der Gegenwart sich zu erfreuen, und dabei also auch jener, so zu sagen irdischen oder zeitlichen Seeligkeit theilhaftig zu werden, welche bei unruhiger verzweifelter Stimmung noth¬ wendig unbedingt verloren gehen muß. Beides bedarf viel¬ leicht noch einer etwas nähern Erörterung um über die Wirkungen des erreichten schönen Verhältnisses der Seele zu Gott wahrhaft auf's Reine zu kommen. In erster Be¬ ziehung ist hier namentlich an die Erkenntniß zu erinnern, welche sich früherhin uns schon auf anderm Wege erschlos¬ sen hatte, und welche uns lehrte, daß das Krankhafte und Schlechte, das Zwecklose, Peinliche und Mangelhafte, wel¬ ches die wesentliche Noth des Lebens herbeiführt und den freien höhern Geist beschränkt, belästigt und quält, durch¬ aus nicht im Unbewußten der Welt gegründet sei, sondern erst mit dem Lichte unsers Bewußtseins sich ergebe. Das Unbewußte an und für sich also, eben die reine Offenbarung eines Göttlichen, konnte gar nicht er¬ kranken, war frei vom Bösen und war eben dadurch ohne alle Schuld an jener dem bewußten Geiste nur zu sehr fühlbar werdenden Noth des Lebens. Jedenfalls hat es nämlich etwas weit mehr Beruhigendes und Genügendes, wenn wir uns überzeugen, daß die Uebel und die Qual des Lebens gleichsam erst künstlich durch das Eintreten menschlichen Bewußtseins zu Stande kommen, und daß erst der Mensch, in seinem oft seltsamen Streben zu höherer Entwicklung sich hindurch zu arbeiten, alle die Krankheiten und Widerwärtigkeiten wirklich erschafft, welche ihm nach¬ her zu so harter Qual gereichen, als wenn wir die Krank¬ heit und das Böse in dem Wesen des Unbewußten selbst zu suchen genöthigt wären. Wohl wird deßhalb das Peinliche des Lebens an sich, auch so zwar, oft genug nicht minder scharf empfunden, allein einmal bleibt dann die Hoffnung, daß, je weiter, nicht bloß der Mensch, sondern die Menschheit im Ganzen sich heranbilde, auch mehr und mehr von diesem Verkehrten, Belästigenden, Quälenden bei Seite
der Gegenwart ſich zu erfreuen, und dabei alſo auch jener, ſo zu ſagen irdiſchen oder zeitlichen Seeligkeit theilhaftig zu werden, welche bei unruhiger verzweifelter Stimmung noth¬ wendig unbedingt verloren gehen muß. Beides bedarf viel¬ leicht noch einer etwas nähern Erörterung um über die Wirkungen des erreichten ſchönen Verhältniſſes der Seele zu Gott wahrhaft auf's Reine zu kommen. In erſter Be¬ ziehung iſt hier namentlich an die Erkenntniß zu erinnern, welche ſich früherhin uns ſchon auf anderm Wege erſchloſ¬ ſen hatte, und welche uns lehrte, daß das Krankhafte und Schlechte, das Zweckloſe, Peinliche und Mangelhafte, wel¬ ches die weſentliche Noth des Lebens herbeiführt und den freien höhern Geiſt beſchränkt, beläſtigt und quält, durch¬ aus nicht im Unbewußten der Welt gegründet ſei, ſondern erſt mit dem Lichte unſers Bewußtſeins ſich ergebe. Das Unbewußte an und für ſich alſo, eben die reine Offenbarung eines Göttlichen, konnte gar nicht er¬ kranken, war frei vom Böſen und war eben dadurch ohne alle Schuld an jener dem bewußten Geiſte nur zu ſehr fühlbar werdenden Noth des Lebens. Jedenfalls hat es nämlich etwas weit mehr Beruhigendes und Genügendes, wenn wir uns überzeugen, daß die Uebel und die Qual des Lebens gleichſam erſt künſtlich durch das Eintreten menſchlichen Bewußtſeins zu Stande kommen, und daß erſt der Menſch, in ſeinem oft ſeltſamen Streben zu höherer Entwicklung ſich hindurch zu arbeiten, alle die Krankheiten und Widerwärtigkeiten wirklich erſchafft, welche ihm nach¬ her zu ſo harter Qual gereichen, als wenn wir die Krank¬ heit und das Böſe in dem Weſen des Unbewußten ſelbſt zu ſuchen genöthigt wären. Wohl wird deßhalb das Peinliche des Lebens an ſich, auch ſo zwar, oft genug nicht minder ſcharf empfunden, allein einmal bleibt dann die Hoffnung, daß, je weiter, nicht bloß der Menſch, ſondern die Menſchheit im Ganzen ſich heranbilde, auch mehr und mehr von dieſem Verkehrten, Beläſtigenden, Quälenden bei Seite
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der Gegenwart ſich zu erfreuen, und dabei alſo auch jener,
ſo zu ſagen irdiſchen oder zeitlichen Seeligkeit theilhaftig zu
werden, welche bei unruhiger verzweifelter Stimmung noth¬
wendig unbedingt verloren gehen muß. Beides bedarf viel¬
leicht noch einer etwas nähern Erörterung um über die
Wirkungen des erreichten ſchönen Verhältniſſes der Seele
zu Gott wahrhaft auf's Reine zu kommen. In erſter Be¬
ziehung iſt hier namentlich an die Erkenntniß zu erinnern,
welche ſich früherhin uns ſchon auf anderm Wege erſchloſ¬
ſen hatte, und welche uns lehrte, daß das Krankhafte und
Schlechte, das Zweckloſe, Peinliche und Mangelhafte, wel¬
ches die weſentliche Noth des Lebens herbeiführt und den
freien höhern Geiſt beſchränkt, beläſtigt und quält, durch¬
aus nicht im Unbewußten der Welt gegründet
ſei, ſondern erſt mit dem Lichte unſers Bewußtſeins ſich
ergebe. Das Unbewußte an und für ſich alſo, eben die
reine Offenbarung eines Göttlichen, konnte gar nicht er¬
kranken, war frei vom Böſen und war eben dadurch ohne
alle Schuld an jener dem bewußten Geiſte nur zu ſehr
fühlbar werdenden Noth des Lebens. Jedenfalls hat es
nämlich etwas weit mehr Beruhigendes und Genügendes,
wenn wir uns überzeugen, daß die Uebel und die Qual
des Lebens gleichſam erſt künſtlich durch das Eintreten
menſchlichen Bewußtſeins zu Stande kommen, und daß erſt
der Menſch, in ſeinem oft ſeltſamen Streben zu höherer
Entwicklung ſich hindurch zu arbeiten, alle die Krankheiten
und Widerwärtigkeiten wirklich erſchafft, welche ihm nach¬
her zu ſo harter Qual gereichen, als wenn wir die Krank¬
heit und das Böſe in dem Weſen des Unbewußten ſelbſt
zu ſuchen genöthigt wären. Wohl wird deßhalb das
Peinliche des Lebens an ſich, auch ſo zwar, oft genug nicht
minder ſcharf empfunden, allein einmal bleibt dann die
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/426>, abgerufen am 22.11.2024.
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