ganz andere geworden waren. Nichts desto weniger nun ist all dieses Einzelne, ob zwar an sich vergangen und entschwunden, doch auch wieder nicht ganz entschwunden und verloren, denn es hat uns in Wahrheit als einen Andern zurückgelassen, es hat, wie überhaupt an einer vergänglichen Bildung des Unbewußten der erste bewußte Gedanke, und mit ihm der Geist sich hervorhob, so auch durch sein Vergängliches, das Wachsthum des unvergäng¬ lichen An-sich-seins der Idee geändert und gefördert, und wir erhalten eben dadurch einen Beleg und ein Beispiel mehr, wie etwas zugleich ein Vergängliches und doch zugleich gewissermaßen ein Ewiges sein könne. Erkennen wir aber dieses an, von dem was wir zuvor als ein Zeit¬ liches und Vergängliches in unserer Seele betrauert haben, so wird zugleich dadurch, daß wir zur Ueberzeugung ge¬ langen, auch alle diese Flucht der Zeit bewege sich auf dem Grunde eines Ewigen, unzweifelhaft ein mächtiges Gegengewicht gegen solchen Kummer gegeben.
Will man übrigens so schwierige Gegenstände mit recht gesammeltem Geiste einer längern und schärfern Erwägung unterwerfen, so kommt man wohl dahin, anzuerkennen, daß namentlich die hier erörterte Ueberwirkung des Ver¬ gänglichen in das Ewige, eine Ueberwirkung, welche min¬ destens in ihren allgemeinsten Ergebnissen (namentlich in so weit sie sich innerhalb des Entwicklungsganges der Seele selbst anzeigte) sich nie ganz verkennen lassen konnte, von jeher der wichtigste Grund gewesen ist dafür, daß zu aller Zeit ein untrügliches tiefes Gefühl der Menschheit, wenn auch noch sehr befangen in einer gewissen kindischen Unbe¬ holfenheit der Vorstellungen, sich nicht davon abbringen ließ, auch den vergänglichsten Aeußerungen der Seele ein gewisses Theil-haben an der Ewigkeit zu vindiciren. Glaubte daher z. B. der nordamerikanische Wilde, selbst die ver¬ gängliche Gestaltung des Körpers, die doch im Leben schon immerdar verwest und wieder neu erzeugt wird, werde
ganz andere geworden waren. Nichts deſto weniger nun iſt all dieſes Einzelne, ob zwar an ſich vergangen und entſchwunden, doch auch wieder nicht ganz entſchwunden und verloren, denn es hat uns in Wahrheit als einen Andern zurückgelaſſen, es hat, wie überhaupt an einer vergänglichen Bildung des Unbewußten der erſte bewußte Gedanke, und mit ihm der Geiſt ſich hervorhob, ſo auch durch ſein Vergängliches, das Wachsthum des unvergäng¬ lichen An-ſich-ſeins der Idee geändert und gefördert, und wir erhalten eben dadurch einen Beleg und ein Beiſpiel mehr, wie etwas zugleich ein Vergängliches und doch zugleich gewiſſermaßen ein Ewiges ſein könne. Erkennen wir aber dieſes an, von dem was wir zuvor als ein Zeit¬ liches und Vergängliches in unſerer Seele betrauert haben, ſo wird zugleich dadurch, daß wir zur Ueberzeugung ge¬ langen, auch alle dieſe Flucht der Zeit bewege ſich auf dem Grunde eines Ewigen, unzweifelhaft ein mächtiges Gegengewicht gegen ſolchen Kummer gegeben.
Will man übrigens ſo ſchwierige Gegenſtände mit recht geſammeltem Geiſte einer längern und ſchärfern Erwägung unterwerfen, ſo kommt man wohl dahin, anzuerkennen, daß namentlich die hier erörterte Ueberwirkung des Ver¬ gänglichen in das Ewige, eine Ueberwirkung, welche min¬ deſtens in ihren allgemeinſten Ergebniſſen (namentlich in ſo weit ſie ſich innerhalb des Entwicklungsganges der Seele ſelbſt anzeigte) ſich nie ganz verkennen laſſen konnte, von jeher der wichtigſte Grund geweſen iſt dafür, daß zu aller Zeit ein untrügliches tiefes Gefühl der Menſchheit, wenn auch noch ſehr befangen in einer gewiſſen kindiſchen Unbe¬ holfenheit der Vorſtellungen, ſich nicht davon abbringen ließ, auch den vergänglichſten Aeußerungen der Seele ein gewiſſes Theil-haben an der Ewigkeit zu vindiciren. Glaubte daher z. B. der nordamerikaniſche Wilde, ſelbſt die ver¬ gängliche Geſtaltung des Körpers, die doch im Leben ſchon immerdar verwest und wieder neu erzeugt wird, werde
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0495"n="479"/>
ganz andere geworden waren. Nichts deſto weniger nun<lb/>
iſt all dieſes Einzelne, ob zwar an ſich vergangen und<lb/>
entſchwunden, doch auch wieder <hirendition="#g">nicht ganz</hi> entſchwunden<lb/>
