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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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barungen anderer Ideen möglich wird, nennen wir aber
die Sinne, und so wird es denn klar, daß, näher be¬
stimmt, wir auch sagen dürfen, daß der zweite Grund al¬
ler Erkenntniß in den Sinnen gegeben sei. -- Es führt
nun zu sehr merkwürdigen Betrachtungen, wenn wir weiter
erwägen, daß indeß auch das eigentlich Empfindende im
Sinnesorgan, d. i. der Sinnesnerv, doch niemals das
äußere Object unmittelbar wahrnimmt, sondern (wie
die Physiologie mit größter Bestimmtheit nachweist, s. mein
System d. Phys. 3. Bd. S. 146) daß wir im Nerven nur
Empfindung erhalten von einer gewissen Verän¬
derung der intermediären Substanz
, welche
zwischen den Endumbiegungen der Nerven und
der Außenwelt liegt
. Alles was wir Außenwelt nen¬
nen, d. h. was unsere Vorstellung von einer solchen erregt,
ist also, genau erwogen, nur ein Theil unsers eigenen
Organismus
, und es ist nur eine Folgerung, ein
Schließen, daß etwas außer uns sein müsse, was die zur
Empfindung kommenden Veränderungen jener an und für
sich unbewußten Zwischensubstanz anrege, wodurch wir die
Vorstellung von einer Welt, oder von sich offenbarenden
Ideen außer uns, erhalten. So betrachtet, kann man
also sogar sagen: der Grund aller Erkenntniß liege in
uns selbst, nämlich einmal in der Idee selbst, daß sie eine
solche sei, welche potentia sich zum Bewußtsein erheben
kann, und ein andermal in der unbewußten Offenbarung
der Idee als Organismus, dessen Umstimmungen an und
für sich in der Idee die Vorstellung von einer Außenwelt
veranlassen können und wirklich veranlassen müssen. 1

Je mächtiger also die eigene eingeborene Idee ist und
je klarer und nachhaltiger die Sinne wirken und von je

1 Nur in diesem Sinne hat das Schopenhauer'sche Paradoxon:
"Die Welt ist meine Vorstellung", und überhaupt aller Idealismus voll¬
kommen recht. Die Bürgschaft für die Existenz einer Außenwelt und
anderer Ideen außer der eigenen, liegt bloß in obigem Schluß, und wer
diesen Schluß nicht gelten lassen will, kann apodiktisch nicht widerlegt

barungen anderer Ideen möglich wird, nennen wir aber
die Sinne, und ſo wird es denn klar, daß, näher be¬
ſtimmt, wir auch ſagen dürfen, daß der zweite Grund al¬
ler Erkenntniß in den Sinnen gegeben ſei. — Es führt
nun zu ſehr merkwürdigen Betrachtungen, wenn wir weiter
erwägen, daß indeß auch das eigentlich Empfindende im
Sinnesorgan, d. i. der Sinnesnerv, doch niemals das
äußere Object unmittelbar wahrnimmt, ſondern (wie
die Phyſiologie mit größter Beſtimmtheit nachweist, ſ. mein
Syſtem d. Phyſ. 3. Bd. S. 146) daß wir im Nerven nur
Empfindung erhalten von einer gewiſſen Verän¬
derung der intermediären Subſtanz
, welche
zwiſchen den Endumbiegungen der Nerven und
der Außenwelt liegt
. Alles was wir Außenwelt nen¬
nen, d. h. was unſere Vorſtellung von einer ſolchen erregt,
iſt alſo, genau erwogen, nur ein Theil unſers eigenen
Organismus
, und es iſt nur eine Folgerung, ein
Schließen, daß etwas außer uns ſein müſſe, was die zur
Empfindung kommenden Veränderungen jener an und für
ſich unbewußten Zwiſchenſubſtanz anrege, wodurch wir die
Vorſtellung von einer Welt, oder von ſich offenbarenden
Ideen außer uns, erhalten. So betrachtet, kann man
alſo ſogar ſagen: der Grund aller Erkenntniß liege in
uns ſelbſt, nämlich einmal in der Idee ſelbſt, daß ſie eine
ſolche ſei, welche potentia ſich zum Bewußtſein erheben
kann, und ein andermal in der unbewußten Offenbarung
der Idee als Organismus, deſſen Umſtimmungen an und
für ſich in der Idee die Vorſtellung von einer Außenwelt
veranlaſſen können und wirklich veranlaſſen müſſen. 1

Je mächtiger alſo die eigene eingeborene Idee iſt und
je klarer und nachhaltiger die Sinne wirken und von je

1 Nur in dieſem Sinne hat das Schopenhauer'ſche Paradoxon:
„Die Welt iſt meine Vorſtellung“, und überhaupt aller Idealismus voll¬
kommen recht. Die Bürgſchaft für die Exiſtenz einer Außenwelt und
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[329/0345] barungen anderer Ideen möglich wird, nennen wir aber die Sinne, und ſo wird es denn klar, daß, näher be¬ ſtimmt, wir auch ſagen dürfen, daß der zweite Grund al¬ ler Erkenntniß in den Sinnen gegeben ſei. — Es führt nun zu ſehr merkwürdigen Betrachtungen, wenn wir weiter erwägen, daß indeß auch das eigentlich Empfindende im Sinnesorgan, d. i. der Sinnesnerv, doch niemals das äußere Object unmittelbar wahrnimmt, ſondern (wie die Phyſiologie mit größter Beſtimmtheit nachweist, ſ. mein Syſtem d. Phyſ. 3. Bd. S. 146) daß wir im Nerven nur Empfindung erhalten von einer gewiſſen Verän¬ derung der intermediären Subſtanz, welche zwiſchen den Endumbiegungen der Nerven und der Außenwelt liegt. Alles was wir Außenwelt nen¬ nen, d. h. was unſere Vorſtellung von einer ſolchen erregt, iſt alſo, genau erwogen, nur ein Theil unſers eigenen Organismus, und es iſt nur eine Folgerung, ein Schließen, daß etwas außer uns ſein müſſe, was die zur Empfindung kommenden Veränderungen jener an und für ſich unbewußten Zwiſchenſubſtanz anrege, wodurch wir die Vorſtellung von einer Welt, oder von ſich offenbarenden Ideen außer uns, erhalten. So betrachtet, kann man alſo ſogar ſagen: der Grund aller Erkenntniß liege in uns ſelbſt, nämlich einmal in der Idee ſelbſt, daß ſie eine ſolche ſei, welche potentia ſich zum Bewußtſein erheben kann, und ein andermal in der unbewußten Offenbarung der Idee als Organismus, deſſen Umſtimmungen an und für ſich in der Idee die Vorſtellung von einer Außenwelt veranlaſſen können und wirklich veranlaſſen müſſen. 1 Je mächtiger alſo die eigene eingeborene Idee iſt und je klarer und nachhaltiger die Sinne wirken und von je 1 Nur in dieſem Sinne hat das Schopenhauer'ſche Paradoxon: „Die Welt iſt meine Vorſtellung“, und überhaupt aller Idealismus voll¬ kommen recht. Die Bürgſchaft für die Exiſtenz einer Außenwelt und anderer Ideen außer der eigenen, liegt bloß in obigem Schluß, und wer dieſen Schluß nicht gelten laſſen will, kann apodiktiſch nicht widerlegt

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/345>, abgerufen am 22.11.2024.