Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

als belebend darstellt, und es hängt oft scheinbar nur von
geringen Umständen ab, ob mehr die eine oder mehr die
andere Seite seiner Wirksamkeit sich hervorheben soll. 1 Ist
es daher auch seine Thätigkeit im Leben nur eine Richtung
wesentlich zu verfolgen, so wird das Siegel der Universalität
auch dieser einzelnen Richtung unfehlbar aufgeprägt sein;
er wird auch, wo er ein Einzelnes erfaßt, immer verstehen
in ihm das Weltall sich spiegeln zu lassen. -- Gerade das
Gegentheil hievon sind die besondern Geister oder die
großen Talente. Hier ist es die höchste Einseitigkeit, in
welcher es möglich wird, daß keineswegs zwar die gesammte
Idee der Menschheit, dafür aber um so gewaltiger eine
einzelne ganz specielle Richtung derselben, auf eine merk¬
würdige Weise zur Darbildung gelangt. -- Die Urgeister
werden daher eine gewisse allgemeine, allen zukommende
eigenthümliche Weise verrathen und immer in gewisser
Weise sich begegnen, während die besondern Geister, in
welchen gewissermaßen alle besondern Lebensäußerungen und
Lebensinnerungen eigenlebendig sich verkörpern, in unzählig
verschiedenen Strahlen auseinanderweichen. Diese seltsamen
Erscheinungen, in denen oft wahre Verkümmerung aller
andern Geistesgaben, außer der einen deren Träger sie
sind, sich kund gibt, diese Seelen, die bald bloße Rechen¬
maschinen, bald nichts als Virtuosen, bald nichts als Ge¬
dächtnißbücher, bald nichts als Gymnastiker oder Mecha¬

1 Ein ähnlicher Gedanke ist von Carlyle ausgesprochen worden:
"Der Held kann nach der Gestalt der Welt, in der er sich geboren fin¬
det, Dichter, Prophet, König, Priester, oder was Ihr wollt, sein. Ich
bekenne, keinen Begriff zu haben von einem großen Manne, der es nicht
auf jede Weise sein könnte. Er steht im ersten Verkehr mit dem Uni¬
versum, ob auch die Andern alle damit spielten. Er besitzt zuerst und
vor Allen die Tugend der Wahrhaftigkeit. Er ist Offenbarer von dem,
was wir zu thun, was wir zu lieben haben: denn beide Gebiete gehen
in einander über und können nicht getrennt werden."
"Der große Grundcharakter ist immer, daß der Mann groß sei.
Das große Herz, das klare tiefsehende Auge, da liegt's, wer immer er
sei und wo er stehe."
On Heros, Hero- Worship and the heroic in history by Carlyle.

als belebend darſtellt, und es hängt oft ſcheinbar nur von
geringen Umſtänden ab, ob mehr die eine oder mehr die
andere Seite ſeiner Wirkſamkeit ſich hervorheben ſoll. 1 Iſt
es daher auch ſeine Thätigkeit im Leben nur eine Richtung
weſentlich zu verfolgen, ſo wird das Siegel der Univerſalität
auch dieſer einzelnen Richtung unfehlbar aufgeprägt ſein;
er wird auch, wo er ein Einzelnes erfaßt, immer verſtehen
in ihm das Weltall ſich ſpiegeln zu laſſen. — Gerade das
Gegentheil hievon ſind die beſondern Geiſter oder die
großen Talente. Hier iſt es die höchſte Einſeitigkeit, in
welcher es möglich wird, daß keineswegs zwar die geſammte
Idee der Menſchheit, dafür aber um ſo gewaltiger eine
einzelne ganz ſpecielle Richtung derſelben, auf eine merk¬
würdige Weiſe zur Darbildung gelangt. — Die Urgeiſter
werden daher eine gewiſſe allgemeine, allen zukommende
eigenthümliche Weiſe verrathen und immer in gewiſſer
Weiſe ſich begegnen, während die beſondern Geiſter, in
welchen gewiſſermaßen alle beſondern Lebensäußerungen und
Lebensinnerungen eigenlebendig ſich verkörpern, in unzählig
verſchiedenen Strahlen auseinanderweichen. Dieſe ſeltſamen
Erſcheinungen, in denen oft wahre Verkümmerung aller
andern Geiſtesgaben, außer der einen deren Träger ſie
ſind, ſich kund gibt, dieſe Seelen, die bald bloße Rechen¬
maſchinen, bald nichts als Virtuoſen, bald nichts als Ge¬
dächtnißbücher, bald nichts als Gymnaſtiker oder Mecha¬

1 Ein ähnlicher Gedanke iſt von Carlyle ausgeſprochen worden:
„Der Held kann nach der Geſtalt der Welt, in der er ſich geboren fin¬
det, Dichter, Prophet, König, Prieſter, oder was Ihr wollt, ſein. Ich
bekenne, keinen Begriff zu haben von einem großen Manne, der es nicht
auf jede Weiſe ſein könnte. Er ſteht im erſten Verkehr mit dem Uni¬
verſum, ob auch die Andern alle damit ſpielten. Er beſitzt zuerſt und
vor Allen die Tugend der Wahrhaftigkeit. Er iſt Offenbarer von dem,
was wir zu thun, was wir zu lieben haben: denn beide Gebiete gehen
in einander über und können nicht getrennt werden.“
„Der große Grundcharakter iſt immer, daß der Mann groß ſei.
