Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch hier wird es zunächst unerläßlich zu unterscheiden
zwischen den Beziehungen der Natur zum unbewußten
und den zum bewußten Leben der Seele. In den
ersten Bereich gehört die ganze Fluth der unzähligen Ein¬
wirkungen, durch welche wir in jedem Augenblick unsers
Daseins uns erhalten, genährt, gestört, belebt, erschöpft,
gestimmt und verstimmt finden. Hygiastik, Diätetik und
Arzneimittellehre, Physiologie und Culturgeschichte zählen
und erwägen für gewöhnlich alle diese Dinge, und es liegt
uns hier ganz fern auf irgend eine specielle Würdigung
derselben einzugehen; aber gesagt muß es doch werden, daß
keine dieser Einwirkungen an die fein gegliederte leibliche
Offenbarung der Seele rühren kann, ohne auf irgend eine
Weise bald schwacher bald stärker, doch bis hinauf zu
klingen in die Region des vollsten bewußten geistigen Da¬
seins und Wirkens. -- So etwa erschüttert ein vor einem
Observatorium vorbeirollender Wagen allemal in etwas das
Fernrohr des in der Höhe beobachtenden Astronomen, wenn
auch sonst auf noch so festen Grundlagen das Gebäude
ruht. Auch hier hatte sonst die absolute Trennung eines
Leiblichen und Geistigen, als zweier durchaus und in jeder
Beziehung Verschiedener, die Psychologie ganz rathlos ge¬
macht, denn die Wirkung des einen auf das andere wurde
dadurch unbegreiflich, eine Schwierigkeit die uns jetzt nicht
mehr stören kann. Uebrigens mögen wir allerdings zwischen
den Einwirkungen der Natur, die wesentlich nur die unbe¬
wußte Seite unsers Seelenlebens treffen und denen, die
ganz dem Bewußtsein sich zuwenden, eine bestimmte Unter¬
scheidung eintreten lassen, und berücksichtigen hier eben de߬
halb mehr die letztere, weil sie allein dem reinen Gebiet
der Psychologie angehört. Die erstere ist schon deutlicher
geworden durch das was früher über das Leben der ein¬
zelnen organischen Systeme und Erkrankungen der Gefühle
gesagt ist. Bei der Erörterung der andern ist aber eben¬
falls anzumerken, daß sie auch wieder großentheils gemischt

Auch hier wird es zunächſt unerläßlich zu unterſcheiden
zwiſchen den Beziehungen der Natur zum unbewußten
und den zum bewußten Leben der Seele. In den
erſten Bereich gehört die ganze Fluth der unzähligen Ein¬
wirkungen, durch welche wir in jedem Augenblick unſers
Daſeins uns erhalten, genährt, geſtört, belebt, erſchöpft,
geſtimmt und verſtimmt finden. Hygiaſtik, Diätetik und
Arzneimittellehre, Phyſiologie und Culturgeſchichte zählen
und erwägen für gewöhnlich alle dieſe Dinge, und es liegt
uns hier ganz fern auf irgend eine ſpecielle Würdigung
derſelben einzugehen; aber geſagt muß es doch werden, daß
keine dieſer Einwirkungen an die fein gegliederte leibliche
Offenbarung der Seele rühren kann, ohne auf irgend eine
Weiſe bald ſchwacher bald ſtärker, doch bis hinauf zu
klingen in die Region des vollſten bewußten geiſtigen Da¬
ſeins und Wirkens. — So etwa erſchüttert ein vor einem
Obſervatorium vorbeirollender Wagen allemal in etwas das
Fernrohr des in der Höhe beobachtenden Aſtronomen, wenn
auch ſonſt auf noch ſo feſten Grundlagen das Gebäude
ruht. Auch hier hatte ſonſt die abſolute Trennung eines
Leiblichen und Geiſtigen, als zweier durchaus und in jeder
Beziehung Verſchiedener, die Pſychologie ganz rathlos ge¬
macht, denn die Wirkung des einen auf das andere wurde
dadurch unbegreiflich, eine Schwierigkeit die uns jetzt nicht
mehr ſtören kann. Uebrigens mögen wir allerdings zwiſchen
den Einwirkungen der Natur, die weſentlich nur die unbe¬
wußte Seite unſers Seelenlebens treffen und denen, die
ganz dem Bewußtſein ſich zuwenden, eine beſtimmte Unter¬
ſcheidung eintreten laſſen, und berückſichtigen hier eben de߬
halb mehr die letztere, weil ſie allein dem reinen Gebiet
der Pſychologie angehört. Die erſtere iſt ſchon deutlicher
geworden durch das was früher über das Leben der ein¬
zelnen organiſchen Syſteme und Erkrankungen der Gefühle
geſagt iſt. Bei der Erörterung der andern iſt aber eben¬
falls anzumerken, daß ſie auch wieder großentheils gemiſcht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0408" n="392"/>
          <p>Auch hier wird es zunäch&#x017F;t unerläßlich zu unter&#x017F;cheiden<lb/>
zwi&#x017F;chen den Beziehungen der Natur <hi rendition="#g">zum unbewußten</hi><lb/>
und den <hi rendition="#g">zum bewußten Leben der Seele</hi>. In den<lb/>
er&#x017F;ten Bereich gehört die ganze Fluth der unzähligen Ein¬<lb/>
wirkungen, durch welche wir in jedem Augenblick un&#x017F;ers<lb/>
