einer und derselbe, und erkennt nur diejenige Veränderung an, welche innerhalb einer und derselben Individualität durch das Wachsthum der Seele, wie wir es früher be¬ sprochen haben, gegeben werden kann. Hier haben wir also eine Wahrheit, eine tief in unserm Geiste begründete und in jedem Augenblicke sich fühlbar machende Thatsache, welche wir immer wieder hervorheben, auf welche wir immer wieder zurückblicken müssen, wenn wir über die Ewigkeit unsers Geistes zu bestimmten Begriffen, zu vollkommener Gewißheit gelangen wollen! -- Fassen wir daher jetzt noch einmal in ein Resultat zusammen, was alle diese vorher¬ gehenden Betrachtungen uns gelehrt haben, so möchte ich sagen: es enthalte die Grundidee unserer Seele, d. i. jenes ewige göttliche Urbild all' unsers Seins, in ihrem einen Sein, eine zweifache Strahlung höchsten Urwesens, deren eine als unbewußt schaffendes Göttliche die rastlosen Me¬ tamorphosen unserer Erscheinung bedingt und immer wieder erschafft, während die andere sich als der in innerer stätiger Gegenwart verharrende Geist, und als die frei¬ gewordene höhere Hälfte, gleichsam die Blüthe der andern, beweist. -- Das Bleibende des letztern spiegelt sich zeit¬ weilig an dem stäten Werden des erstern, und diese Spiegelung setzt deßhalb so das erstere voraus, daß man sagen muß, sie könne actu nur unter Bedingung der Schöpfung des erstern hervortreten, obwohl potentia sie allerdings immer und ewig innerhalb jener Idee, jenes ewigen Urbildes des Menschen, vorhanden und gegenwärtig anzuerkennen sei. -- Muß nun aber die unbewußt schaffende eine Strahlung unsers Wesens als ein Ewiges voraus¬ gesetzt werden, weil es ein Göttliches ist und als solches durch seine schöpferische, immerfort organisch schaffende, den Organismus erhaltende und immer wieder neu erzeugende Macht sich bewährt, so folgt daraus, daß es auch nicht bloß einmal, und bloß in dem kleinen endlichen Kreise des Daseins, welchen wir ein menschliches
einer und derſelbe, und erkennt nur diejenige Veränderung an, welche innerhalb einer und derſelben Individualität durch das Wachsthum der Seele, wie wir es früher be¬ ſprochen haben, gegeben werden kann. Hier haben wir alſo eine Wahrheit, eine tief in unſerm Geiſte begründete und in jedem Augenblicke ſich fühlbar machende Thatſache, welche wir immer wieder hervorheben, auf welche wir immer wieder zurückblicken müſſen, wenn wir über die Ewigkeit unſers Geiſtes zu beſtimmten Begriffen, zu vollkommener Gewißheit gelangen wollen! — Faſſen wir daher jetzt noch einmal in ein Reſultat zuſammen, was alle dieſe vorher¬ gehenden Betrachtungen uns gelehrt haben, ſo möchte ich ſagen: es enthalte die Grundidee unſerer Seele, d. i. jenes ewige göttliche Urbild all' unſers Seins, in ihrem einen Sein, eine zweifache Strahlung höchſten Urweſens, deren eine als unbewußt ſchaffendes Göttliche die raſtloſen Me¬ tamorphoſen unſerer Erſcheinung bedingt und immer wieder erſchafft, während die andere ſich als der in innerer ſtätiger Gegenwart verharrende Geiſt, und als die frei¬ gewordene höhere Hälfte, gleichſam die Blüthe der andern, beweist. — Das Bleibende des letztern ſpiegelt ſich zeit¬ weilig an dem ſtäten Werden des erſtern, und dieſe Spiegelung ſetzt deßhalb ſo das erſtere voraus, daß man ſagen muß, ſie könne actu nur unter Bedingung der Schöpfung des erſtern hervortreten, obwohl potentia ſie allerdings immer und ewig innerhalb jener Idee, jenes ewigen Urbildes des Menſchen, vorhanden und gegenwärtig anzuerkennen ſei. — Muß nun aber die unbewußt ſchaffende eine Strahlung unſers Weſens als ein Ewiges voraus¬ geſetzt werden, weil es ein Göttliches iſt und als ſolches durch ſeine ſchöpferiſche, immerfort organiſch ſchaffende, den Organismus erhaltende und immer wieder neu erzeugende Macht ſich bewährt, ſo folgt daraus, daß es auch nicht bloß einmal, und bloß in dem kleinen endlichen Kreiſe des Daſeins, welchen wir ein menſchliches
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0500"n="484"/>
einer und derſelbe, und erkennt nur diejenige Veränderung<lb/>
an, welche innerhalb einer und derſelben Individualität<lb/>
durch das Wachsthum der Seele, wie wir es früher be¬<lb/>ſprochen haben, gegeben werden kann. Hier haben wir<lb/>
