hervortreten wird, wenn eine möglichst gesunde Organisation und Function insbesondere der höhern Nervengebilde erreicht ist, bedarf es gewissermaßen zu einer schönen menschlichen Entwicklung zuerst des Vorwaltens der Gesundheit im Unbe¬ wußten. Leicht aber abzusehen ist es, daß ein fortdauerndes Verhältniß derselben Art da nicht mehr günstig einwirken könne, wo, wie in späteren Perioden, das Vorherrschen des bewußten Geistes über alles Unbewußte in uns immer mehr und mehr ganz eigentlich zur Aufgabe des Daseins geworden ist. Es gibt hier zu eigenen Betrachtungen An¬ laß, wenn man findet, daß selbst im regelmäßigen Gange der Lebensentwicklung, auf einer gewissen Höhe, die Energie der Gesundheit des Unbewußten, in der Mehrzahl etwas nachzulassen bestimmt ist, während dagegen unausgesetzt die Klarheit und Reife des bewußten Geistes zunehmen soll und wirklich, wenn dessen Gesundheit bewahrt wird, immer¬ fort zunehmen wird. Mehr davon wird sich noch ergeben, wenn wir dazu kommen zu erwägen, was überhaupt an der Seele vergänglich und was ewig sei!
Ein zweites Gesetz in dieser Beziehung läßt sich sodann etwa so aussprechen: -- Bei der unendlichen Verschieden¬ heit der innern Qualität der Seelen, der bald höhern und göttlichern, bald geringern und recht eigentlich menschlichen Eigenthümlichkeit derselben ist das Vorwalten der Gesund¬ heit bald der einen, bald der andern Sphäre ihrer Er¬ scheinung von sehr verschiedener Bedeutung. Es zeigt sich nämlich das merkwürdige Verhalten, daß da, wo die Qualität eine geringere und ich möchte sagen rohere ist, in Wahrheit die Gesundheit und Schönheit der bewußten Seele während der reifern Lebensperioden dadurch gehoben werden kann, daß im Unbewußten eine geringere, ja eine gestörte Gesundheit vorkommt. Der eigene Reiz und die gewisse gesunde Schönheit und Kraft des Geistes, welche in dergleichen Individuen oft erst bei leib¬ lichen Krankheiten hervortritt, auch zuweilen sich wieder
hervortreten wird, wenn eine möglichſt geſunde Organiſation und Function insbeſondere der höhern Nervengebilde erreicht iſt, bedarf es gewiſſermaßen zu einer ſchönen menſchlichen Entwicklung zuerſt des Vorwaltens der Geſundheit im Unbe¬ wußten. Leicht aber abzuſehen iſt es, daß ein fortdauerndes Verhältniß derſelben Art da nicht mehr günſtig einwirken könne, wo, wie in ſpäteren Perioden, das Vorherrſchen des bewußten Geiſtes über alles Unbewußte in uns immer mehr und mehr ganz eigentlich zur Aufgabe des Daſeins geworden iſt. Es gibt hier zu eigenen Betrachtungen An¬ laß, wenn man findet, daß ſelbſt im regelmäßigen Gange der Lebensentwicklung, auf einer gewiſſen Höhe, die Energie der Geſundheit des Unbewußten, in der Mehrzahl etwas nachzulaſſen beſtimmt iſt, während dagegen unausgeſetzt die Klarheit und Reife des bewußten Geiſtes zunehmen ſoll und wirklich, wenn deſſen Geſundheit bewahrt wird, immer¬ fort zunehmen wird. Mehr davon wird ſich noch ergeben, wenn wir dazu kommen zu erwägen, was überhaupt an der Seele vergänglich und was ewig ſei!
