beiden ersten in Wirksamkeit, da, um daß der Geist des Menschen fähig sei des Gebahrens in höchster Weise, d. h. eben als Vernunft, ein durchaus ungetrenntes gleich¬ zeitiges Walten nach allen Richtungen, also auch das Vor¬ handensein eines wirklichen Wissens von der Welt, und eben so der schön sich darlebenden Basis eines Unbewußten unerläßlich ist. Eben darum weil sonach im Schlafe die Seele doch nur unvollkommen wirkt, träumt der Vernünftigste oft Dinge, die im Lichte der Vernunft absurd erscheinen, und darum ist selbst das Urtheil im Traum so unvoll¬ kommen, so daß manches, z. B. eine Rede die wir hielten, oder einen Plan den wir träumend entwarfen, uns im Traume ganz außerordentlich erscheinen kann, während wir dagegen, so bald wir uns an alles dieses im Wachen er¬ innern, wir beides nur für unbedeutend zu erklären im Stande sind. Anders ist es mit der Phantasie, welche wie sie im jungen Menschen vor dem Reifen der Vernunft, mächtiger ist, wie sie da die gewaltigsten Lücken des Vor¬ stellungslebens mit einem Zuge ausfüllt und die verwegensten Gestalten immer neu erschafft, so auch im Traume in der ungemessensten Weise sich bethätigt, und sowohl ins Glänzende und Prächtige -- selten, und nur bei besonderer Begabung, ins rein Schöne (weil dessen Erfassung die Vernunft voraussetzt) -- als auch ins Frazenhafte sich völlig ma߬ los ergeht. Von dieser Seite ist nun auch die eigenthüm¬ liche Poesie der Traumwelt deutlichst zu verstehen. Es können nämlich hier keine Vorstellungsreihen willkürlich aufgerufen werden, dieweil mit Aufhebung der Möglichkeit einer willens¬ kräftigen Thätigkeit nach Außen und mit Aufhebung der höchsten Bethätigung des Geistes überhaupt, ein absicht¬ liches ins Bewußtsein-ziehen unbewußt gewordener Vor¬ stellungen ebenfalls aufgehoben ist. Die Reihen der Vor¬ stellungen, welche auch im festen Schlafe das Bewußtsein durchziehen, sie können daher nur auf zweierlei Weise be¬ stimmt werden: entweder durch die innern Associationen,
beiden erſten in Wirkſamkeit, da, um daß der Geiſt des Menſchen fähig ſei des Gebahrens in höchſter Weiſe, d. h. eben als Vernunft, ein durchaus ungetrenntes gleich¬ zeitiges Walten nach allen Richtungen, alſo auch das Vor¬ handenſein eines wirklichen Wiſſens von der Welt, und eben ſo der ſchön ſich darlebenden Baſis eines Unbewußten unerläßlich iſt. Eben darum weil ſonach im Schlafe die Seele doch nur unvollkommen wirkt, träumt der Vernünftigſte oft Dinge, die im Lichte der Vernunft abſurd erſcheinen, und darum iſt ſelbſt das Urtheil im Traum ſo unvoll¬ kommen, ſo daß manches, z. B. eine Rede die wir hielten, oder einen Plan den wir träumend entwarfen, uns im Traume ganz außerordentlich erſcheinen kann, während wir dagegen, ſo bald wir uns an alles dieſes im Wachen er¬ innern, wir beides nur für unbedeutend zu erklären im Stande ſind. Anders iſt es mit der Phantaſie, welche wie ſie im jungen Menſchen vor dem Reifen der Vernunft, mächtiger iſt, wie ſie da die gewaltigſten Lücken des Vor¬ ſtellungslebens mit einem Zuge ausfüllt und die verwegenſten Geſtalten immer neu erſchafft, ſo auch im Traume in der ungemeſſenſten Weiſe ſich bethätigt, und ſowohl ins Glänzende und Prächtige — ſelten, und nur bei beſonderer Begabung, ins rein Schöne (weil deſſen Erfaſſung die Vernunft vorausſetzt) — als auch ins Frazenhafte ſich völlig ma߬ los ergeht. Von dieſer Seite iſt nun auch die eigenthüm¬ liche Poeſie der Traumwelt deutlichſt zu verſtehen. Es können nämlich hier keine Vorſtellungsreihen willkürlich aufgerufen werden, dieweil mit Aufhebung der Möglichkeit einer willens¬ kräftigen Thätigkeit nach Außen und mit Aufhebung der höchſten Bethätigung des Geiſtes überhaupt, ein abſicht¬ liches ins Bewußtſein-ziehen unbewußt gewordener Vor¬ ſtellungen ebenfalls aufgehoben iſt. Die Reihen der Vor¬ ſtellungen, welche auch im feſten Schlafe das Bewußtſein durchziehen, ſie können daher nur auf zweierlei Weiſe be¬ ſtimmt werden: entweder durch die innern Aſſociationen,
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beiden erſten in Wirkſamkeit, da, um daß der Geiſt des
Menſchen fähig ſei des Gebahrens in höchſter Weiſe,
d. h. eben als Vernunft, ein durchaus ungetrenntes gleich¬
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handenſein eines wirklichen Wiſſens von der Welt, und
eben ſo der ſchön ſich darlebenden Baſis eines Unbewußten
unerläßlich iſt. Eben darum weil ſonach im Schlafe die
Seele doch nur unvollkommen wirkt, träumt der Vernünftigſte
oft Dinge, die im Lichte der Vernunft abſurd erſcheinen,
und darum iſt ſelbſt das Urtheil im Traum ſo unvoll¬
kommen, ſo daß manches, z. B. eine Rede die wir hielten,
oder einen Plan den wir träumend entwarfen, uns im
Traume ganz außerordentlich erſcheinen kann, während wir
dagegen, ſo bald wir uns an alles dieſes im Wachen er¬
innern, wir beides nur für unbedeutend zu erklären im
Stande ſind. Anders iſt es mit der Phantaſie, welche wie
ſie im jungen Menſchen vor dem Reifen der Vernunft,
mächtiger iſt, wie ſie da die gewaltigſten Lücken des Vor¬
ſtellungslebens mit einem Zuge ausfüllt und die verwegenſten
Geſtalten immer neu erſchafft, ſo auch im Traume in der
ungemeſſenſten Weiſe ſich bethätigt, und ſowohl ins Glänzende
und Prächtige — ſelten, und nur bei beſonderer Begabung,
ins rein Schöne (weil deſſen Erfaſſung die Vernunft
vorausſetzt) — als auch ins Frazenhafte ſich völlig ma߬
los ergeht. Von dieſer Seite iſt nun auch die eigenthüm¬
liche Poeſie der Traumwelt deutlichſt zu verſtehen. Es können
nämlich hier keine Vorſtellungsreihen willkürlich aufgerufen
werden, dieweil mit Aufhebung der Möglichkeit einer willens¬
kräftigen Thätigkeit nach Außen und mit Aufhebung der
höchſten Bethätigung des Geiſtes überhaupt, ein abſicht¬
liches ins Bewußtſein-ziehen unbewußt gewordener Vor¬
ſtellungen ebenfalls aufgehoben iſt. Die Reihen der Vor¬
ſtellungen, welche auch im feſten Schlafe das Bewußtſein
durchziehen, ſie können daher nur auf zweierlei Weiſe be¬
ſtimmt werden: entweder durch die innern Aſſociationen,
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/233>, abgerufen am 24.11.2024.
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