ferner, wie es
bald als allgemeines, bald als partielles erkannt wird, steht
gegenüber das relativ Unbewußte, d. h. jener Bereich
eines wirklich schon zum Bewußtsein gekommenen Seelen¬
lebens, welcher jedoch für irgend eine Zeit jetzt wieder
unbewußt geworden ist, immer jedoch auch wieder ins

Zum Theil konnte nämlich allerdings ſchon das Vor¬
hergehende auf dergleichen Verſchiedenheiten im Unbewußten
aufmerkſam machen; gegenwärtig aber, wo wir nun von
der Höhe des bewußten Geiſtes dorthin zurückblicken wollen,
und noch einmal alle Formen unbewußter Bethätigung des
eingebornen Göttlichen innerhalb unſers Weſens überſicht¬
lich zuſammen zu faſſen gedenken, kann es uns nicht ent¬
gehen, daß dergleichen Unterſcheidungen hier zur Vervoll¬
ſtändigung einer wiſſenſchaftlichen Erkenntniß nothwendig
gemacht werden müſſen.

Zuerſt nämlich werden wir genöthigt anzuerkennen,
daß es eine Region des Seelenlebens gebe, in welche wirk¬
lich durchaus kein Strahl des Bewußtſeins dringt — und
dieſe können wir daher das abſolut Unbewußte nennen.
Dieſes abſolut Unbewußte verbreitet ſich aber entweder noch
über alles Walten der Idee in uns allein, und dann
nennen wir es das Allgemeine. So fanden wir es
im embryoniſchen Daſein — es war das noch aus¬
ſchließend
in der Bildung Waltende der Idee, der
Idee, die wir ebendeßhalb eigentlich hier noch nicht mit
dem Namen — Seele — bezeichnen. Oder aber das ab¬
ſolut Unbewußte iſt nicht mehr allein und aus¬
ſchließend
der Charakter alles Seelenlebens, ſondern
es hat ſich zwar irgendwie ein Bewußtſein entwickelt, die
Idee iſt wirklich Seele geworden, aber auch hiebei ver¬
bleiben alle Vorgänge des bildenden zerſtörenden, und
wieder geſtaltenden Lebens ganz ohne Theilnahme des
Bewußtſeins, und ein ſolches Unbewußtes iſt daher nicht
mehr ein Allgemeines, ſondern nur ein Partielles.
Dem abſoluten oder ſchlechthin Unbewußten ferner, wie es
bald als allgemeines, bald als partielles erkannt wird, ſteht
gegenüber das relativ Unbewußte, d. h. jener Bereich
eines wirklich ſchon zum Bewußtſein gekommenen Seelen¬
lebens, welcher jedoch für irgend eine Zeit jetzt wieder
unbewußt geworden iſt, immer jedoch auch wieder ins

