lich geführt! Gehen wir hier der Ursache einer solchen krankhaften Liebe zu Gott tiefer nach, so finden wir, daß diese Liebe, die im wahrhaften und gesunden Sinn allemal eine gewisse höhere Reife der Seele voraussetzt, eben damit es möglich sei das höchste Mysterium auf eine recht würdige Weise zu denken, namentlich dann in Abirrung und Krank¬ heit verfällt, wenn sie in einer Seele mit Heftigkeit sich entzündet, ohne daß diese selbst zuvor eine höhere Reife erreicht, und irgend ein würdiges Erkennen des Göttlichen erfaßt habe. Eine heftige Liebe des Göttlichen in solchem unreifen Zustande mag dann ganz wohl verglichen werden dem Hervortreten des Strebens nach der Geschlechtsliebe, ohne daß zuvor die eigentliche Reife des Geschlechts erlangt worden wäre. So wie diese letztere unter solchen Umständen nicht anders als zur Unnatur und Krankheit führen kann, so wird auch jene erstere unter so unangemessenen Be¬ dingungen den Geist nur zu wüster Schwärmerei, theo¬ sophistischem Unsinn und vollkommener Verrücktheit bringen, ja es ist noch Das insbesondere von ihr zu erwähnen, daß, wenn die reine und ächte Liebe zu Gott eine unend¬ liche Milde und Duldung über den so Liebenden verbreitet, dagegen diese krankhafte Liebe einen wahren Haß und Un¬ frieden gegen Alles nicht unmittelbar auf Gott sich Be¬ ziehende hervorbringen und Unduldsamkeit, ja Vertilgungs¬ lust gegen irgend Andersdenkende veranlassen muß.
Es kann nun hier gar nicht die Absicht sein, weiter einzugehen auf die Schilderung jener Verirrungen, welche eine so kranke Liebe zum Göttlichen aufzeigt; gerade an solchen Schilderungen im Einzelnen ist weder in den bis¬ herigen Psychologien, noch in den Annalen der Irrenhäuser ein Mangel, -- aber es kam nur darauf an, es deutlich zu machen, daß es nicht genug sei, daß heftig geliebt werde, und daß ein hohes Ziel geliebt werde, sondern daß es nöthig sei, daß auch mit höherem Erkennen und auf schöne Weise geliebt werde, wenn diese Liebe
lich geführt! Gehen wir hier der Urſache einer ſolchen krankhaften Liebe zu Gott tiefer nach, ſo finden wir, daß dieſe Liebe, die im wahrhaften und geſunden Sinn allemal eine gewiſſe höhere Reife der Seele vorausſetzt, eben damit es möglich ſei das höchſte Myſterium auf eine recht würdige Weiſe zu denken, namentlich dann in Abirrung und Krank¬ heit verfällt, wenn ſie in einer Seele mit Heftigkeit ſich entzündet, ohne daß dieſe ſelbſt zuvor eine höhere Reife erreicht, und irgend ein würdiges Erkennen des Göttlichen erfaßt habe. Eine heftige Liebe des Göttlichen in ſolchem unreifen Zuſtande mag dann ganz wohl verglichen werden dem Hervortreten des Strebens nach der Geſchlechtsliebe, ohne daß zuvor die eigentliche Reife des Geſchlechts erlangt worden wäre. So wie dieſe letztere unter ſolchen Umſtänden nicht anders als zur Unnatur und Krankheit führen kann, ſo wird auch jene erſtere unter ſo unangemeſſenen Be¬ dingungen den Geiſt nur zu wüſter Schwärmerei, theo¬ ſophiſtiſchem Unſinn und vollkommener Verrücktheit bringen, ja es iſt noch Das insbeſondere von ihr zu erwähnen, daß, wenn die reine und ächte Liebe zu Gott eine unend¬ liche Milde und Duldung über den ſo Liebenden verbreitet, dagegen dieſe krankhafte Liebe einen wahren Haß und Un¬ frieden gegen Alles nicht unmittelbar auf Gott ſich Be¬ ziehende hervorbringen und Unduldſamkeit, ja Vertilgungs¬ luſt gegen irgend Andersdenkende veranlaſſen muß.
Es kann nun hier gar nicht die Abſicht ſein, weiter einzugehen auf die Schilderung jener Verirrungen, welche eine ſo kranke Liebe zum Göttlichen aufzeigt; gerade an ſolchen Schilderungen im Einzelnen iſt weder in den bis¬ herigen Pſychologien, noch in den Annalen der Irrenhäuſer ein Mangel, — aber es kam nur darauf an, es deutlich zu machen, daß es nicht genug ſei, daß heftig geliebt werde, und daß ein hohes Ziel geliebt werde, ſondern daß es nöthig ſei, daß auch mit höherem Erkennen und auf ſchöne Weiſe geliebt werde, wenn dieſe Liebe
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lich geführt! Gehen wir hier der Urſache einer ſolchen
krankhaften Liebe zu Gott tiefer nach, ſo finden wir, daß
dieſe Liebe, die im wahrhaften und geſunden Sinn allemal
eine gewiſſe höhere Reife der Seele vorausſetzt, eben damit
es möglich ſei das höchſte Myſterium auf eine recht würdige
Weiſe zu denken, namentlich dann in Abirrung und Krank¬
heit verfällt, wenn ſie in einer Seele mit Heftigkeit ſich
entzündet, ohne daß dieſe ſelbſt zuvor eine höhere Reife
erreicht, und irgend ein würdiges Erkennen des Göttlichen
erfaßt habe. Eine heftige Liebe des Göttlichen in ſolchem
unreifen Zuſtande mag dann ganz wohl verglichen werden
dem Hervortreten des Strebens nach der Geſchlechtsliebe,
ohne daß zuvor die eigentliche Reife des Geſchlechts erlangt
worden wäre. So wie dieſe letztere unter ſolchen Umſtänden
nicht anders als zur Unnatur und Krankheit führen kann,
ſo wird auch jene erſtere unter ſo unangemeſſenen Be¬
dingungen den Geiſt nur zu wüſter Schwärmerei, theo¬
ſophiſtiſchem Unſinn und vollkommener Verrücktheit bringen,
ja es iſt noch Das insbeſondere von ihr zu erwähnen,
daß, wenn die reine und ächte Liebe zu Gott eine unend¬
liche Milde und Duldung über den ſo Liebenden verbreitet,
dagegen dieſe krankhafte Liebe einen wahren Haß und Un¬
frieden gegen Alles nicht unmittelbar auf Gott ſich Be¬
ziehende hervorbringen und Unduldſamkeit, ja Vertilgungs¬
luſt gegen irgend Andersdenkende veranlaſſen muß.
Es kann nun hier gar nicht die Abſicht ſein, weiter
einzugehen auf die Schilderung jener Verirrungen, welche
eine ſo kranke Liebe zum Göttlichen aufzeigt; gerade an
ſolchen Schilderungen im Einzelnen iſt weder in den bis¬
herigen Pſychologien, noch in den Annalen der Irrenhäuſer
ein Mangel, — aber es kam nur darauf an, es deutlich
zu machen, daß es nicht genug ſei, daß heftig geliebt
werde, und daß ein hohes Ziel geliebt werde, ſondern
daß es nöthig ſei, daß auch mit höherem Erkennen
und auf ſchöne Weiſe geliebt werde, wenn dieſe Liebe
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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