Trauer nicht entziehen. Wen hingegen unbedeutende flüch¬ tige Aeußerlichkeiten durch ihren Verlust in Trauer versenken, dem zählt man dies allerdings nach als Zeichen geringer seelischer Entwicklung.
Es ist jedoch noch besonders hervorzuheben, daß das eigentliche Gefühl der Trauer keinesweges bloß durch Er¬ kennen des Trauererregenden in uns entsteht, sondern daß immer zugleich das Durchdringen der unbewußten Sphäre gefordert wird, damit der Zustand von Erkenntniß zum Gefühl werde. Fragen wir aber wo insbesondere der Antheil ausgesprochen sei, den das Unbewußte an der Trauer nimmt, so finden wir ihn vorzüglich in demjenigen Walten der unbewußten Seele, welche das Blutleben bestimmt, und nicht ohne tiefes Wahrheitsgefühl haben die Völker von jeher das Herz für wesentlich betheiligt gehalten bei Freude wie bei Trauer. Freilich, so lange man den leiblichen Organismus als ein an sich Seelenloses betrachtete, gleich¬ sam wie einen Mechanismus an dem nur die dahineinge¬ setzte Seele gewisse Fäden anzöge um ihn zu Bewegungen anzuregen, und so lange die Lehre vom unbewußten See¬ lenleben selbst ein unbekanntes Kapitel in der Geschichte der Seele war, konnte man nicht den Gedanken fassen in der Bildung und Strömung des Blutes selbst ein unbe¬ wußtes Seelenleben verehren zu sollen. Wer aber hiemit hinreichend sich vertraut gemacht hat, wem diese Erkennt¬ nisse aufgegangen sind, dem wird auch Blutlauf und Herz¬ schlag zu unbewußtem Denken, und die Welt der Gefühle erscheint ihm großentheils nur als ein Wiederklingen der verschiedenen Stimmungen dieser organischen Kreise im selbstbewußten Geiste. So ist es also falsch, zu sagen: die Trauer wirkt einen langsamern Herzschlag, ein Bleichen der Haut durch Zurückziehen der Blutströmung aus den feinsten Netzen der Oberfläche, ein minder gut bereitetes Blut, ein langsameres schluchzendes Athmen u. s. w., son¬ dern es soll heißen: die Trauer ist theilweise eben alles
Trauer nicht entziehen. Wen hingegen unbedeutende flüch¬ tige Aeußerlichkeiten durch ihren Verluſt in Trauer verſenken, dem zählt man dies allerdings nach als Zeichen geringer ſeeliſcher Entwicklung.
Es iſt jedoch noch beſonders hervorzuheben, daß das eigentliche Gefühl der Trauer keinesweges bloß durch Er¬ kennen des Trauererregenden in uns entſteht, ſondern daß immer zugleich das Durchdringen der unbewußten Sphäre gefordert wird, damit der Zuſtand von Erkenntniß zum Gefühl werde. Fragen wir aber wo insbeſondere der Antheil ausgeſprochen ſei, den das Unbewußte an der Trauer nimmt, ſo finden wir ihn vorzüglich in demjenigen Walten der unbewußten Seele, welche das Blutleben beſtimmt, und nicht ohne tiefes Wahrheitsgefühl haben die Völker von jeher das Herz für weſentlich betheiligt gehalten bei Freude wie bei Trauer. Freilich, ſo lange man den leiblichen Organismus als ein an ſich Seelenloſes betrachtete, gleich¬ ſam wie einen Mechanismus an dem nur die dahineinge¬ ſetzte Seele gewiſſe Fäden anzöge um ihn zu Bewegungen anzuregen, und ſo lange die Lehre vom unbewußten See¬ lenleben ſelbſt ein unbekanntes Kapitel in der Geſchichte der Seele war, konnte man nicht den Gedanken faſſen in der Bildung und Strömung des Blutes ſelbſt ein unbe¬ wußtes Seelenleben verehren zu ſollen. Wer aber hiemit hinreichend ſich vertraut gemacht hat, wem dieſe Erkennt¬ niſſe aufgegangen ſind, dem wird auch Blutlauf und Herz¬ ſchlag zu unbewußtem Denken, und die Welt der Gefühle erſcheint ihm großentheils nur als ein Wiederklingen der verſchiedenen Stimmungen dieſer organiſchen Kreiſe im ſelbſtbewußten Geiſte. So iſt es alſo falſch, zu ſagen: die Trauer wirkt einen langſamern Herzſchlag, ein Bleichen der Haut durch Zurückziehen der Blutſtrömung aus den feinſten Netzen der Oberfläche, ein minder gut bereitetes Blut, ein langſameres ſchluchzendes Athmen u. ſ. w., ſon¬ dern es ſoll heißen: die Trauer iſt theilweiſe eben alles
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Trauer nicht entziehen. Wen hingegen unbedeutende flüch¬
tige Aeußerlichkeiten durch ihren Verluſt in Trauer verſenken,
dem zählt man dies allerdings nach als Zeichen geringer
ſeeliſcher Entwicklung.
Es iſt jedoch noch beſonders hervorzuheben, daß das
eigentliche Gefühl der Trauer keinesweges bloß durch Er¬
kennen des Trauererregenden in uns entſteht, ſondern daß
immer zugleich das Durchdringen der unbewußten Sphäre
gefordert wird, damit der Zuſtand von Erkenntniß zum
Gefühl werde. Fragen wir aber wo insbeſondere der
Antheil ausgeſprochen ſei, den das Unbewußte an der Trauer
nimmt, ſo finden wir ihn vorzüglich in demjenigen Walten
der unbewußten Seele, welche das Blutleben beſtimmt, und
nicht ohne tiefes Wahrheitsgefühl haben die Völker von
jeher das Herz für weſentlich betheiligt gehalten bei Freude
wie bei Trauer. Freilich, ſo lange man den leiblichen
Organismus als ein an ſich Seelenloſes betrachtete, gleich¬
ſam wie einen Mechanismus an dem nur die dahineinge¬
ſetzte Seele gewiſſe Fäden anzöge um ihn zu Bewegungen
anzuregen, und ſo lange die Lehre vom unbewußten See¬
lenleben ſelbſt ein unbekanntes Kapitel in der Geſchichte
der Seele war, konnte man nicht den Gedanken faſſen in
der Bildung und Strömung des Blutes ſelbſt ein unbe¬
wußtes Seelenleben verehren zu ſollen. Wer aber hiemit
hinreichend ſich vertraut gemacht hat, wem dieſe Erkennt¬
niſſe aufgegangen ſind, dem wird auch Blutlauf und Herz¬
ſchlag zu unbewußtem Denken, und die Welt der Gefühle
erſcheint ihm großentheils nur als ein Wiederklingen der
verſchiedenen Stimmungen dieſer organiſchen Kreiſe im
ſelbſtbewußten Geiſte. So iſt es alſo falſch, zu ſagen: die
Trauer wirkt einen langſamern Herzſchlag, ein Bleichen
der Haut durch Zurückziehen der Blutſtrömung aus den
feinſten Netzen der Oberfläche, ein minder gut bereitetes
Blut, ein langſameres ſchluchzendes Athmen u. ſ. w., ſon¬
dern es ſoll heißen: die Trauer iſt theilweiſe eben alles
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/291>, abgerufen am 23.11.2024.
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