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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Was dagegen die sogenannten niedern Leidenschaften
betrifft, den heftigen Liebeszug, welcher die Seele erfassen
kann gegen ein ihrem eigentlichen göttlichen Wesen ganz
Unwürdiges, gegen irdisches Besitzthum, gegen äußerlichen
Glanz und Ruhm, und gegen bloß leibliche Genüsse, so
verbindet sich hier mit dem einzelnen Glück oder vielmehr
dem bloßen Scheinglück, welches Bestrebungen dieser Art
allein je erreichen können, unerläßlich ein gewisses dunkles
Bewußtsein innerer Erniedrigung
, eine innere
Seelenqual wirklicher Krankheit
, ein Leidenszu¬
stand, welcher sich gar sehr von dem Pathos der ächten
Leidenschaft unterscheidet, und gewöhnlich hier eben so viel
beiträgt zum Sinken und Zurückgehen der Seele, als
jenes Pathos zum Steigen und zum Wachsen der Seele
beitragen kann. In diesem Sinne stehen wir also nicht
an, die sogenannte Leidenschaft des Geizes, der Völlerei,
der liebeleeren Geschlechtslust, des Spiels, des Rennens
nach äußerlicher Auszeichnung, als eine wirkliche krank¬
hafte
, gleich einer schweren, das leibliche Leben gefähr¬
denden Krankheit, dem Leben der Seele Gefahr bringende
Abschweifung der Liebe aufzustellen, und suchen wir nun
für dergleichen Abirrungen einen besondern, von dem der
Leidenschaften unterschiedenen Namen aufzufinden, so können
wir einen bessern nicht als den der Suchten, als mit
welchem Namen leiblicher Weise zerstörende, das Leben auf¬
reibende Krankheiten, Wassersucht, Schwindsucht u. s. w.
bezeichnet zu werden pflegen, aufnehmen. Geldsucht, Ehr¬
sucht, Spielsucht, Trunksucht u. s. w. sind demnach
jedenfalls bessere Namen, als Leidenschaft für das Geld,
die Ehre, das Spiel u. s. w.

Diese Suchten haben mit den wahren Leidenschaften
Das gemein, daß sie ebenfalls durchaus exclusiver Natur
sind, ja sie sind es in gewisser Beziehung noch in weit
höherm Grade, und zwar deßhalb, weil bei dem Sinken
der Seele in ihrer Gefangenschaft durch niedere Endzwecke,

Was dagegen die ſogenannten niedern Leidenſchaften
betrifft, den heftigen Liebeszug, welcher die Seele erfaſſen
kann gegen ein ihrem eigentlichen göttlichen Weſen ganz
Unwürdiges, gegen irdiſches Beſitzthum, gegen äußerlichen
Glanz und Ruhm, und gegen bloß leibliche Genüſſe, ſo
verbindet ſich hier mit dem einzelnen Glück oder vielmehr
dem bloßen Scheinglück, welches Beſtrebungen dieſer Art
allein je erreichen können, unerläßlich ein gewiſſes dunkles
Bewußtſein innerer Erniedrigung
, eine innere
Seelenqual wirklicher Krankheit
, ein Leidenszu¬
ſtand, welcher ſich gar ſehr von dem Pathos der ächten
Leidenſchaft unterſcheidet, und gewöhnlich hier eben ſo viel
beiträgt zum Sinken und Zurückgehen der Seele, als
jenes Pathos zum Steigen und zum Wachſen der Seele
beitragen kann. In dieſem Sinne ſtehen wir alſo nicht
an, die ſogenannte Leidenſchaft des Geizes, der Völlerei,
der liebeleeren Geſchlechtsluſt, des Spiels, des Rennens
nach äußerlicher Auszeichnung, als eine wirkliche krank¬
hafte
, gleich einer ſchweren, das leibliche Leben gefähr¬
denden Krankheit, dem Leben der Seele Gefahr bringende
Abſchweifung der Liebe aufzuſtellen, und ſuchen wir nun
für dergleichen Abirrungen einen beſondern, von dem der
Leidenſchaften unterſchiedenen Namen aufzufinden, ſo können
wir einen beſſern nicht als den der Suchten, als mit
welchem Namen leiblicher Weiſe zerſtörende, das Leben auf¬
reibende Krankheiten, Waſſerſucht, Schwindſucht u. ſ. w.
bezeichnet zu werden pflegen, aufnehmen. Geldſucht, Ehr¬
ſucht, Spielſucht, Trunkſucht u. ſ. w. ſind demnach
jedenfalls beſſere Namen, als Leidenſchaft für das Geld,
die Ehre, das Spiel u. ſ. w.

Dieſe Suchten haben mit den wahren Leidenſchaften
Das gemein, daß ſie ebenfalls durchaus excluſiver Natur
ſind, ja ſie ſind es in gewiſſer Beziehung noch in weit
höherm Grade, und zwar deßhalb, weil bei dem Sinken
der Seele in ihrer Gefangenſchaft durch niedere Endzwecke,

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[302/0318] Was dagegen die ſogenannten niedern Leidenſchaften betrifft, den heftigen Liebeszug, welcher die Seele erfaſſen kann gegen ein ihrem eigentlichen göttlichen Weſen ganz Unwürdiges, gegen irdiſches Beſitzthum, gegen äußerlichen Glanz und Ruhm, und gegen bloß leibliche Genüſſe, ſo verbindet ſich hier mit dem einzelnen Glück oder vielmehr dem bloßen Scheinglück, welches Beſtrebungen dieſer Art allein je erreichen können, unerläßlich ein gewiſſes dunkles Bewußtſein innerer Erniedrigung, eine innere Seelenqual wirklicher Krankheit, ein Leidenszu¬ ſtand, welcher ſich gar ſehr von dem Pathos der ächten Leidenſchaft unterſcheidet, und gewöhnlich hier eben ſo viel beiträgt zum Sinken und Zurückgehen der Seele, als jenes Pathos zum Steigen und zum Wachſen der Seele beitragen kann. In dieſem Sinne ſtehen wir alſo nicht an, die ſogenannte Leidenſchaft des Geizes, der Völlerei, der liebeleeren Geſchlechtsluſt, des Spiels, des Rennens nach äußerlicher Auszeichnung, als eine wirkliche krank¬ hafte, gleich einer ſchweren, das leibliche Leben gefähr¬ denden Krankheit, dem Leben der Seele Gefahr bringende Abſchweifung der Liebe aufzuſtellen, und ſuchen wir nun für dergleichen Abirrungen einen beſondern, von dem der Leidenſchaften unterſchiedenen Namen aufzufinden, ſo können wir einen beſſern nicht als den der Suchten, als mit welchem Namen leiblicher Weiſe zerſtörende, das Leben auf¬ reibende Krankheiten, Waſſerſucht, Schwindſucht u. ſ. w. bezeichnet zu werden pflegen, aufnehmen. Geldſucht, Ehr¬ ſucht, Spielſucht, Trunkſucht u. ſ. w. ſind demnach jedenfalls beſſere Namen, als Leidenſchaft für das Geld, die Ehre, das Spiel u. ſ. w. Dieſe Suchten haben mit den wahren Leidenſchaften Das gemein, daß ſie ebenfalls durchaus excluſiver Natur ſind, ja ſie ſind es in gewiſſer Beziehung noch in weit höherm Grade, und zwar deßhalb, weil bei dem Sinken der Seele in ihrer Gefangenſchaft durch niedere Endzwecke,

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/318>, abgerufen am 22.11.2024.