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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Schimmer und Hauch eines edlern Daseins, welcher der
Form und Bewegung seines Körpers einen Charakter auf¬
drückt, den merkwürdiger Weise auch an Erkenntniß minder
Entwickelte unmittelbar als einen besondern und distinguir¬
ten empfinden, und wenn man eines Theils sagen darf,
daß es schlechterdings unmöglich sei, daß dasjenige, was
wir höhere Schönheit des Leibes nennen, sich jemals ent¬
wickeln könne, wenn nicht in der Grundidee dieses Da¬
seins überhaupt eine höhere Tonart angeschlagen sei, so ist
dagegen sonderbar, daß hinwiederum eine plastisch ganz
vollendete Schönheit jene Bethätigung der Erkenntniß auf
geistige Weise selten in ausgezeichnetem Maße zu gestatten
scheint, vielleicht gerade deßhalb, weil gewissermaßen die
Erkenntniß in der Krystallisation des Unbewußten so zu
sagen untergegangen ist, während in minder ausnehmend
schön gegliederter Organisation gleichsam die lebendige Macht
der Seele und des Geistes eine minder gebundene, nie
ganz im Formellen untergegangene sein wird. -- Die Art
und Weise, nach welcher eine gewisse Entwicklung und Rich¬
tung der Erkenntniß in dieser oder jener Gegend des Or¬
ganismus sich kund gibt, ist schwer zu verfolgen und wird
auch künftig eine der verwickeltsten Aufgaben der Physiologie
bleiben; hier hat man sich vorläufig daran zu halten, daß
unbewußtes bildendes Leben der Seele in nächster Beziehung
steht zu derjenigen unbewußten Region, in welche periodisch
alles erkennende geistige Leben zurücksinkt, und daß, wenn
die Blüthe des letztern, der bewußte Geist, veredelt oder
verdumpft wird, auch das erstere nothwendig dadurch in
sich wesentlich modificirt werden muß. Uebrigens erklärt
der oben ausgesprochene Gedanke über das Verhältniß der
leiblichen Schönheit zur Erkenntniß, nicht nur, warum über¬
haupt das was man plastisch schöne Vollendung der Ge¬
stalt nennt, mehr eine räumliche Krystallisation einer in
sich bedeutenden Idee genannt werden darf, während dem
freien schönen Gebahren der Idee mit erkennenden Gedan¬

Schimmer und Hauch eines edlern Daſeins, welcher der
Form und Bewegung ſeines Körpers einen Charakter auf¬
drückt, den merkwürdiger Weiſe auch an Erkenntniß minder
Entwickelte unmittelbar als einen beſondern und diſtinguir¬
ten empfinden, und wenn man eines Theils ſagen darf,
daß es ſchlechterdings unmöglich ſei, daß dasjenige, was
wir höhere Schönheit des Leibes nennen, ſich jemals ent¬
wickeln könne, wenn nicht in der Grundidee dieſes Da¬
ſeins überhaupt eine höhere Tonart angeſchlagen ſei, ſo iſt
dagegen ſonderbar, daß hinwiederum eine plaſtiſch ganz
vollendete Schönheit jene Bethätigung der Erkenntniß auf
geiſtige Weiſe ſelten in ausgezeichnetem Maße zu geſtatten
ſcheint, vielleicht gerade deßhalb, weil gewiſſermaßen die
Erkenntniß in der Kryſtalliſation des Unbewußten ſo zu
ſagen untergegangen iſt, während in minder ausnehmend
ſchön gegliederter Organiſation gleichſam die lebendige Macht
der Seele und des Geiſtes eine minder gebundene, nie
ganz im Formellen untergegangene ſein wird. — Die Art
und Weiſe, nach welcher eine gewiſſe Entwicklung und Rich¬
tung der Erkenntniß in dieſer oder jener Gegend des Or¬
ganismus ſich kund gibt, iſt ſchwer zu verfolgen und wird
auch künftig eine der verwickeltſten Aufgaben der Phyſiologie
bleiben; hier hat man ſich vorläufig daran zu halten, daß
unbewußtes bildendes Leben der Seele in nächſter Beziehung
ſteht zu derjenigen unbewußten Region, in welche periodiſch
alles erkennende geiſtige Leben zurückſinkt, und daß, wenn
die Blüthe des letztern, der bewußte Geiſt, veredelt oder
verdumpft wird, auch das erſtere nothwendig dadurch in
ſich weſentlich modificirt werden muß. Uebrigens erklärt
der oben ausgeſprochene Gedanke über das Verhältniß der
leiblichen Schönheit zur Erkenntniß, nicht nur, warum über¬
haupt das was man plaſtiſch ſchöne Vollendung der Ge¬
ſtalt nennt, mehr eine räumliche Kryſtalliſation einer in
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[351/0367] Schimmer und Hauch eines edlern Daſeins, welcher der Form und Bewegung ſeines Körpers einen Charakter auf¬ drückt, den merkwürdiger Weiſe auch an Erkenntniß minder Entwickelte unmittelbar als einen beſondern und diſtinguir¬ ten empfinden, und wenn man eines Theils ſagen darf, daß es ſchlechterdings unmöglich ſei, daß dasjenige, was wir höhere Schönheit des Leibes nennen, ſich jemals ent¬ wickeln könne, wenn nicht in der Grundidee dieſes Da¬ ſeins überhaupt eine höhere Tonart angeſchlagen ſei, ſo iſt dagegen ſonderbar, daß hinwiederum eine plaſtiſch ganz vollendete Schönheit jene Bethätigung der Erkenntniß auf geiſtige Weiſe ſelten in ausgezeichnetem Maße zu geſtatten ſcheint, vielleicht gerade deßhalb, weil gewiſſermaßen die Erkenntniß in der Kryſtalliſation des Unbewußten ſo zu ſagen untergegangen iſt, während in minder ausnehmend ſchön gegliederter Organiſation gleichſam die lebendige Macht der Seele und des Geiſtes eine minder gebundene, nie ganz im Formellen untergegangene ſein wird. — Die Art und Weiſe, nach welcher eine gewiſſe Entwicklung und Rich¬ tung der Erkenntniß in dieſer oder jener Gegend des Or¬ ganismus ſich kund gibt, iſt ſchwer zu verfolgen und wird auch künftig eine der verwickeltſten Aufgaben der Phyſiologie bleiben; hier hat man ſich vorläufig daran zu halten, daß unbewußtes bildendes Leben der Seele in nächſter Beziehung ſteht zu derjenigen unbewußten Region, in welche periodiſch alles erkennende geiſtige Leben zurückſinkt, und daß, wenn die Blüthe des letztern, der bewußte Geiſt, veredelt oder verdumpft wird, auch das erſtere nothwendig dadurch in ſich weſentlich modificirt werden muß. Uebrigens erklärt der oben ausgeſprochene Gedanke über das Verhältniß der leiblichen Schönheit zur Erkenntniß, nicht nur, warum über¬ haupt das was man plaſtiſch ſchöne Vollendung der Ge¬ ſtalt nennt, mehr eine räumliche Kryſtalliſation einer in ſich bedeutenden Idee genannt werden darf, während dem freien ſchönen Gebahren der Idee mit erkennenden Gedan¬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/367>, abgerufen am 22.11.2024.