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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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senden zerstoben ist, noch wie eine gegenwärtige auf mich
wirken kann, so ist diese an eine möglichst unmittelbare
und gleichzeitige Gegenwart gebunden und wird um so
inniger sein, je entschiedener die tiefe Verwandtschaft zweier
Seelen begründet ist. Dieser Gegensatz ist nun wieder an
sich außerordentlich merkwürdig; verfolgen wir ihn aber bis
zu seiner weitesten Ausdehnung, so ergibt sich dann wieder
eine gewisse Umkehrung der Verhältnisse, indem einerseits
das höchste Gewahrwerden bewußter Wirkung wiederum
allein im Stande ist, jenes engste Verhältniß von Seele
zu Seele herbeizuführen, in welchem allein die unbewußte
Wechselwirkung am mächtigsten sich bethätigt, andererseits
aber wieder sich zeigt, daß gerade und insbesondere durch
das unbewußte Ueberwirken von Seele in Seele das Ver¬
hältniß einer Seele zu vielen bedingt wird. Diese schein¬
baren Räthsel werden sich sogleich lösen, wenn wir dem
Gegenstande näher treten.

Es bedarf nämlich nur geringer Ueberlegung, um sich
zu überzeugen, daß die höchste und innigste Beziehung des
Unbewußten einer Seele auf das Unbewußte der andern
allemal irgend wie an das Gefühl der Liebe geknüpft sein
muß. Was nicht durch irgend einen tiefern sympathetischen
Zug einander verbunden ist, sei dieser sogar nur rein auf
organischen Gegensatz gegründet, wird nur schwach als Un¬
bewußtes auf Unbewußtes wirken, dahingegen allemal die
tiefsten Erschütterungen dieser Regionen da hervortreten
müssen, wo durch ein besonderes lebendiges Liebesgefühl
Seele an Seele gebunden ist: ja es ist sehr merkwürdig,
daß alsdann Beziehungen beobachtet worden sind, welche
beweisen, wie wenig sogar ein weites Getrenntsein der
körperlichen Existenz zweier Seelen Gewalt hat, diese Be¬
ziehungen zu stören. Manches der Art kommt von der
dunklen Gefühlsregion aus, mittels gewisser Spiegelungen
auf das bewußte Vorstellungsleben, die wir bald als Ahnun¬
gen, bald als Träume bezeichnen, zur Erkenntniß, und

ſenden zerſtoben iſt, noch wie eine gegenwärtige auf mich
wirken kann, ſo iſt dieſe an eine möglichſt unmittelbare
und gleichzeitige Gegenwart gebunden und wird um ſo
inniger ſein, je entſchiedener die tiefe Verwandtſchaft zweier
Seelen begründet iſt. Dieſer Gegenſatz iſt nun wieder an
ſich außerordentlich merkwürdig; verfolgen wir ihn aber bis
zu ſeiner weiteſten Ausdehnung, ſo ergibt ſich dann wieder
eine gewiſſe Umkehrung der Verhältniſſe, indem einerſeits
das höchſte Gewahrwerden bewußter Wirkung wiederum
allein im Stande iſt, jenes engſte Verhältniß von Seele
zu Seele herbeizuführen, in welchem allein die unbewußte
Wechſelwirkung am mächtigſten ſich bethätigt, andererſeits
aber wieder ſich zeigt, daß gerade und insbeſondere durch
das unbewußte Ueberwirken von Seele in Seele das Ver¬
hältniß einer Seele zu vielen bedingt wird. Dieſe ſchein¬
baren Räthſel werden ſich ſogleich löſen, wenn wir dem
Gegenſtande näher treten.

Es bedarf nämlich nur geringer Ueberlegung, um ſich
zu überzeugen, daß die höchſte und innigſte Beziehung des
Unbewußten einer Seele auf das Unbewußte der andern
allemal irgend wie an das Gefühl der Liebe geknüpft ſein
muß. Was nicht durch irgend einen tiefern ſympathetiſchen
Zug einander verbunden iſt, ſei dieſer ſogar nur rein auf
organiſchen Gegenſatz gegründet, wird nur ſchwach als Un¬
bewußtes auf Unbewußtes wirken, dahingegen allemal die
tiefſten Erſchütterungen dieſer Regionen da hervortreten
müſſen, wo durch ein beſonderes lebendiges Liebesgefühl
Seele an Seele gebunden iſt: ja es iſt ſehr merkwürdig,
daß alsdann Beziehungen beobachtet worden ſind, welche
beweiſen, wie wenig ſogar ein weites Getrenntſein der
körperlichen Exiſtenz zweier Seelen Gewalt hat, dieſe Be¬
ziehungen zu ſtören. Manches der Art kommt von der
dunklen Gefühlsregion aus, mittels gewiſſer Spiegelungen
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[379/0395] ſenden zerſtoben iſt, noch wie eine gegenwärtige auf mich wirken kann, ſo iſt dieſe an eine möglichſt unmittelbare und gleichzeitige Gegenwart gebunden und wird um ſo inniger ſein, je entſchiedener die tiefe Verwandtſchaft zweier Seelen begründet iſt. Dieſer Gegenſatz iſt nun wieder an ſich außerordentlich merkwürdig; verfolgen wir ihn aber bis zu ſeiner weiteſten Ausdehnung, ſo ergibt ſich dann wieder eine gewiſſe Umkehrung der Verhältniſſe, indem einerſeits das höchſte Gewahrwerden bewußter Wirkung wiederum allein im Stande iſt, jenes engſte Verhältniß von Seele zu Seele herbeizuführen, in welchem allein die unbewußte Wechſelwirkung am mächtigſten ſich bethätigt, andererſeits aber wieder ſich zeigt, daß gerade und insbeſondere durch das unbewußte Ueberwirken von Seele in Seele das Ver¬ hältniß einer Seele zu vielen bedingt wird. Dieſe ſchein¬ baren Räthſel werden ſich ſogleich löſen, wenn wir dem Gegenſtande näher treten. Es bedarf nämlich nur geringer Ueberlegung, um ſich zu überzeugen, daß die höchſte und innigſte Beziehung des Unbewußten einer Seele auf das Unbewußte der andern allemal irgend wie an das Gefühl der Liebe geknüpft ſein muß. Was nicht durch irgend einen tiefern ſympathetiſchen Zug einander verbunden iſt, ſei dieſer ſogar nur rein auf organiſchen Gegenſatz gegründet, wird nur ſchwach als Un¬ bewußtes auf Unbewußtes wirken, dahingegen allemal die tiefſten Erſchütterungen dieſer Regionen da hervortreten müſſen, wo durch ein beſonderes lebendiges Liebesgefühl Seele an Seele gebunden iſt: ja es iſt ſehr merkwürdig, daß alsdann Beziehungen beobachtet worden ſind, welche beweiſen, wie wenig ſogar ein weites Getrenntſein der körperlichen Exiſtenz zweier Seelen Gewalt hat, dieſe Be¬ ziehungen zu ſtören. Manches der Art kommt von der dunklen Gefühlsregion aus, mittels gewiſſer Spiegelungen auf das bewußte Vorſtellungsleben, die wir bald als Ahnun¬ gen, bald als Träume bezeichnen, zur Erkenntniß, und

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/395>, abgerufen am 22.11.2024.