Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Letzteres ist eine Bemerkung, welche die volle Beach¬
tung des Psychologen verdient und bisher noch nicht in ge¬
nügendem Grade verfolgt worden ist, obwohl E. Stahl
bereits auf Manches dieser Art sehr bestimmt aufmerksam
gemacht hat. Es ist nämlich gewiß sehr merkwürdig, daß
dem Thun, dem Können, der Kunst des Menschen, hier
ganz ähnliche Bahnen vorgezeichnet sind, als dem Erkennen,
dem Wissen, der Wissenschaft. Wie es eine um so
größere Höhe der Wissenschaft bezeichnet, je tiefer das be¬
wußte Erkennen des Menschen eindringt in das Wahr¬
nehmen der Ideen und Gesetze, welche unbewußt in unserem
eigenen Organismus und in dem der Welterscheinung um
uns her sich bethätigen, wie es eben darum auch die höchste
Aufgabe der Lehre von der Seele ist in die Regionen ein¬
zudringen, wo das Seelenleben noch ganz ohne Bewußtsein
sich wirksam erweist, so wird auch ein jedes Können erst
dadurch wirklich zur Kunst, daß alles Thun, in so fern es
einem gewissen Zweck des Willens dienen soll, wieder an
und für sich unbewußt vollzogen werde und eben dadurch
nun die höchste Leichtigkeit jeder Production begünstige, in¬
dem es nämlich nur dann erst überflüssig wird, daß die
Seele aller der einzelnen Willensäußerungen besonders und
absichtlich gedenke, welche nöthig sind, irgend eine vorgesetzte
That zur Ausführung zu bringen, so daß ihr jetzt, mit
dem Willen
ihn zu erreichen, allein der Zweck rein
und lebendig vorzuschweben braucht, um frisch und leicht
die Kunstthätigkeit zu Erreichung dieses Zwecks in Gang
zu setzen.

Wenden wir uns übrigens wieder zu Dem, was wir
im bewußten Seelenleben das Wissen, das Erkennen nennen,
so verstehen wir gegenwärtig auch, indem wir auf das
Hervorgehen desselben aus dem Unbewußtsein achten, warum
Plato schon alles Erkennenlernen darstellte als ein Er¬
innern
, als ein "im Innern finden"; also da finden
wo bisher noch kein Wissen war, und wo diese

Carus, Psyche. 2

Letzteres iſt eine Bemerkung, welche die volle Beach¬
tung des Pſychologen verdient und bisher noch nicht in ge¬
nügendem Grade verfolgt worden iſt, obwohl E. Stahl
bereits auf Manches dieſer Art ſehr beſtimmt aufmerkſam
gemacht hat. Es iſt nämlich gewiß ſehr merkwürdig, daß
dem Thun, dem Können, der Kunſt des Menſchen, hier
ganz ähnliche Bahnen vorgezeichnet ſind, als dem Erkennen,
dem Wiſſen, der Wiſſenſchaft. Wie es eine um ſo
größere Höhe der Wiſſenſchaft bezeichnet, je tiefer das be¬
wußte Erkennen des Menſchen eindringt in das Wahr¬
nehmen der Ideen und Geſetze, welche unbewußt in unſerem
eigenen Organismus und in dem der Welterſcheinung um
uns her ſich bethätigen, wie es eben darum auch die höchſte
Aufgabe der Lehre von der Seele iſt in die Regionen ein¬
zudringen, wo das Seelenleben noch ganz ohne Bewußtſein
ſich wirkſam erweist, ſo wird auch ein jedes Können erſt
dadurch wirklich zur Kunſt, daß alles Thun, in ſo fern es
einem gewiſſen Zweck des Willens dienen ſoll, wieder an
und für ſich unbewußt vollzogen werde und eben dadurch
nun die höchſte Leichtigkeit jeder Production begünſtige, in¬
dem es nämlich nur dann erſt überflüſſig wird, daß die
Seele aller der einzelnen Willensäußerungen beſonders und
abſichtlich gedenke, welche nöthig ſind, irgend eine vorgeſetzte
That zur Ausführung zu bringen, ſo daß ihr jetzt, mit
dem Willen
ihn zu erreichen, allein der Zweck rein
und lebendig vorzuſchweben braucht, um friſch und leicht
die Kunſtthätigkeit zu Erreichung dieſes Zwecks in Gang
zu ſetzen.

Wenden wir uns übrigens wieder zu Dem, was wir
im bewußten Seelenleben das Wiſſen, das Erkennen nennen,
ſo verſtehen wir gegenwärtig auch, indem wir auf das
Hervorgehen deſſelben aus dem Unbewußtſein achten, warum
Plato ſchon alles Erkennenlernen darſtellte als ein Er¬
innern
, als ein „im Innern finden“; alſo da finden
wo bisher noch kein Wiſſen war, und wo dieſe