und verloren, denn es hat uns in Wahrheit <hirendition="#g">als einen<lb/>
Andern</hi> zurückgelaſſen, es hat, wie überhaupt an einer<lb/>
vergänglichen Bildung des Unbewußten der erſte bewußte<lb/>
Gedanke, und mit ihm der Geiſt ſich hervorhob, ſo auch<lb/>
durch ſein Vergängliches, das Wachsthum des unvergäng¬<lb/>
lichen An-ſich-ſeins der Idee geändert und gefördert, und<lb/>
wir erhalten eben dadurch einen Beleg und ein Beiſpiel mehr,<lb/>
wie etwas zugleich ein Vergängliches und doch <hirendition="#g">zugleich<lb/>
gewiſſermaßen ein Ewiges</hi>ſein könne. Erkennen<lb/>
wir aber dieſes an, von dem was wir zuvor als ein Zeit¬<lb/>
liches und Vergängliches in unſerer Seele betrauert haben,<lb/>ſo wird zugleich dadurch, daß wir zur Ueberzeugung ge¬<lb/>
langen, auch alle dieſe Flucht der Zeit bewege ſich auf<lb/>
dem Grunde eines Ewigen, unzweifelhaft ein mächtiges<lb/>
Gegengewicht gegen ſolchen Kummer gegeben.</p><lb/><p>Will man übrigens ſo ſchwierige Gegenſtände mit recht<lb/>
geſammeltem Geiſte einer längern und ſchärfern Erwägung<lb/>
unterwerfen, ſo kommt man wohl dahin, anzuerkennen,<lb/>
daß namentlich die hier erörterte Ueberwirkung des Ver¬<lb/>
gänglichen in das Ewige, eine Ueberwirkung, welche min¬<lb/>
deſtens in ihren allgemeinſten Ergebniſſen (namentlich in ſo<lb/>
weit ſie ſich innerhalb des Entwicklungsganges der Seele<lb/>ſelbſt anzeigte) ſich nie ganz verkennen laſſen konnte, von<lb/>
jeher der wichtigſte Grund geweſen iſt dafür, daß zu aller<lb/>
Zeit ein untrügliches tiefes Gefühl der Menſchheit, wenn<lb/>
auch noch ſehr befangen in einer gewiſſen kindiſchen Unbe¬<lb/>
holfenheit der Vorſtellungen, ſich nicht davon abbringen<lb/>
ließ, auch den vergänglichſten Aeußerungen der Seele ein<lb/>
gewiſſes Theil-haben an der Ewigkeit zu vindiciren. Glaubte<lb/>
daher z. B. der nordamerikaniſche Wilde, ſelbſt die ver¬<lb/>
gängliche Geſtaltung des Körpers, die doch im Leben ſchon<lb/>
immerdar verwest und wieder neu erzeugt wird, werde<lb/></p></div></body></text></TEI>
[479/0495]
ganz andere geworden waren. Nichts deſto weniger nun
iſt all dieſes Einzelne, ob zwar an ſich vergangen und
entſchwunden, doch auch wieder nicht ganz entſchwunden
und verloren, denn es hat uns in Wahrheit als einen
Andern zurückgelaſſen, es hat, wie überhaupt an einer
vergänglichen Bildung des Unbewußten der erſte bewußte
Gedanke, und mit ihm der Geiſt ſich hervorhob, ſo auch
durch ſein Vergängliches, das Wachsthum des unvergäng¬
lichen An-ſich-ſeins der Idee geändert und gefördert, und
wir erhalten eben dadurch einen Beleg und ein Beiſpiel mehr,
wie etwas zugleich ein Vergängliches und doch zugleich
gewiſſermaßen ein Ewiges ſein könne. Erkennen
wir aber dieſes an, von dem was wir zuvor als ein Zeit¬
liches und Vergängliches in unſerer Seele betrauert haben,
ſo wird zugleich dadurch, daß wir zur Ueberzeugung ge¬
langen, auch alle dieſe Flucht der Zeit bewege ſich auf
dem Grunde eines Ewigen, unzweifelhaft ein mächtiges
Gegengewicht gegen ſolchen Kummer gegeben.
Will man übrigens ſo ſchwierige Gegenſtände mit recht
geſammeltem Geiſte einer längern und ſchärfern Erwägung
unterwerfen, ſo kommt man wohl dahin, anzuerkennen,
daß namentlich die hier erörterte Ueberwirkung des Ver¬
gänglichen in das Ewige, eine Ueberwirkung, welche min¬
deſtens in ihren allgemeinſten Ergebniſſen (namentlich in ſo
weit ſie ſich innerhalb des Entwicklungsganges der Seele
ſelbſt anzeigte) ſich nie ganz verkennen laſſen konnte, von
jeher der wichtigſte Grund geweſen iſt dafür, daß zu aller
Zeit ein untrügliches tiefes Gefühl der Menſchheit, wenn
auch noch ſehr befangen in einer gewiſſen kindiſchen Unbe¬
holfenheit der Vorſtellungen, ſich nicht davon abbringen
ließ, auch den vergänglichſten Aeußerungen der Seele ein
gewiſſes Theil-haben an der Ewigkeit zu vindiciren. Glaubte
daher z. B. der nordamerikaniſche Wilde, ſelbſt die ver¬
gängliche Geſtaltung des Körpers, die doch im Leben ſchon
immerdar verwest und wieder neu erzeugt wird, werde
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/495>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.