Das große Herz, das klare tiefſehende Auge, da liegt's, wer immer er
ſei und wo er ſtehe.“
On Heros, Hero- Worship and the heroic in history by Carlyle.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0271" n="255"/>
als belebend dar&#x017F;tellt, und es hängt oft &#x017F;cheinbar nur von<lb/>
geringen Um&#x017F;tänden ab, ob mehr die eine oder mehr die<lb/>
andere Seite &#x017F;einer Wirk&#x017F;amkeit &#x017F;ich hervorheben &#x017F;oll. <note place="foot" n="1"><p>Ein ähnlicher Gedanke i&#x017F;t von Carlyle ausge&#x017F;prochen worden:<lb/>
&#x201E;Der Held kann nach der Ge&#x017F;talt der Welt, in der er &#x017F;ich geboren fin¬<lb/>
det, Dichter, Prophet, König, Prie&#x017F;ter, oder was Ihr wollt, &#x017F;ein. Ich<lb/>
bekenne, keinen Begriff zu haben von einem großen Manne, der es nicht<lb/>
auf jede Wei&#x017F;e &#x017F;ein könnte. Er &#x017F;teht im er&#x017F;ten Verkehr mit dem Uni¬<lb/>
ver&#x017F;um, ob auch die Andern alle damit &#x017F;pielten. Er be&#x017F;itzt zuer&#x017F;t und<lb/>
vor Allen die Tugend der Wahrhaftigkeit. Er i&#x017F;t Offenbarer von dem,<lb/>
was wir zu thun, was wir zu <hi rendition="#g">lieben</hi> haben: denn beide Gebiete gehen<lb/>
in einander über und können nicht getrennt werden.&#x201C;</p><lb/><p>&#x201E;Der große Grundcharakter i&#x017F;t immer, daß der Mann groß &#x017F;ei.<lb/>
Das große Herz, das klare tief&#x017F;ehende Auge, da liegt's, wer immer er<lb/>
&#x017F;ei und wo er &#x017F;tehe.&#x201C;</p><lb/><hi rendition="#aq #b">On Heros, Hero- Worship and the heroic in history by Carlyle.</hi><lb/></note> I&#x017F;t<lb/>
es daher auch &#x017F;eine Thätigkeit im Leben nur <hi rendition="#g">eine</hi> Richtung<lb/>
we&#x017F;entlich zu verfolgen, &#x017F;o wird das Siegel der Univer&#x017F;alität<lb/>
auch die&#x017F;er einzelnen Richtung unfehlbar aufgeprägt &#x017F;ein;<lb/>
er wird auch, wo er ein Einzelnes erfaßt, immer ver&#x017F;tehen<lb/>
in ihm das Weltall &#x017F;ich &#x017F;piegeln zu la&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Gerade das<lb/>
Gegentheil hievon &#x017F;ind die <hi rendition="#g">be&#x017F;ondern Gei&#x017F;ter</hi> oder die<lb/>
großen Talente. Hier i&#x017F;t es die höch&#x017F;te Ein&#x017F;eitigkeit, in<lb/>
welcher es möglich wird, daß keineswegs zwar die ge&#x017F;ammte<lb/>
Idee der Men&#x017F;chheit, dafür aber um &#x017F;o gewaltiger eine<lb/>
einzelne ganz &#x017F;pecielle Richtung der&#x017F;elben, auf eine merk¬<lb/>
würdige Wei&#x017F;e zur Darbildung gelangt. &#x2014; Die Urgei&#x017F;ter<lb/>
werden daher eine gewi&#x017F;&#x017F;e allgemeine, allen zukommende<lb/>
eigenthümliche Wei&#x017F;e verrathen und immer in gewi&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Wei&#x017F;e &#x017F;ich begegnen, während die be&#x017F;ondern Gei&#x017F;ter, in<lb/>
welchen gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen alle be&#x017F;ondern Lebensäußerungen und<lb/>
