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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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klärungen, welche die Fortschritte neuerer Physiologie über
den Entwicklungsgang des Menschen gegeben haben, sehr
lehrreich, erhalten aber auch selbst erst von hier aus
ihre richtige Deutung. Es ist nämlich merkwürdig, daß
in allen höhern, nur durch die Gattung zeugenden Ge¬
schöpfen, und namentlich im Menschen, zuerst ebenfalls
gewisse Urzellen sich bilden, deren jede die Bedeutung hat,
künftig aus sich hervor ein ganzes neues Individuum zu
entwickeln; es sind die Eibläschen der weiblichen Ovarien.
In so weit scheinen also auch höhere Organismen jene
niedern zu wiederholen, wo einzelne Urzellen sich absondern
und in ihnen gleich die Idee des ganzen Geschöpfes sich
wieder darlebt; hier jedoch ist nun von solcher unmit¬
telbaren
Entwicklung durchaus nicht mehr die Rede; nie
wird aus solcher Monade ein neues menschliches Indivi¬
duum, wenn nicht zuvor der Inbegriff der Gattung sich da¬
durch
an ihm geoffenbart hat, daß es mit mindestens einer
derjenigen lebendigen Urzellen, welche im männlichen Kör¬
per als Spermatozoen abgesondert werden, in unmittel¬
baren, an und für sich aber immer durchaus unbewußten,
Contakt kommt. Weiß man also, daß weder aus dem
Weibe noch aus dem Manne eigentlich das neue Indivi¬
duum hervorgeht, sondern daß es als eine besondere indi¬
viduelle Offenbarung der Idee der Gattung, nur durch ein
gewisses unbewußtes Zusammenwirken beider gesetzt wird,
so daß immer aus zwei Factoren ein Drittes, als
durchaus Neues, Eigenthümliches, hervorgeht, so ist sofort
auch die merkwürdige Unabhängigkeit der neu sich offen¬
barenden Idee von den beiden einzelnen zeugenden Ideen
zu begreifen. Schon jenes merkwürdige von Hufeland
aufgefundene Gesetz der Gleichzahl der Geschlechter, in
welcher die Menschheit unabhängig von so verschiedenen
Verhältnissen der Erzeugung immer erhalten wird, kann
nur hieraus verstanden werden; und auch nur von hieraus
wird begreiflich, wie, obwohl einiges Verwandte immer

klärungen, welche die Fortſchritte neuerer Phyſiologie über
den Entwicklungsgang des Menſchen gegeben haben, ſehr
lehrreich, erhalten aber auch ſelbſt erſt von hier aus
ihre richtige Deutung. Es iſt nämlich merkwürdig, daß
in allen höhern, nur durch die Gattung zeugenden Ge¬
ſchöpfen, und namentlich im Menſchen, zuerſt ebenfalls
gewiſſe Urzellen ſich bilden, deren jede die Bedeutung hat,
künftig aus ſich hervor ein ganzes neues Individuum zu
entwickeln; es ſind die Eibläschen der weiblichen Ovarien.
In ſo weit ſcheinen alſo auch höhere Organismen jene
niedern zu wiederholen, wo einzelne Urzellen ſich abſondern
und in ihnen gleich die Idee des ganzen Geſchöpfes ſich
wieder darlebt; hier jedoch iſt nun von ſolcher unmit¬
telbaren
Entwicklung durchaus nicht mehr die Rede; nie
wird aus ſolcher Monade ein neues menſchliches Indivi¬
duum, wenn nicht zuvor der Inbegriff der Gattung ſich da¬
durch
an ihm geoffenbart hat, daß es mit mindeſtens einer
derjenigen lebendigen Urzellen, welche im männlichen Kör¬
per als Spermatozoen abgeſondert werden, in unmittel¬
baren, an und für ſich aber immer durchaus unbewußten,
Contakt kommt. Weiß man alſo, daß weder aus dem
Weibe noch aus dem Manne eigentlich das neue Indivi¬
duum hervorgeht, ſondern daß es als eine beſondere indi¬
viduelle Offenbarung der Idee der Gattung, nur durch ein
gewiſſes unbewußtes Zuſammenwirken beider geſetzt wird,
ſo daß immer aus zwei Factoren ein Drittes, als
durchaus Neues, Eigenthümliches, hervorgeht, ſo iſt ſofort
auch die merkwürdige Unabhängigkeit der neu ſich offen¬
barenden Idee von den beiden einzelnen zeugenden Ideen
zu begreifen. Schon jenes merkwürdige von Hufeland
aufgefundene Geſetz der Gleichzahl der Geſchlechter, in
welcher die Menſchheit unabhängig von ſo verſchiedenen
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[58/0074] klärungen, welche die Fortſchritte neuerer Phyſiologie über den Entwicklungsgang des Menſchen gegeben haben, ſehr lehrreich, erhalten aber auch ſelbſt erſt von hier aus ihre richtige Deutung. Es iſt nämlich merkwürdig, daß in allen höhern, nur durch die Gattung zeugenden Ge¬ ſchöpfen, und namentlich im Menſchen, zuerſt ebenfalls gewiſſe Urzellen ſich bilden, deren jede die Bedeutung hat, künftig aus ſich hervor ein ganzes neues Individuum zu entwickeln; es ſind die Eibläschen der weiblichen Ovarien. In ſo weit ſcheinen alſo auch höhere Organismen jene niedern zu wiederholen, wo einzelne Urzellen ſich abſondern und in ihnen gleich die Idee des ganzen Geſchöpfes ſich wieder darlebt; hier jedoch iſt nun von ſolcher unmit¬ telbaren Entwicklung durchaus nicht mehr die Rede; nie wird aus ſolcher Monade ein neues menſchliches Indivi¬ duum, wenn nicht zuvor der Inbegriff der Gattung ſich da¬ durch an ihm geoffenbart hat, daß es mit mindeſtens einer derjenigen lebendigen Urzellen, welche im männlichen Kör¬ per als Spermatozoen abgeſondert werden, in unmittel¬ baren, an und für ſich aber immer durchaus unbewußten, Contakt kommt. Weiß man alſo, daß weder aus dem Weibe noch aus dem Manne eigentlich das neue Indivi¬ duum hervorgeht, ſondern daß es als eine beſondere indi¬ viduelle Offenbarung der Idee der Gattung, nur durch ein gewiſſes unbewußtes Zuſammenwirken beider geſetzt wird, ſo daß immer aus zwei Factoren ein Drittes, als durchaus Neues, Eigenthümliches, hervorgeht, ſo iſt ſofort auch die merkwürdige Unabhängigkeit der neu ſich offen¬ barenden Idee von den beiden einzelnen zeugenden Ideen zu begreifen. Schon jenes merkwürdige von Hufeland aufgefundene Geſetz der Gleichzahl der Geſchlechter, in welcher die Menſchheit unabhängig von ſo verſchiedenen Verhältniſſen der Erzeugung immer erhalten wird, kann nur hieraus verſtanden werden; und auch nur von hieraus wird begreiflich, wie, obwohl einiges Verwandte immer

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/74>, abgerufen am 27.11.2024.