wird, je schwächer die Energie und je stärker die Sensibi¬ lität des Individuums ist, erkennen aber im Gegentheil, daß wenn nun die höhere Freudigkeit um so leichter erreicht wird und um so bleibender ist, je mächtiger die Individua¬ lität war, dagegen die Trauer und bleibende Traurigkeit gerade unter solchen Verhältnissen um so weniger zur herr¬ schenden Stimmung werden kann. Das was wir früher das scheinbare Unglück genannt haben, spielt nämlich eine wesentlichste Rolle bei der Entstehung der Trauer, in so fern sie vom bewußten Leben ausgeht, und wenn auch nicht zu läugnen ist, daß eben so das scheinbare Glück einen sehr wesentlichen Theil an Entstehung der Freude habe, so ist es doch gerade die eigentliche Aufgabe des Wachsthums der Seele, das Wahre überhaupt, und also auch das wahre Glück zu erreichen, das wahre Unglück durch und durch von sich zu entfernen, das scheinbare Unglück aber als solches zu erkennen, wodurch letzterm dann eben die Macht genommen ist, das in der Seele zu erregen, was wir Trauer nennen. Wie jedoch ebenfalls früher ausge¬ sprochen wurde, daß in diesem zeitlichen Dasein wir von den Scheinbildern des Glücks und Unglücks nie ganz frei werden können und sollen, so wird auch die Trauer uns nie ganz fehlen dürfen, und die größere Reife des Men¬ schen und somit auch die höhere Würdigkeit der Trauer wird nun dadurch sich anzeigen, daß nur würdige und bedeutende Vorstellungen, als solche die auf ein wahres Unglück deuten, das Gefühl der Trauer erregen und ver¬ stärken. Wenn also die Betrachtung eines gehinderten, vor¬ schnell gehemmten Wachsthums im An-sich-sein einer Idee, oder das Sinken einer Seele gegen das wahre Unglück -- die Unseeligkeit -- oder wenn die Trennung des Verein¬ lebens mit einer ein wahrhaftes Complement unsers Daseins bildenden Seele das Gefühl der Trauer erregt, so liegt auch darin eine gewisse Macht und Würdigkeit, und der Mensch in diesem zeitlichen Dasein kann und soll sich dieser
wird, je ſchwächer die Energie und je ſtärker die Senſibi¬ lität des Individuums iſt, erkennen aber im Gegentheil, daß wenn nun die höhere Freudigkeit um ſo leichter erreicht wird und um ſo bleibender iſt, je mächtiger die Individua¬ lität war, dagegen die Trauer und bleibende Traurigkeit gerade unter ſolchen Verhältniſſen um ſo weniger zur herr¬ ſchenden Stimmung werden kann. Das was wir früher das ſcheinbare Unglück genannt haben, ſpielt nämlich eine weſentlichſte Rolle bei der Entſtehung der Trauer, in ſo fern ſie vom bewußten Leben ausgeht, und wenn auch nicht zu läugnen iſt, daß eben ſo das ſcheinbare Glück einen ſehr weſentlichen Theil an Entſtehung der Freude habe, ſo iſt es doch gerade die eigentliche Aufgabe des Wachsthums der Seele, das Wahre überhaupt, und alſo auch das wahre Glück zu erreichen, das wahre Unglück durch und durch von ſich zu entfernen, das ſcheinbare Unglück aber als ſolches zu erkennen, wodurch letzterm dann eben die Macht genommen iſt, das in der Seele zu erregen, was wir Trauer nennen. Wie jedoch ebenfalls früher ausge¬ ſprochen wurde, daß in dieſem zeitlichen Daſein wir von den Scheinbildern des Glücks und Unglücks nie ganz frei werden können und ſollen, ſo wird auch die Trauer uns nie ganz fehlen dürfen, und die größere Reife des Men¬ ſchen und ſomit auch die höhere Würdigkeit der Trauer wird nun dadurch ſich anzeigen, daß nur würdige und bedeutende Vorſtellungen, als ſolche die auf ein wahres Unglück deuten, das Gefühl der Trauer erregen und ver¬ ſtärken. Wenn alſo die Betrachtung eines gehinderten, vor¬ ſchnell gehemmten Wachsthums im An-ſich-ſein einer Idee, oder das Sinken einer Seele gegen das wahre Unglück — die Unſeeligkeit — oder wenn die Trennung des Verein¬ lebens mit einer ein wahrhaftes Complement unſers Daſeins bildenden Seele das Gefühl der Trauer erregt, ſo liegt auch darin eine gewiſſe Macht und Würdigkeit, und der Menſch in dieſem zeitlichen Daſein kann und ſoll ſich dieſer
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wird, je ſchwächer die Energie und je ſtärker die Senſibi¬
lität des Individuums iſt, erkennen aber im Gegentheil,
daß wenn nun die höhere Freudigkeit um ſo leichter erreicht
wird und um ſo bleibender iſt, je mächtiger die Individua¬
lität war, dagegen die Trauer und bleibende Traurigkeit
gerade unter ſolchen Verhältniſſen um ſo weniger zur herr¬
ſchenden Stimmung werden kann. Das was wir früher
das ſcheinbare Unglück genannt haben, ſpielt nämlich
eine weſentlichſte Rolle bei der Entſtehung der Trauer, in
ſo fern ſie vom bewußten Leben ausgeht, und wenn auch
nicht zu läugnen iſt, daß eben ſo das ſcheinbare Glück einen
ſehr weſentlichen Theil an Entſtehung der Freude habe, ſo
iſt es doch gerade die eigentliche Aufgabe des Wachsthums
der Seele, das Wahre überhaupt, und alſo auch das
wahre Glück zu erreichen, das wahre Unglück durch und
durch von ſich zu entfernen, das ſcheinbare Unglück aber
als ſolches zu erkennen, wodurch letzterm dann eben die
Macht genommen iſt, das in der Seele zu erregen, was
wir Trauer nennen. Wie jedoch ebenfalls früher ausge¬
ſprochen wurde, daß in dieſem zeitlichen Daſein wir von
den Scheinbildern des Glücks und Unglücks nie ganz frei
werden können und ſollen, ſo wird auch die Trauer uns
nie ganz fehlen dürfen, und die größere Reife des Men¬
ſchen und ſomit auch die höhere Würdigkeit der Trauer
wird nun dadurch ſich anzeigen, daß nur würdige und
bedeutende Vorſtellungen, als ſolche die auf ein wahres
Unglück deuten, das Gefühl der Trauer erregen und ver¬
ſtärken. Wenn alſo die Betrachtung eines gehinderten, vor¬
ſchnell gehemmten Wachsthums im An-ſich-ſein einer Idee,
oder das Sinken einer Seele gegen das wahre Unglück —
die Unſeeligkeit — oder wenn die Trennung des Verein¬
lebens mit einer ein wahrhaftes Complement unſers Daſeins
bildenden Seele das Gefühl der Trauer erregt, ſo liegt
auch darin eine gewiſſe Macht und Würdigkeit, und der
Menſch in dieſem zeitlichen Daſein kann und ſoll ſich dieſer
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/290>, abgerufen am 24.11.2024.
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