alſo eine Wahrheit, eine tief in unſerm Geiſte begründete<lb/>
und in jedem Augenblicke ſich fühlbar machende Thatſache,<lb/>
welche wir immer wieder hervorheben, auf welche wir immer<lb/>
wieder zurückblicken müſſen, wenn wir über die Ewigkeit<lb/>
unſers Geiſtes zu beſtimmten Begriffen, zu vollkommener<lb/>
Gewißheit gelangen wollen! — Faſſen wir daher jetzt noch<lb/>
einmal in ein Reſultat zuſammen, was alle dieſe vorher¬<lb/>
gehenden Betrachtungen uns gelehrt haben, ſo möchte ich<lb/>ſagen: es enthalte die Grundidee unſerer Seele, d. i. jenes<lb/>
ewige göttliche Urbild all' unſers Seins, in ihrem <hirendition="#g">einen</hi><lb/>
Sein, eine zweifache Strahlung höchſten Urweſens, deren<lb/><hirendition="#g">eine</hi> als unbewußt ſchaffendes Göttliche die raſtloſen Me¬<lb/>
tamorphoſen unſerer Erſcheinung bedingt und immer wieder<lb/>
erſchafft, während <hirendition="#g">die andere</hi>ſich als der in innerer<lb/>ſtätiger Gegenwart verharrende Geiſt, und als die frei¬<lb/>
gewordene höhere Hälfte, gleichſam die Blüthe der andern,<lb/>
beweist. — Das Bleibende des letztern ſpiegelt ſich <hirendition="#g">zeit¬<lb/>
weilig</hi> an dem ſtäten Werden des erſtern, und dieſe<lb/>
Spiegelung ſetzt deßhalb ſo das erſtere voraus, daß man<lb/>ſagen muß, ſie könne <hirendition="#aq">actu</hi> nur unter Bedingung der<lb/>
Schöpfung des erſtern hervortreten, obwohl <hirendition="#aq">potentia</hi>ſie<lb/>
allerdings immer und ewig innerhalb jener Idee, jenes<lb/>
ewigen Urbildes des Menſchen, vorhanden und gegenwärtig<lb/>
anzuerkennen ſei. — Muß nun aber die unbewußt ſchaffende<lb/><hirendition="#g">eine</hi> Strahlung unſers Weſens als ein Ewiges voraus¬<lb/>
geſetzt werden, weil es ein Göttliches iſt und als ſolches<lb/>
durch ſeine ſchöpferiſche, immerfort organiſch ſchaffende, den<lb/>
Organismus erhaltende und immer wieder neu erzeugende<lb/>
Macht ſich bewährt, ſo folgt daraus, daß es auch <hirendition="#g">nicht<lb/>
bloß einmal</hi>, <hirendition="#g">und bloß in dem kleinen endlichen<lb/>
Kreiſe des Daſeins</hi>, <hirendition="#g">welchen wir ein menſchliches<lb/></hi></p></div></body></text></TEI>
[484/0500]
einer und derſelbe, und erkennt nur diejenige Veränderung
an, welche innerhalb einer und derſelben Individualität
durch das Wachsthum der Seele, wie wir es früher be¬
ſprochen haben, gegeben werden kann. Hier haben wir
alſo eine Wahrheit, eine tief in unſerm Geiſte begründete
und in jedem Augenblicke ſich fühlbar machende Thatſache,
welche wir immer wieder hervorheben, auf welche wir immer
wieder zurückblicken müſſen, wenn wir über die Ewigkeit
unſers Geiſtes zu beſtimmten Begriffen, zu vollkommener
Gewißheit gelangen wollen! — Faſſen wir daher jetzt noch
einmal in ein Reſultat zuſammen, was alle dieſe vorher¬
gehenden Betrachtungen uns gelehrt haben, ſo möchte ich
ſagen: es enthalte die Grundidee unſerer Seele, d. i. jenes
ewige göttliche Urbild all' unſers Seins, in ihrem einen
Sein, eine zweifache Strahlung höchſten Urweſens, deren
eine als unbewußt ſchaffendes Göttliche die raſtloſen Me¬
tamorphoſen unſerer Erſcheinung bedingt und immer wieder
erſchafft, während die andere ſich als der in innerer
ſtätiger Gegenwart verharrende Geiſt, und als die frei¬
gewordene höhere Hälfte, gleichſam die Blüthe der andern,
beweist. — Das Bleibende des letztern ſpiegelt ſich zeit¬
weilig an dem ſtäten Werden des erſtern, und dieſe
Spiegelung ſetzt deßhalb ſo das erſtere voraus, daß man
ſagen muß, ſie könne actu nur unter Bedingung der
Schöpfung des erſtern hervortreten, obwohl potentia ſie
allerdings immer und ewig innerhalb jener Idee, jenes
ewigen Urbildes des Menſchen, vorhanden und gegenwärtig
anzuerkennen ſei. — Muß nun aber die unbewußt ſchaffende
eine Strahlung unſers Weſens als ein Ewiges voraus¬
geſetzt werden, weil es ein Göttliches iſt und als ſolches
durch ſeine ſchöpferiſche, immerfort organiſch ſchaffende, den
Organismus erhaltende und immer wieder neu erzeugende
Macht ſich bewährt, ſo folgt daraus, daß es auch nicht
bloß einmal, und bloß in dem kleinen endlichen
Kreiſe des Daſeins, welchen wir ein menſchliches
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/500>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.