Da&#x017F;eins uns erhalten, genährt, ge&#x017F;tört, belebt, er&#x017F;chöpft,<lb/>
ge&#x017F;timmt und ver&#x017F;timmt finden. Hygia&#x017F;tik, Diätetik und<lb/>
Arzneimittellehre, Phy&#x017F;iologie und Culturge&#x017F;chichte zählen<lb/>
und erwägen für gewöhnlich alle die&#x017F;e Dinge, und es liegt<lb/>
uns hier ganz fern auf irgend eine &#x017F;pecielle Würdigung<lb/>
der&#x017F;elben einzugehen; aber ge&#x017F;agt muß es doch werden, daß<lb/>
keine die&#x017F;er Einwirkungen an die fein gegliederte leibliche<lb/>
Offenbarung der Seele rühren kann, ohne auf irgend eine<lb/>
Wei&#x017F;e bald &#x017F;chwacher bald &#x017F;tärker, doch bis hinauf zu<lb/>
klingen in die Region des voll&#x017F;ten bewußten gei&#x017F;tigen Da¬<lb/>
&#x017F;eins und Wirkens. &#x2014; So etwa er&#x017F;chüttert ein vor einem<lb/>
Ob&#x017F;ervatorium vorbeirollender Wagen allemal in etwas das<lb/>
Fernrohr des in der Höhe beobachtenden A&#x017F;tronomen, wenn<lb/>
auch &#x017F;on&#x017F;t auf noch &#x017F;o fe&#x017F;ten Grundlagen das Gebäude<lb/>
ruht. Auch hier hatte &#x017F;on&#x017F;t die ab&#x017F;olute Trennung eines<lb/>
Leiblichen und Gei&#x017F;tigen, als zweier durchaus und in jeder<lb/>
Beziehung Ver&#x017F;chiedener, die P&#x017F;ychologie ganz rathlos ge¬<lb/>
macht, denn die Wirkung des einen auf das andere wurde<lb/>
dadurch unbegreiflich, eine Schwierigkeit die uns jetzt nicht<lb/>
mehr &#x017F;tören kann. Uebrigens mögen wir allerdings zwi&#x017F;chen<lb/>
den Einwirkungen der Natur, die we&#x017F;entlich nur die unbe¬<lb/>
wußte Seite un&#x017F;ers Seelenlebens treffen und denen, die<lb/>
ganz dem Bewußt&#x017F;ein &#x017F;ich zuwenden, eine be&#x017F;timmte Unter¬<lb/>
&#x017F;cheidung eintreten la&#x017F;&#x017F;en, und berück&#x017F;ichtigen hier eben de߬<lb/>
halb mehr die letztere, weil &#x017F;ie allein dem reinen Gebiet<lb/>
der P&#x017F;ychologie angehört. Die er&#x017F;tere i&#x017F;t &#x017F;chon deutlicher<lb/>
geworden durch das was früher über das Leben der ein¬<lb/>
zelnen organi&#x017F;chen Sy&#x017F;teme und Erkrankungen der Gefühle<lb/>
ge&#x017F;agt i&#x017F;t. Bei der Erörterung der andern i&#x017F;t aber eben¬<lb/>
falls anzumerken, daß &#x017F;ie auch wieder großentheils gemi&#x017F;cht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0408] Auch hier wird es zunächſt unerläßlich zu unterſcheiden zwiſchen den Beziehungen der Natur zum unbewußten und den zum bewußten Leben der Seele. In den erſten Bereich gehört die ganze Fluth der unzähligen Ein¬ wirkungen, durch welche wir in jedem Augenblick unſers Daſeins uns erhalten, genährt, geſtört, belebt, erſchöpft, geſtimmt und verſtimmt finden. Hygiaſtik, Diätetik und Arzneimittellehre, Phyſiologie und Culturgeſchichte zählen und erwägen für gewöhnlich alle dieſe Dinge, und es liegt uns hier ganz fern auf irgend eine ſpecielle Würdigung derſelben einzugehen; aber geſagt muß es doch werden, daß keine dieſer Einwirkungen an die fein gegliederte leibliche Offenbarung der Seele rühren kann, ohne auf irgend eine Weiſe bald ſchwacher bald ſtärker, doch bis hinauf zu klingen in die Region des vollſten bewußten geiſtigen Da¬ ſeins und Wirkens. — So etwa erſchüttert ein vor einem Obſervatorium vorbeirollender Wagen allemal in etwas das Fernrohr des in der Höhe beobachtenden Aſtronomen, wenn auch ſonſt auf noch ſo feſten Grundlagen das Gebäude ruht. Auch hier hatte ſonſt die abſolute Trennung eines Leiblichen und Geiſtigen, als zweier durchaus und in jeder Beziehung Verſchiedener, die Pſychologie ganz rathlos ge¬ macht, denn die Wirkung des einen auf das andere wurde dadurch unbegreiflich, eine Schwierigkeit die uns jetzt nicht mehr ſtören kann. Uebrigens mögen wir allerdings zwiſchen den Einwirkungen der Natur, die weſentlich nur die unbe¬ wußte Seite unſers Seelenlebens treffen und denen, die ganz dem Bewußtſein ſich zuwenden, eine beſtimmte Unter¬ ſcheidung eintreten laſſen, und berückſichtigen hier eben de߬ halb mehr die letztere, weil ſie allein dem reinen Gebiet der Pſychologie angehört. Die erſtere iſt ſchon deutlicher geworden durch das was früher über das Leben der ein¬ zelnen organiſchen Syſteme und Erkrankungen der Gefühle geſagt iſt. Bei der Erörterung der andern iſt aber eben¬ falls anzumerken, daß ſie auch wieder großentheils gemiſcht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/408
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/408>, abgerufen am 22.11.2024.