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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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pathie und Sympathie schon mehrfach erwähnt haben, theils
in den Beziehungen des kranken Lebens, welche wir mit
den Worten der Ansteckung und magnetischen Heilswirkung
bezeichnen.

Was Sympathie und Antipathie betrifft, so wird dies
mit Recht ein Geheimniß genannt, weil es, eben in wie
fern es dem Unbewußten angehört, dem bewußten Seelen¬
leben immerdar in seiner Wurzel verborgen bleiben und
nur in seinen Wirkungen bemerklich werden wird. Darin
aber, wie die grundwesentliche Qualität der Idee ist, und
darin, wie in Folge dieses, in erster ganz unbewußter
Bildung die feinsten Fäden der Organisation gesponnen
und gewoben sind, wird es zuletzt doch allemal wesentlich
gesucht werden müssen, wenn, ganz unabhängig von aller
Reflexion, eine Anziehung oder Abstoßung zwischen ver¬
schiedenen Personen sich entwickelt. Irgend weitere Erklä¬
rungen sind gemeinhin hier ganz unmöglich und nur als
Thatsachen manches merkwürdige Verhältniß anzudeuten,
kann hier die Aufgabe sein. Wer aber hätte nicht in seinem
Leben hiefür manches Bedeutende erfahren! Der stille Zug,
welcher uns, wir wissen oft selbst noch nicht warum, gegen
irgend eine Individualität hinzieht, jenes innerlichste Ge¬
fühl, welches uns, bei zufälligem Begegnen mit Menschen,
oft im ersten Augenblick empfinden läßt, mit diesem ist
dir ein tieferer Rapport bestimmt, und mit jenem wirst
du nie dich wahrhaft befreunden können, sie sind sehr merk¬
würdig, und werden oft eigenthümlich durch Lebenserfahrung
bestätigt; zumal dann, wenn wir versuchen, dieweil der
Verstand uns überredet: es sei doch am Ende ein Verhältniß
mit letzterem möglich, und es sei doch besser, von ersterem
sich abzuwenden, diesem Rathe wirklich zu folgen, das Leben
aber nachher nur zu sehr beweist, wie recht das erste
Gefühl hatte. 1 Auch tritt in einzelnen Fällen bei feinen

1 Nicht bloß mit andern Menschen, auch mit ganzen Lebensrichtungen
kann ein solches sympathisches oder antipathisches Vorgefühl begegnen.

pathie und Sympathie ſchon mehrfach erwähnt haben, theils
in den Beziehungen des kranken Lebens, welche wir mit
den Worten der Anſteckung und magnetiſchen Heilswirkung
bezeichnen.

Was Sympathie und Antipathie betrifft, ſo wird dies
mit Recht ein Geheimniß genannt, weil es, eben in wie
fern es dem Unbewußten angehört, dem bewußten Seelen¬
leben immerdar in ſeiner Wurzel verborgen bleiben und
nur in ſeinen Wirkungen bemerklich werden wird. Darin
aber, wie die grundweſentliche Qualität der Idee iſt, und
darin, wie in Folge dieſes, in erſter ganz unbewußter
Bildung die feinſten Fäden der Organiſation geſponnen
und gewoben ſind, wird es zuletzt doch allemal weſentlich
geſucht werden müſſen, wenn, ganz unabhängig von aller
Reflexion, eine Anziehung oder Abſtoßung zwiſchen ver¬
ſchiedenen Perſonen ſich entwickelt. Irgend weitere Erklä¬
rungen ſind gemeinhin hier ganz unmöglich und nur als
Thatſachen manches merkwürdige Verhältniß anzudeuten,
kann hier die Aufgabe ſein. Wer aber hätte nicht in ſeinem
Leben hiefür manches Bedeutende erfahren! Der ſtille Zug,
welcher uns, wir wiſſen oft ſelbſt noch nicht warum, gegen
irgend eine Individualität hinzieht, jenes innerlichſte Ge¬
fühl, welches uns, bei zufälligem Begegnen mit Menſchen,
oft im erſten Augenblick empfinden läßt, mit dieſem iſt
dir ein tieferer Rapport beſtimmt, und mit jenem wirſt
du nie dich wahrhaft befreunden können, ſie ſind ſehr merk¬
würdig, und werden oft eigenthümlich durch Lebenserfahrung
beſtätigt; zumal dann, wenn wir verſuchen, dieweil der
Verſtand uns überredet: es ſei doch am Ende ein Verhältniß
mit letzterem möglich, und es ſei doch beſſer, von erſterem
ſich abzuwenden, dieſem Rathe wirklich zu folgen, das Leben
aber nachher nur zu ſehr beweiſt, wie recht das erſte
Gefühl hatte. 1 Auch tritt in einzelnen Fällen bei feinen

1 Nicht bloß mit andern Menſchen, auch mit ganzen Lebensrichtungen
kann ein ſolches ſympathiſches oder antipathiſches Vorgefühl begegnen.
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[382/0398] pathie und Sympathie ſchon mehrfach erwähnt haben, theils in den Beziehungen des kranken Lebens, welche wir mit den Worten der Anſteckung und magnetiſchen Heilswirkung bezeichnen. Was Sympathie und Antipathie betrifft, ſo wird dies mit Recht ein Geheimniß genannt, weil es, eben in wie fern es dem Unbewußten angehört, dem bewußten Seelen¬ leben immerdar in ſeiner Wurzel verborgen bleiben und nur in ſeinen Wirkungen bemerklich werden wird. Darin aber, wie die grundweſentliche Qualität der Idee iſt, und darin, wie in Folge dieſes, in erſter ganz unbewußter Bildung die feinſten Fäden der Organiſation geſponnen und gewoben ſind, wird es zuletzt doch allemal weſentlich geſucht werden müſſen, wenn, ganz unabhängig von aller Reflexion, eine Anziehung oder Abſtoßung zwiſchen ver¬ ſchiedenen Perſonen ſich entwickelt. Irgend weitere Erklä¬ rungen ſind gemeinhin hier ganz unmöglich und nur als Thatſachen manches merkwürdige Verhältniß anzudeuten, kann hier die Aufgabe ſein. Wer aber hätte nicht in ſeinem Leben hiefür manches Bedeutende erfahren! Der ſtille Zug, welcher uns, wir wiſſen oft ſelbſt noch nicht warum, gegen irgend eine Individualität hinzieht, jenes innerlichſte Ge¬ fühl, welches uns, bei zufälligem Begegnen mit Menſchen, oft im erſten Augenblick empfinden läßt, mit dieſem iſt dir ein tieferer Rapport beſtimmt, und mit jenem wirſt du nie dich wahrhaft befreunden können, ſie ſind ſehr merk¬ würdig, und werden oft eigenthümlich durch Lebenserfahrung beſtätigt; zumal dann, wenn wir verſuchen, dieweil der Verſtand uns überredet: es ſei doch am Ende ein Verhältniß mit letzterem möglich, und es ſei doch beſſer, von erſterem ſich abzuwenden, dieſem Rathe wirklich zu folgen, das Leben aber nachher nur zu ſehr beweiſt, wie recht das erſte Gefühl hatte. 1 Auch tritt in einzelnen Fällen bei feinen 1 Nicht bloß mit andern Menſchen, auch mit ganzen Lebensrichtungen kann ein ſolches ſympathiſches oder antipathiſches Vorgefühl begegnen.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/398>, abgerufen am 22.11.2024.