Carus, Pſyche. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0033" n="17"/>
        <p>Letzteres i&#x017F;t eine Bemerkung, welche die volle Beach¬<lb/>
tung des P&#x017F;ychologen verdient und bisher noch nicht in ge¬<lb/>
nügendem Grade verfolgt worden i&#x017F;t, obwohl E. <hi rendition="#g">Stahl</hi><lb/>
bereits auf Manches die&#x017F;er Art &#x017F;ehr be&#x017F;timmt aufmerk&#x017F;am<lb/>
gemacht hat. Es i&#x017F;t nämlich gewiß &#x017F;ehr merkwürdig, daß<lb/>
dem Thun, dem Können, der <hi rendition="#g">Kun&#x017F;t</hi> des Men&#x017F;chen, hier<lb/>
ganz ähnliche Bahnen vorgezeichnet &#x017F;ind, als dem Erkennen,<lb/>
dem Wi&#x017F;&#x017F;en, der <hi rendition="#g">Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft</hi>. Wie es eine um &#x017F;o<lb/>
größere Höhe der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft bezeichnet, je tiefer das be¬<lb/>
wußte Erkennen des Men&#x017F;chen eindringt in das Wahr¬<lb/>
nehmen der Ideen und Ge&#x017F;etze, welche unbewußt in un&#x017F;erem<lb/>
eigenen Organismus und in dem der Welter&#x017F;cheinung um<lb/>
uns her &#x017F;ich bethätigen, wie es eben darum auch die höch&#x017F;te<lb/>
Aufgabe der Lehre von der Seele i&#x017F;t in die Regionen ein¬<lb/>
zudringen, wo das Seelenleben noch ganz ohne Bewußt&#x017F;ein<lb/>
&#x017F;ich wirk&#x017F;am erweist, &#x017F;o wird auch ein jedes Können er&#x017F;t<lb/>
dadurch wirklich zur Kun&#x017F;t, daß alles Thun, in &#x017F;o fern es<lb/>
einem gewi&#x017F;&#x017F;en Zweck des Willens dienen &#x017F;oll, wieder an<lb/>
und für &#x017F;ich unbewußt vollzogen werde und eben dadurch<lb/>
nun die höch&#x017F;te Leichtigkeit jeder Production begün&#x017F;tige, in¬<lb/>
dem es nämlich nur dann er&#x017F;t überflü&#x017F;&#x017F;ig wird, daß die<lb/>
Seele aller der einzelnen Willensäußerungen be&#x017F;onders und<lb/>
ab&#x017F;ichtlich gedenke, welche nöthig &#x017F;ind, irgend eine vorge&#x017F;etzte<lb/>
That zur Ausführung zu bringen, &#x017F;o daß ihr jetzt, <hi rendition="#g">mit<lb/>
dem Willen</hi> ihn zu erreichen, allein der <hi rendition="#g">Zweck</hi> rein<lb/>
und lebendig vorzu&#x017F;chweben braucht, um fri&#x017F;ch und leicht<lb/>
die Kun&#x017F;tthätigkeit zu Erreichung die&#x017F;es Zwecks in Gang<lb/>
zu &#x017F;etzen.</p><lb/>
        <p>Wenden wir uns übrigens wieder zu Dem, was wir<lb/>
im bewußten Seelenleben das Wi&#x017F;&#x017F;en, das Erkennen nennen,<lb/>
&#x017F;o ver&#x017F;tehen wir gegenwärtig auch, indem wir auf das<lb/>
Hervorgehen de&#x017F;&#x017F;elben aus dem Unbewußt&#x017F;ein achten, warum<lb/><hi rendition="#g">Plato</hi> &#x017F;chon alles Erkennenlernen dar&#x017F;tellte als ein <hi rendition="#g">Er¬<lb/>
innern</hi>, als ein &#x201E;<hi rendition="#g">im Innern</hi> finden&#x201C;; al&#x017F;o <hi rendition="#g">da</hi> finden<lb/><hi rendition="#g">wo bisher noch kein Wi&#x017F;&#x017F;en</hi> war, und wo die&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Carus</hi>, P&#x017F;yche. 2<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0033] Letzteres iſt eine Bemerkung, welche die volle Beach¬ tung des Pſychologen verdient und bisher noch nicht in ge¬ nügendem Grade verfolgt worden iſt, obwohl E. Stahl bereits auf Manches dieſer Art ſehr beſtimmt aufmerkſam gemacht hat. Es iſt nämlich gewiß ſehr merkwürdig, daß dem Thun, dem Können, der Kunſt des Menſchen, hier ganz ähnliche Bahnen vorgezeichnet ſind, als dem Erkennen, dem Wiſſen, der Wiſſenſchaft. Wie es eine um ſo größere Höhe der Wiſſenſchaft bezeichnet, je tiefer das be¬ wußte Erkennen des Menſchen eindringt in das Wahr¬ nehmen der Ideen und Geſetze, welche unbewußt in unſerem eigenen Organismus und in dem der Welterſcheinung um uns her ſich bethätigen, wie es eben darum auch die höchſte Aufgabe der Lehre von der Seele iſt in die Regionen ein¬ zudringen, wo das Seelenleben noch ganz ohne Bewußtſein ſich wirkſam erweist, ſo wird auch ein jedes Können erſt dadurch wirklich zur Kunſt, daß alles Thun, in ſo fern es einem gewiſſen Zweck des Willens dienen ſoll, wieder an und für ſich unbewußt vollzogen werde und eben dadurch nun die höchſte Leichtigkeit jeder Production begünſtige, in¬ dem es nämlich nur dann erſt überflüſſig wird, daß die Seele aller der einzelnen Willensäußerungen beſonders und abſichtlich gedenke, welche nöthig ſind, irgend eine vorgeſetzte That zur Ausführung zu bringen, ſo daß ihr jetzt, mit dem Willen ihn zu erreichen, allein der Zweck rein und lebendig vorzuſchweben braucht, um friſch und leicht die Kunſtthätigkeit zu Erreichung dieſes Zwecks in Gang zu ſetzen. Wenden wir uns übrigens wieder zu Dem, was wir im bewußten Seelenleben das Wiſſen, das Erkennen nennen, ſo verſtehen wir gegenwärtig auch, indem wir auf das Hervorgehen deſſelben aus dem Unbewußtſein achten, warum Plato ſchon alles Erkennenlernen darſtellte als ein Er¬ innern, als ein „im Innern finden“; alſo da finden wo bisher noch kein Wiſſen war, und wo dieſe Carus, Pſyche. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/33
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/33>, abgerufen am 23.11.2024.