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0082" n="66"/>
          <p>Zum Theil konnte nämlich allerdings &#x017F;chon das Vor¬<lb/>
hergehende auf dergleichen Ver&#x017F;chiedenheiten im Unbewußten<lb/>
aufmerk&#x017F;am machen; gegenwärtig aber, wo wir nun von<lb/>
der Höhe des bewußten Gei&#x017F;tes dorthin zurückblicken wollen,<lb/>
und noch einmal alle Formen unbewußter Bethätigung des<lb/>
eingebornen Göttlichen innerhalb un&#x017F;ers We&#x017F;ens über&#x017F;icht¬<lb/>
lich zu&#x017F;ammen zu fa&#x017F;&#x017F;en gedenken, kann es uns nicht ent¬<lb/>
gehen, daß dergleichen Unter&#x017F;cheidungen hier zur Vervoll¬<lb/>
&#x017F;tändigung einer wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Erkenntniß nothwendig<lb/>
gemacht werden mü&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Zuer&#x017F;t nämlich werden wir genöthigt anzuerkennen,<lb/>
daß es eine Region des Seelenlebens gebe, in welche wirk¬<lb/>
lich durchaus <hi rendition="#g">kein</hi> Strahl des Bewußt&#x017F;eins dringt &#x2014; und<lb/>
die&#x017F;e können wir daher das <hi rendition="#g">ab&#x017F;olut Unbewußte</hi> nennen.<lb/>
Die&#x017F;es ab&#x017F;olut Unbewußte verbreitet &#x017F;ich aber entweder noch<lb/>
über alles Walten der Idee in uns <hi rendition="#g">allein</hi>, und dann<lb/>
nennen wir es <hi rendition="#g">das Allgemeine</hi>. So fanden wir es<lb/>
im embryoni&#x017F;chen Da&#x017F;ein &#x2014; es war das noch <hi rendition="#g">aus¬<lb/>
&#x017F;chließend</hi> in der <hi rendition="#g">Bildung</hi> Waltende der Idee, der<lb/>
Idee, die wir ebendeßhalb eigentlich hier noch nicht mit<lb/>
dem Namen &#x2014; Seele &#x2014; bezeichnen. Oder aber das ab¬<lb/>
&#x017F;olut Unbewußte i&#x017F;t <hi rendition="#g">nicht mehr allein und aus¬<lb/>
&#x017F;chließend</hi> der Charakter <hi rendition="#g">alles</hi> Seelenlebens, &#x017F;ondern<lb/>
es hat &#x017F;ich zwar irgendwie ein Bewußt&#x017F;ein entwickelt, die<lb/>
Idee i&#x017F;t wirklich Seele geworden, aber auch hiebei ver¬<lb/>
bleiben alle Vorgänge des bildenden zer&#x017F;törenden, und<lb/>
wieder ge&#x017F;taltenden Lebens ganz ohne Theilnahme des<lb/>
Bewußt&#x017F;eins, und ein &#x017F;olches Unbewußtes i&#x017F;t daher nicht<lb/>
mehr ein Allgemeines, &#x017F;ondern nur <hi rendition="#g">ein Partielles</hi>.<lb/>
Dem ab&#x017F;oluten oder &#x017F;chlechthin Unbewußten ferner, wie es<lb/>
bald als allgemeines, bald als partielles erkannt wird, &#x017F;teht<lb/>
gegenüber das <hi rendition="#g">relativ Unbewußte</hi>, d. h. jener Bereich<lb/>
eines wirklich &#x017F;chon zum Bewußt&#x017F;ein gekommenen Seelen¬<lb/>
lebens, welcher jedoch für irgend eine Zeit jetzt wieder<lb/>
unbewußt geworden i&#x017F;t, immer jedoch auch wieder ins<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0082] Zum Theil konnte nämlich allerdings ſchon das Vor¬ hergehende auf dergleichen Verſchiedenheiten im Unbewußten aufmerkſam machen; gegenwärtig aber, wo wir nun von der Höhe des bewußten Geiſtes dorthin zurückblicken wollen, und noch einmal alle Formen unbewußter Bethätigung des eingebornen Göttlichen innerhalb unſers Weſens überſicht¬ lich zuſammen zu faſſen gedenken, kann es uns nicht ent¬ gehen, daß dergleichen Unterſcheidungen hier zur Vervoll¬ ſtändigung einer wiſſenſchaftlichen Erkenntniß nothwendig gemacht werden müſſen. Zuerſt nämlich werden wir genöthigt anzuerkennen, daß es eine Region des Seelenlebens gebe, in welche wirk¬ lich durchaus kein Strahl des Bewußtſeins dringt — und dieſe können wir daher das abſolut Unbewußte nennen. Dieſes abſolut Unbewußte verbreitet ſich aber entweder noch über alles Walten der Idee in uns allein, und dann nennen wir es das Allgemeine. So fanden wir es im embryoniſchen Daſein — es war das noch aus¬ ſchließend in der Bildung Waltende der Idee, der Idee, die wir ebendeßhalb eigentlich hier noch nicht mit dem Namen — Seele — bezeichnen. Oder aber das ab¬ ſolut Unbewußte iſt nicht mehr allein und aus¬ ſchließend der Charakter alles Seelenlebens, ſondern es hat ſich zwar irgendwie ein Bewußtſein entwickelt, die Idee iſt wirklich Seele geworden, aber auch hiebei ver¬ bleiben alle Vorgänge des bildenden zerſtörenden, und wieder geſtaltenden Lebens ganz ohne Theilnahme des Bewußtſeins, und ein ſolches Unbewußtes iſt daher nicht mehr ein Allgemeines, ſondern nur ein Partielles. Dem abſoluten oder ſchlechthin Unbewußten ferner, wie es bald als allgemeines, bald als partielles erkannt wird, ſteht gegenüber das relativ Unbewußte, d. h. jener Bereich eines wirklich ſchon zum Bewußtſein gekommenen Seelen¬ lebens, welcher jedoch für irgend eine Zeit jetzt wieder unbewußt geworden iſt, immer jedoch auch wieder ins

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/82
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/82>, abgerufen am 24.11.2024.