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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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des Schmerzes, aber es wirkt noch mehr und zwar de߬
halb, weil im Lichte der Erkenntniß auch immer deutlicher
werden muß, was irgend von bloßen Scheinbildern
des Unglücks in der Seele die Trauer erregt hatte, und
was demnach eine wahre Trauer eigentlich nicht verdient.

Es bleiben uns noch die krankhaften Abschweifungen
und das Erlöschen der Trauer zu erwägen. Die erstern
werden auch hier nur, wie bei der Freude, sich ergeben,
wenn da, wo Bewußtsein gefordert wird, das Gefühl ideen¬
los ins Ungemessene herrscht. Je weniger also die Trauer
bloßer Ausdruck der unbewußten Stimmung des Organis¬
mus, und je mehr sie, in wie fern auf Vorstellungen ge¬
gründet, durch recht wesenlose Scheinbilder von Unglück
angeregt wird, um so mehr ist sie als krankhaft und un¬
würdig einer höhern Entwicklung zu betrachten. Daß sie,
wenn bedeutende Verstimmungen des Organismus obwalten
und namentlich das Blutleben in hohem Grade bedrückt ist,
wenn Verbildungen der Leber sich entwickeln und auch ihrer¬
seits auf dem Nervenleben lasten, dergestalt im Uebermaße
hervortreten kann, daß sie als Geisteskrankheit erscheint, in
welcher dann, finster in sich gekehrt, unter Weinen und tiefer
Schwermuth, zuweilen eine ganze Existenz elend dahinschleicht,
bestätigen ärztliche Erfahrungen nur zu oft, ja oftmals
entspringt aus solchen Stimmungen jener krankhafte Selbst¬
mord, von welchem früher bereits die Rede war.

Was das Erlöschen der Trauer betrifft, so wird auch
dies halb vom Unbewußten, halb vom Bewußten gegeben.
Es ist merkwürdig zu beachten, wie gewisse Umstimmungen
im Unbewußten, wenn das Bewußtsein nicht zu entschieden
dagegen streitet, sofort die Trauer zu vernichten im Stande sind!

"Und Sorgenbrecher sind die Reben!"
heißt es nicht ohne guten Grund von einem edlen Wein,
denn wunderbar zerstreuen sich oft gramvolle Gedanken und
trübe Stimmung auch ohne Veränderung äußerer Verhält¬
nisse, wenn es gelingt dem Blutleben einen frischern Auf¬

des Schmerzes, aber es wirkt noch mehr und zwar de߬
halb, weil im Lichte der Erkenntniß auch immer deutlicher
werden muß, was irgend von bloßen Scheinbildern
des Unglücks in der Seele die Trauer erregt hatte, und
was demnach eine wahre Trauer eigentlich nicht verdient.

Es bleiben uns noch die krankhaften Abſchweifungen
und das Erlöſchen der Trauer zu erwägen. Die erſtern
werden auch hier nur, wie bei der Freude, ſich ergeben,
wenn da, wo Bewußtſein gefordert wird, das Gefühl ideen¬
los ins Ungemeſſene herrſcht. Je weniger alſo die Trauer
bloßer Ausdruck der unbewußten Stimmung des Organis¬
mus, und je mehr ſie, in wie fern auf Vorſtellungen ge¬
gründet, durch recht weſenloſe Scheinbilder von Unglück
angeregt wird, um ſo mehr iſt ſie als krankhaft und un¬
würdig einer höhern Entwicklung zu betrachten. Daß ſie,
wenn bedeutende Verſtimmungen des Organismus obwalten
und namentlich das Blutleben in hohem Grade bedrückt iſt,
wenn Verbildungen der Leber ſich entwickeln und auch ihrer¬
ſeits auf dem Nervenleben laſten, dergeſtalt im Uebermaße
hervortreten kann, daß ſie als Geiſteskrankheit erſcheint, in
welcher dann, finſter in ſich gekehrt, unter Weinen und tiefer
Schwermuth, zuweilen eine ganze Exiſtenz elend dahinſchleicht,
beſtätigen ärztliche Erfahrungen nur zu oft, ja oftmals
entſpringt aus ſolchen Stimmungen jener krankhafte Selbſt¬
mord, von welchem früher bereits die Rede war.

Was das Erlöſchen der Trauer betrifft, ſo wird auch
dies halb vom Unbewußten, halb vom Bewußten gegeben.
Es iſt merkwürdig zu beachten, wie gewiſſe Umſtimmungen
im Unbewußten, wenn das Bewußtſein nicht zu entſchieden
dagegen ſtreitet, ſofort die Trauer zu vernichten im Stande ſind!

„Und Sorgenbrecher ſind die Reben!“
heißt es nicht ohne guten Grund von einem edlen Wein,
denn wunderbar zerſtreuen ſich oft gramvolle Gedanken und
trübe Stimmung auch ohne Veränderung äußerer Verhält¬
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[280/0296] des Schmerzes, aber es wirkt noch mehr und zwar de߬ halb, weil im Lichte der Erkenntniß auch immer deutlicher werden muß, was irgend von bloßen Scheinbildern des Unglücks in der Seele die Trauer erregt hatte, und was demnach eine wahre Trauer eigentlich nicht verdient. Es bleiben uns noch die krankhaften Abſchweifungen und das Erlöſchen der Trauer zu erwägen. Die erſtern werden auch hier nur, wie bei der Freude, ſich ergeben, wenn da, wo Bewußtſein gefordert wird, das Gefühl ideen¬ los ins Ungemeſſene herrſcht. Je weniger alſo die Trauer bloßer Ausdruck der unbewußten Stimmung des Organis¬ mus, und je mehr ſie, in wie fern auf Vorſtellungen ge¬ gründet, durch recht weſenloſe Scheinbilder von Unglück angeregt wird, um ſo mehr iſt ſie als krankhaft und un¬ würdig einer höhern Entwicklung zu betrachten. Daß ſie, wenn bedeutende Verſtimmungen des Organismus obwalten und namentlich das Blutleben in hohem Grade bedrückt iſt, wenn Verbildungen der Leber ſich entwickeln und auch ihrer¬ ſeits auf dem Nervenleben laſten, dergeſtalt im Uebermaße hervortreten kann, daß ſie als Geiſteskrankheit erſcheint, in welcher dann, finſter in ſich gekehrt, unter Weinen und tiefer Schwermuth, zuweilen eine ganze Exiſtenz elend dahinſchleicht, beſtätigen ärztliche Erfahrungen nur zu oft, ja oftmals entſpringt aus ſolchen Stimmungen jener krankhafte Selbſt¬ mord, von welchem früher bereits die Rede war. Was das Erlöſchen der Trauer betrifft, ſo wird auch dies halb vom Unbewußten, halb vom Bewußten gegeben. Es iſt merkwürdig zu beachten, wie gewiſſe Umſtimmungen im Unbewußten, wenn das Bewußtſein nicht zu entſchieden dagegen ſtreitet, ſofort die Trauer zu vernichten im Stande ſind! „Und Sorgenbrecher ſind die Reben!“ heißt es nicht ohne guten Grund von einem edlen Wein, denn wunderbar zerſtreuen ſich oft gramvolle Gedanken und trübe Stimmung auch ohne Veränderung äußerer Verhält¬ niſſe, wenn es gelingt dem Blutleben einen friſchern Auf¬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/296>, abgerufen am 23.11.2024.