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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Uebrigens ist allerdings zwischen dem spätern Lebens¬
gange und der ersten Entwicklung, hinsichtlich der unbewußt
vollzogenen Bildungsvorgänge, kein eigentlich wesentlicher
Unterschied. All unser Leben, in wie fern es unbewußt die
Bildung des Organismus erhält, ist ein immer fortzeugen¬
des; wir leben nur indem wir immerfort sterben und immer¬
fort neu erzeugt werden, und in so fern hat also die Leben¬
kunst des bewußten Geistes, die späterhin darüber wacht,
daß dies rastlose Sterben und Zeugen in uns mit Gesetz¬
mäßigkeit und Schönheit von Statten gehe, eigentlich und
im Wesentlichen nichts anderes zu thun als was die Mutter
vollbringt, welche, wenn sie in ihrem Schoße ein neu¬
keimendes Leben trägt, darüber wacht, daß es nicht vor¬
zeitig getrennt und sonst geschädigt werde.

Nach solchen Erörterungen werden wir nun die Frage:
"was ist unter Gesundheit des absolut unbewußten Seelen¬
lebens zu verstehen?" ganz kurz dahin beantworten dürfen:
sie sei das dem Urbilde gerade dieses Menschen
vollkommen angemessene Verhältniß in rastlos
fortgehender Erzeugung
, Zerstörung und stäten
Wiedererzeugung seiner zeitlichen leiblichen Er¬
scheinung
. Alles was wir Nahrungsaufnahme, Blut¬
bereitung, Ernährung, Athmung, Absonderung, geschlecht¬
liche Productivitat, Wärmebildung, Bedingung von Inner¬
vationsströmungen und Muskelregung nennen u. s. w., ist
von obigem Verhältniß umschlossen, und wie sehr von allen
diesen Vorgängen, welche die göttliche Monas unserer Idee
lange vor allem sich Bewußtwerden und auch bei entwickeltem
Bewußtsein immerfort, ohne Mitwirkung desselben leitet, die
Gesundheit des bewußten Seelenlebens abhängt, wird sich
alsbald ergeben.

Eines Umstandes muß jedoch zuvor noch besonders
gedacht werden, nämlich daß keineswegs der Begriff dieser
Gesundheit etwas besonderes zu thun habe mit der geringern
oder höhern Dignität der Seele an und für sich. Auf die

Uebrigens iſt allerdings zwiſchen dem ſpätern Lebens¬
gange und der erſten Entwicklung, hinſichtlich der unbewußt
vollzogenen Bildungsvorgänge, kein eigentlich weſentlicher
Unterſchied. All unſer Leben, in wie fern es unbewußt die
Bildung des Organismus erhält, iſt ein immer fortzeugen¬
des; wir leben nur indem wir immerfort ſterben und immer¬
fort neu erzeugt werden, und in ſo fern hat alſo die Leben¬
kunſt des bewußten Geiſtes, die ſpäterhin darüber wacht,
daß dies raſtloſe Sterben und Zeugen in uns mit Geſetz¬
mäßigkeit und Schönheit von Statten gehe, eigentlich und
im Weſentlichen nichts anderes zu thun als was die Mutter
vollbringt, welche, wenn ſie in ihrem Schoße ein neu¬
keimendes Leben trägt, darüber wacht, daß es nicht vor¬
zeitig getrennt und ſonſt geſchädigt werde.

Nach ſolchen Erörterungen werden wir nun die Frage:
„was iſt unter Geſundheit des abſolut unbewußten Seelen¬
lebens zu verſtehen?“ ganz kurz dahin beantworten dürfen:
ſie ſei das dem Urbilde gerade dieſes Menſchen
vollkommen angemeſſene Verhältniß in raſtlos
fortgehender Erzeugung
, Zerſtörung und ſtäten
Wiedererzeugung ſeiner zeitlichen leiblichen Er¬
ſcheinung
. Alles was wir Nahrungsaufnahme, Blut¬
bereitung, Ernährung, Athmung, Abſonderung, geſchlecht¬
liche Productivitat, Wärmebildung, Bedingung von Inner¬
vationsſtrömungen und Muskelregung nennen u. ſ. w., iſt
von obigem Verhältniß umſchloſſen, und wie ſehr von allen
dieſen Vorgängen, welche die göttliche Monas unſerer Idee
lange vor allem ſich Bewußtwerden und auch bei entwickeltem
Bewußtſein immerfort, ohne Mitwirkung deſſelben leitet, die
Geſundheit des bewußten Seelenlebens abhängt, wird ſich
alsbald ergeben.

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gedacht werden, nämlich daß keineswegs der Begriff dieſer
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[422/0438] Uebrigens iſt allerdings zwiſchen dem ſpätern Lebens¬ gange und der erſten Entwicklung, hinſichtlich der unbewußt vollzogenen Bildungsvorgänge, kein eigentlich weſentlicher Unterſchied. All unſer Leben, in wie fern es unbewußt die Bildung des Organismus erhält, iſt ein immer fortzeugen¬ des; wir leben nur indem wir immerfort ſterben und immer¬ fort neu erzeugt werden, und in ſo fern hat alſo die Leben¬ kunſt des bewußten Geiſtes, die ſpäterhin darüber wacht, daß dies raſtloſe Sterben und Zeugen in uns mit Geſetz¬ mäßigkeit und Schönheit von Statten gehe, eigentlich und im Weſentlichen nichts anderes zu thun als was die Mutter vollbringt, welche, wenn ſie in ihrem Schoße ein neu¬ keimendes Leben trägt, darüber wacht, daß es nicht vor¬ zeitig getrennt und ſonſt geſchädigt werde. Nach ſolchen Erörterungen werden wir nun die Frage: „was iſt unter Geſundheit des abſolut unbewußten Seelen¬ lebens zu verſtehen?“ ganz kurz dahin beantworten dürfen: ſie ſei das dem Urbilde gerade dieſes Menſchen vollkommen angemeſſene Verhältniß in raſtlos fortgehender Erzeugung, Zerſtörung und ſtäten Wiedererzeugung ſeiner zeitlichen leiblichen Er¬ ſcheinung. Alles was wir Nahrungsaufnahme, Blut¬ bereitung, Ernährung, Athmung, Abſonderung, geſchlecht¬ liche Productivitat, Wärmebildung, Bedingung von Inner¬ vationsſtrömungen und Muskelregung nennen u. ſ. w., iſt von obigem Verhältniß umſchloſſen, und wie ſehr von allen dieſen Vorgängen, welche die göttliche Monas unſerer Idee lange vor allem ſich Bewußtwerden und auch bei entwickeltem Bewußtſein immerfort, ohne Mitwirkung deſſelben leitet, die Geſundheit des bewußten Seelenlebens abhängt, wird ſich alsbald ergeben. Eines Umſtandes muß jedoch zuvor noch beſonders gedacht werden, nämlich daß keineswegs der Begriff dieſer Geſundheit etwas beſonderes zu thun habe mit der geringern oder höhern Dignität der Seele an und für ſich. Auf die

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/438>, abgerufen am 25.11.2024.