Lebensinnerungen eigenlebendig &#x017F;ich verkörpern, in unzählig<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Strahlen auseinanderweichen. Die&#x017F;e &#x017F;elt&#x017F;amen<lb/>
Er&#x017F;cheinungen, in denen oft wahre Verkümmerung aller<lb/>
andern Gei&#x017F;tesgaben, außer der einen deren Träger &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;ich kund gibt, die&#x017F;e Seelen, die bald bloße Rechen¬<lb/>
ma&#x017F;chinen, bald nichts als Virtuo&#x017F;en, bald nichts als Ge¬<lb/>
dächtnißbücher, bald nichts als Gymna&#x017F;tiker oder Mecha¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0271] als belebend darſtellt, und es hängt oft ſcheinbar nur von geringen Umſtänden ab, ob mehr die eine oder mehr die andere Seite ſeiner Wirkſamkeit ſich hervorheben ſoll. 1 Iſt es daher auch ſeine Thätigkeit im Leben nur eine Richtung weſentlich zu verfolgen, ſo wird das Siegel der Univerſalität auch dieſer einzelnen Richtung unfehlbar aufgeprägt ſein; er wird auch, wo er ein Einzelnes erfaßt, immer verſtehen in ihm das Weltall ſich ſpiegeln zu laſſen. — Gerade das Gegentheil hievon ſind die beſondern Geiſter oder die großen Talente. Hier iſt es die höchſte Einſeitigkeit, in welcher es möglich wird, daß keineswegs zwar die geſammte Idee der Menſchheit, dafür aber um ſo gewaltiger eine einzelne ganz ſpecielle Richtung derſelben, auf eine merk¬ würdige Weiſe zur Darbildung gelangt. — Die Urgeiſter werden daher eine gewiſſe allgemeine, allen zukommende eigenthümliche Weiſe verrathen und immer in gewiſſer Weiſe ſich begegnen, während die beſondern Geiſter, in welchen gewiſſermaßen alle beſondern Lebensäußerungen und Lebensinnerungen eigenlebendig ſich verkörpern, in unzählig verſchiedenen Strahlen auseinanderweichen. Dieſe ſeltſamen Erſcheinungen, in denen oft wahre Verkümmerung aller andern Geiſtesgaben, außer der einen deren Träger ſie ſind, ſich kund gibt, dieſe Seelen, die bald bloße Rechen¬ maſchinen, bald nichts als Virtuoſen, bald nichts als Ge¬ dächtnißbücher, bald nichts als Gymnaſtiker oder Mecha¬ 1 Ein ähnlicher Gedanke iſt von Carlyle ausgeſprochen worden: „Der Held kann nach der Geſtalt der Welt, in der er ſich geboren fin¬ det, Dichter, Prophet, König, Prieſter, oder was Ihr wollt, ſein. Ich bekenne, keinen Begriff zu haben von einem großen Manne, der es nicht auf jede Weiſe ſein könnte. Er ſteht im erſten Verkehr mit dem Uni¬ verſum, ob auch die Andern alle damit ſpielten. Er beſitzt zuerſt und vor Allen die Tugend der Wahrhaftigkeit. Er iſt Offenbarer von dem, was wir zu thun, was wir zu lieben haben: denn beide Gebiete gehen in einander über und können nicht getrennt werden.“ „Der große Grundcharakter iſt immer, daß der Mann groß ſei. Das große Herz, das klare tiefſehende Auge, da liegt's, wer immer er ſei und wo er ſtehe.“ On Heros, Hero- Worship and the heroic in history by Carlyle.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/271
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/271>, abgerufen am 25.11.2024.