Ein zweites Geſetz in dieſer Beziehung läßt ſich ſodann etwa ſo ausſprechen: — Bei der unendlichen Verſchieden¬ heit der innern Qualität der Seelen, der bald höhern und göttlichern, bald geringern und recht eigentlich menſchlichen Eigenthümlichkeit derſelben iſt das Vorwalten der Geſund¬ heit bald der einen, bald der andern Sphäre ihrer Er¬ ſcheinung von ſehr verſchiedener Bedeutung. Es zeigt ſich nämlich das merkwürdige Verhalten, daß da, wo die Qualität eine geringere und ich möchte ſagen rohere iſt, in Wahrheit die Geſundheit und Schönheit der bewußten Seele während der reifern Lebensperioden dadurch gehoben werden kann, daß im Unbewußten eine geringere, ja eine geſtörte Geſundheit vorkommt. Der eigene Reiz und die gewiſſe geſunde Schönheit und Kraft des Geiſtes, welche in dergleichen Individuen oft erſt bei leib¬ lichen Krankheiten hervortritt, auch zuweilen ſich wieder
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0444"n="428"/>
hervortreten wird, wenn eine möglichſt geſunde Organiſation<lb/>
und Function insbeſondere der höhern Nervengebilde erreicht<lb/>
iſt, bedarf es gewiſſermaßen zu einer ſchönen menſchlichen<lb/>
Entwicklung zuerſt des Vorwaltens der Geſundheit im Unbe¬<lb/>
wußten. Leicht aber abzuſehen iſt es, daß ein fortdauerndes<lb/>
Verhältniß derſelben Art <hirendition="#g">da</hi> nicht mehr günſtig einwirken<lb/>
könne, wo, wie in ſpäteren Perioden, das Vorherrſchen<lb/>
des bewußten Geiſtes über alles Unbewußte in uns immer<lb/>
mehr und mehr ganz eigentlich zur Aufgabe des Daſeins<lb/>
geworden iſt. Es gibt hier zu eigenen Betrachtungen An¬<lb/>
laß, wenn man findet, daß ſelbſt im regelmäßigen Gange<lb/>
der Lebensentwicklung, auf einer gewiſſen Höhe, die Energie<lb/>
der Geſundheit des Unbewußten, in der Mehrzahl etwas<lb/>
nachzulaſſen beſtimmt iſt, während dagegen unausgeſetzt die<lb/>
Klarheit und Reife des bewußten Geiſtes zunehmen ſoll<lb/>
und wirklich, wenn deſſen Geſundheit bewahrt wird, immer¬<lb/>
fort zunehmen wird. Mehr davon wird ſich noch ergeben,<lb/>
wenn wir dazu kommen zu erwägen, was überhaupt an<lb/>
der Seele vergänglich und was ewig ſei!</p><lb/><p>Ein zweites Geſetz in dieſer Beziehung läßt ſich ſodann<lb/>
etwa <hirendition="#g">ſo</hi> ausſprechen: — Bei der unendlichen Verſchieden¬<lb/>
heit der innern Qualität der Seelen, der bald höhern und<lb/>
göttlichern, bald geringern und recht eigentlich menſchlichen<lb/>
Eigenthümlichkeit derſelben iſt das Vorwalten der Geſund¬<lb/>
heit bald der einen, bald der andern Sphäre ihrer Er¬<lb/>ſcheinung von ſehr verſchiedener Bedeutung. Es zeigt ſich<lb/>
nämlich das merkwürdige Verhalten, daß da, wo die<lb/>
Qualität eine geringere und ich möchte ſagen rohere iſt,<lb/>
in Wahrheit die Geſundheit und Schönheit der bewußten<lb/>
Seele während der reifern Lebensperioden dadurch gehoben<lb/>
werden kann, <hirendition="#g">daß im Unbewußten eine geringere</hi>,<lb/><hirendition="#g">ja eine geſtörte Geſundheit vorkommt</hi>. Der eigene<lb/>
Reiz und die gewiſſe geſunde Schönheit und Kraft des<lb/>
Geiſtes, welche in dergleichen Individuen oft erſt bei leib¬<lb/>
lichen Krankheiten hervortritt, auch zuweilen ſich wieder<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[428/0444]
hervortreten wird, wenn eine möglichſt geſunde Organiſation
und Function insbeſondere der höhern Nervengebilde erreicht
iſt, bedarf es gewiſſermaßen zu einer ſchönen menſchlichen
Entwicklung zuerſt des Vorwaltens der Geſundheit im Unbe¬
wußten. Leicht aber abzuſehen iſt es, daß ein fortdauerndes
Verhältniß derſelben Art da nicht mehr günſtig einwirken
könne, wo, wie in ſpäteren Perioden, das Vorherrſchen
des bewußten Geiſtes über alles Unbewußte in uns immer
mehr und mehr ganz eigentlich zur Aufgabe des Daſeins
geworden iſt. Es gibt hier zu eigenen Betrachtungen An¬
laß, wenn man findet, daß ſelbſt im regelmäßigen Gange
der Lebensentwicklung, auf einer gewiſſen Höhe, die Energie
der Geſundheit des Unbewußten, in der Mehrzahl etwas
nachzulaſſen beſtimmt iſt, während dagegen unausgeſetzt die
Klarheit und Reife des bewußten Geiſtes zunehmen ſoll
und wirklich, wenn deſſen Geſundheit bewahrt wird, immer¬
fort zunehmen wird. Mehr davon wird ſich noch ergeben,
wenn wir dazu kommen zu erwägen, was überhaupt an
der Seele vergänglich und was ewig ſei!
Ein zweites Geſetz in dieſer Beziehung läßt ſich ſodann
etwa ſo ausſprechen: — Bei der unendlichen Verſchieden¬
heit der innern Qualität der Seelen, der bald höhern und
göttlichern, bald geringern und recht eigentlich menſchlichen
Eigenthümlichkeit derſelben iſt das Vorwalten der Geſund¬
heit bald der einen, bald der andern Sphäre ihrer Er¬
ſcheinung von ſehr verſchiedener Bedeutung. Es zeigt ſich
nämlich das merkwürdige Verhalten, daß da, wo die
Qualität eine geringere und ich möchte ſagen rohere iſt,
in Wahrheit die Geſundheit und Schönheit der bewußten
Seele während der reifern Lebensperioden dadurch gehoben
werden kann, daß im Unbewußten eine geringere,
ja eine geſtörte Geſundheit vorkommt. Der eigene
Reiz und die gewiſſe geſunde Schönheit und Kraft des
Geiſtes, welche in dergleichen Individuen oft erſt bei leib¬
lichen Krankheiten hervortritt, auch zuweilen ſich wieder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/444>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.