Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.es bemerkt werden, daß namentlich auch hinsichtlich der "Es bildet ein Talent sich in der Stille, findet hier vollkommene Anwendung. Es leidet nämlich kei¬Sich ein Charakter im Geräusch der Welt," nen Zweifel, daß, wie etwa starke Uebung der Muskulatur die Umrisse der Gestalt entschiedener herausbildet als Uebung im Denken und im Sinnenleben, eben so die Richtung auf das Thun -- die Richtung gegen das, was wir oben die Weltinnigkeit genannt haben, den Umriß der geistigen Ge¬ stalt -- den Charakter -- entschiedener entwickeln als die Richtung auf das Erkennen und das Gefühl. Es bleibt sogar in dem was wir Charakter nennen immerfort die Richtung auf die Welt, auf thätiges Leben vorherrschend, und wir benennen deßhalb vorzüglich die verschiedenen Cha¬ raktere nach dieser Verschiedenheit. Wir unterscheiden einen strengen, einen sanften, einen heftigen, einen argwöhni¬ schen und verschlossenen, oder einen offenen und redlichen Charakter, u. s. w. und in allem diesen ist immer ganz besonders die Art und Weise, wie das Individuum sich thätig der Welt gegenüberstellt, hervorgehoben. So ist es denn auch merkwürdig darauf zu achten, wie eine Persön¬ lichkeit, deren Richtung im Ganzen mehr auf Erkennen und auf Gefühlsleben gewendet ist, eine sehr hohe Entwicklung erlangen kann, ohne doch zu einem ganz entschiedenen Cha¬ rakter sich durchzubilden; -- Vieles in der Geschichte aus¬ gezeichneter Dichter und Gelehrten erklärt sich erst aus die¬ sem Gesichtspunkte vollkommen. Ueberblickt man aber noch¬ mals Alles, was wir hier über das Wesen der Entwicklung des Geistes bis zum Charakter angeführt haben, so bleibt wohl als ein bestimmtes Resultat übrig, daß die völlige Ausbildung eines Charakters selten ohne eine gewisse Er¬ starrung des Geistes sich begeben wird, ja daß dieses noch weit unvermeidlicher der Fall sein müßte, wenn nicht dem es bemerkt werden, daß namentlich auch hinſichtlich der „Es bildet ein Talent ſich in der Stille, findet hier vollkommene Anwendung. Es leidet nämlich kei¬Sich ein Charakter im Geräuſch der Welt,“ nen Zweifel, daß, wie etwa ſtarke Uebung der Muskulatur die Umriſſe der Geſtalt entſchiedener herausbildet als Uebung im Denken und im Sinnenleben, eben ſo die Richtung auf das Thun — die Richtung gegen das, was wir oben die Weltinnigkeit genannt haben, den Umriß der geiſtigen Ge¬ ſtalt — den Charakter — entſchiedener entwickeln als die Richtung auf das Erkennen und das Gefühl. Es bleibt ſogar in dem was wir Charakter nennen immerfort die Richtung auf die Welt, auf thätiges Leben vorherrſchend, und wir benennen deßhalb vorzüglich die verſchiedenen Cha¬ raktere nach dieſer Verſchiedenheit. Wir unterſcheiden einen ſtrengen, einen ſanften, einen heftigen, einen argwöhni¬ ſchen und verſchloſſenen, oder einen offenen und redlichen Charakter, u. ſ. w. und in allem dieſen iſt immer ganz beſonders die Art und Weiſe, wie das Individuum ſich thätig der Welt gegenüberſtellt, hervorgehoben. So iſt es denn auch merkwürdig darauf zu achten, wie eine Perſön¬ lichkeit, deren Richtung im Ganzen mehr auf Erkennen und auf Gefühlsleben gewendet iſt, eine ſehr hohe Entwicklung erlangen kann, ohne doch zu einem ganz entſchiedenen Cha¬ rakter ſich durchzubilden; — Vieles in der Geſchichte aus¬ gezeichneter Dichter und Gelehrten erklärt ſich erſt aus die¬ ſem Geſichtspunkte vollkommen. Ueberblickt man aber noch¬ mals Alles, was wir hier über das Weſen der Entwicklung des Geiſtes bis zum Charakter angeführt haben, ſo bleibt wohl als ein beſtimmtes Reſultat übrig, daß die völlige Ausbildung eines Charakters ſelten ohne eine gewiſſe Er¬ ſtarrung des Geiſtes ſich begeben wird, ja daß dieſes noch weit unvermeidlicher der Fall ſein müßte, wenn nicht dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0265" n="249"/> es bemerkt werden, daß namentlich auch hinſichtlich der<lb/> Zeitigung der Schärfe des Charakters, die verſchiedene<lb/> Richtung weſentlich einwirkt. Das bedeutende Wort <hi rendition="#g">Göthe's</hi>:<lb/><lg type="poem"><l>„Es bildet ein Talent ſich in der Stille,<lb/></l><l>Sich ein Charakter im Geräuſch der Welt,“<lb/></l></lg> findet hier vollkommene Anwendung. 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es bemerkt werden, daß namentlich auch hinſichtlich der
Zeitigung der Schärfe des Charakters, die verſchiedene
Richtung weſentlich einwirkt. Das bedeutende Wort Göthe's:
„Es bildet ein Talent ſich in der Stille,
Sich ein Charakter im Geräuſch der Welt,“
findet hier vollkommene Anwendung. Es leidet nämlich kei¬
nen Zweifel, daß, wie etwa ſtarke Uebung der Muskulatur
die Umriſſe der Geſtalt entſchiedener herausbildet als Uebung
im Denken und im Sinnenleben, eben ſo die Richtung auf
das Thun — die Richtung gegen das, was wir oben die
Weltinnigkeit genannt haben, den Umriß der geiſtigen Ge¬
ſtalt — den Charakter — entſchiedener entwickeln als die
Richtung auf das Erkennen und das Gefühl. Es bleibt
ſogar in dem was wir Charakter nennen immerfort die
Richtung auf die Welt, auf thätiges Leben vorherrſchend,
und wir benennen deßhalb vorzüglich die verſchiedenen Cha¬
raktere nach dieſer Verſchiedenheit. Wir unterſcheiden einen
ſtrengen, einen ſanften, einen heftigen, einen argwöhni¬
ſchen und verſchloſſenen, oder einen offenen und redlichen
Charakter, u. ſ. w. und in allem dieſen iſt immer ganz
beſonders die Art und Weiſe, wie das Individuum ſich
thätig der Welt gegenüberſtellt, hervorgehoben. So iſt es
denn auch merkwürdig darauf zu achten, wie eine Perſön¬
lichkeit, deren Richtung im Ganzen mehr auf Erkennen und
auf Gefühlsleben gewendet iſt, eine ſehr hohe Entwicklung
erlangen kann, ohne doch zu einem ganz entſchiedenen Cha¬
rakter ſich durchzubilden; — Vieles in der Geſchichte aus¬
gezeichneter Dichter und Gelehrten erklärt ſich erſt aus die¬
ſem Geſichtspunkte vollkommen. Ueberblickt man aber noch¬
mals Alles, was wir hier über das Weſen der Entwicklung
des Geiſtes bis zum Charakter angeführt haben, ſo bleibt
wohl als ein beſtimmtes Reſultat übrig, daß die völlige
Ausbildung eines Charakters ſelten ohne eine gewiſſe Er¬
ſtarrung des Geiſtes ſich begeben wird, ja daß dieſes noch
weit unvermeidlicher der Fall ſein müßte, wenn nicht dem
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