Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

das Wachen immerfort Ahnungen, Einwirkungen von dem
in ihm liegenden Unbewußten erhält. Erst hiedurch also wird
der Schlaf wahrhaft nicht bloß zu einem Gegensatze, sondern
zu einer vollkommnen Umkehrung des Wachens.
Für die Geschichte des Schlafs liegen abermals die
wesentlichsten Aufschlüsse in der besondern Beachtung der
dabei eintretenden Vorgänge des Hirnlebens. Die frühern
Betrachtungen haben uns gezeigt, daß unter den drei Hirn¬
massen die mittlere insbesondere das Centrum des unbe¬
wußten Lebens repräsentire, denn sie ist die Wiederholung
des einfachen Hirnknotens, welcher in den noch nicht zum
Selbstbewußtsein gelangenden Geschöpfen Alles darstellt,
was von Hirn sich entwickelt, und sie erscheint daher in
den höhern Thieren und im Menschen stets um so weniger
entwickelt, je bedeutender die beiden andern Hirnmassen sich
ausbilden. Nun ist aber sehr wichtig, daß gerade das Seh¬
nervenpaar von diesem Mittelhirn ausgeht, denn eben da¬
rin
liegt einer der wichtigsten Gründe davon, daß es über¬
haupt im Nervenleben zu einem Erwachen kommt. Daß
nämlich gerade das mächtigste solare Verhältniß, das Licht,
die peripherische Innervationsspannung an einem Nerven¬
paare afficirt, durch welches das in sich ruhende Nerven¬
leben da bewegt und erschüttert werden muß, wo es das
Centrum für die gesammte unbewußte Region der Psyche
zu sein bestimmt ist, erklärt es insbesondere warum eben
nichts so mächtig das Bewußtsein zusammenhält und
nichts so sehr dem Versinken in das Unbewußtsein (dem
Schlaf) entgegenwirkt als eben das Licht. Mögen daher
auch bei der mehr und mehr sich entwickelnden Einheit des
Hirnlebens alle andern Erregungen peripherischer Inner¬
vationsspannung auf das Erwachen und Erhalten des
Wachseins, Bezug haben, immerfort wird doch am mäch¬
tigsten und am naturgemäßesten hier das Licht einwirken,
eben weil seine Wirkung insbesondre und zunächst da wie¬
derstrahlt und erregt, wo sonst am meisten in sich selbst

das Wachen immerfort Ahnungen, Einwirkungen von dem
in ihm liegenden Unbewußten erhält. Erſt hiedurch alſo wird
der Schlaf wahrhaft nicht bloß zu einem Gegenſatze, ſondern
zu einer vollkommnen Umkehrung des Wachens.
Für die Geſchichte des Schlafs liegen abermals die
weſentlichſten Aufſchlüſſe in der beſondern Beachtung der
dabei eintretenden Vorgänge des Hirnlebens. Die frühern
Betrachtungen haben uns gezeigt, daß unter den drei Hirn¬
maſſen die mittlere insbeſondere das Centrum des unbe¬
wußten Lebens repräſentire, denn ſie iſt die Wiederholung
des einfachen Hirnknotens, welcher in den noch nicht zum
Selbſtbewußtſein gelangenden Geſchöpfen Alles darſtellt,
was von Hirn ſich entwickelt, und ſie erſcheint daher in
den höhern Thieren und im Menſchen ſtets um ſo weniger
entwickelt, je bedeutender die beiden andern Hirnmaſſen ſich
ausbilden. Nun iſt aber ſehr wichtig, daß gerade das Seh¬
nervenpaar von dieſem Mittelhirn ausgeht, denn eben da¬
rin
liegt einer der wichtigſten Gründe davon, daß es über¬
haupt im Nervenleben zu einem Erwachen kommt. Daß
nämlich gerade das mächtigſte ſolare Verhältniß, das Licht,
die peripheriſche Innervationsſpannung an einem Nerven¬
paare afficirt, durch welches das in ſich ruhende Nerven¬
leben da bewegt und erſchüttert werden muß, wo es das
Centrum für die geſammte unbewußte Region der Pſyche
zu ſein beſtimmt iſt, erklärt es insbeſondere warum eben
nichts ſo mächtig das Bewußtſein zuſammenhält und
nichts ſo ſehr dem Verſinken in das Unbewußtſein (dem
Schlaf) entgegenwirkt als eben das Licht. Mögen daher
auch bei der mehr und mehr ſich entwickelnden Einheit des
Hirnlebens alle andern Erregungen peripheriſcher Inner¬
vationsſpannung auf das Erwachen und Erhalten des
Wachſeins, Bezug haben, immerfort wird doch am mäch¬
tigſten und am naturgemäßeſten hier das Licht einwirken,
eben weil ſeine Wirkung insbeſondre und zunächſt da wie¬
derſtrahlt und erregt, wo ſonſt am meiſten in ſich ſelbſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0229" n="213"/>
das Wachen immerfort Ahnungen, Einwirkungen von dem<lb/>
in ihm liegenden Unbewußten erhält. Er&#x017F;t hiedurch al&#x017F;o wird<lb/>
der Schlaf wahrhaft nicht bloß zu einem Gegen&#x017F;atze, &#x017F;ondern<lb/><hi rendition="#g">zu einer vollkommnen Umkehrung des Wachens</hi>.<lb/>
Für die Ge&#x017F;chichte des Schlafs liegen abermals die<lb/>
we&#x017F;entlich&#x017F;ten Auf&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e in der be&#x017F;ondern Beachtung der<lb/>
dabei eintretenden Vorgänge des Hirnlebens. Die frühern<lb/>
Betrachtungen haben uns gezeigt, daß unter den drei Hirn¬<lb/>
ma&#x017F;&#x017F;en die mittlere insbe&#x017F;ondere das Centrum des unbe¬<lb/>
wußten Lebens reprä&#x017F;entire, denn &#x017F;ie i&#x017F;t die Wiederholung<lb/>
des einfachen Hirnknotens, welcher in den noch nicht zum<lb/>
Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;ein gelangenden Ge&#x017F;chöpfen Alles dar&#x017F;tellt,<lb/>
was von Hirn &#x017F;ich entwickelt, und &#x017F;ie er&#x017F;cheint daher in<lb/>
den höhern Thieren und im Men&#x017F;chen &#x017F;tets um &#x017F;o weniger<lb/>
entwickelt, je bedeutender die beiden andern Hirnma&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich<lb/>
ausbilden. Nun i&#x017F;t aber &#x017F;ehr wichtig, daß gerade das Seh¬<lb/>
nervenpaar von die&#x017F;em Mittelhirn ausgeht, denn eben <hi rendition="#g">da¬<lb/>
rin</hi> liegt einer der wichtig&#x017F;ten Gründe davon, daß es über¬<lb/>
haupt im Nervenleben zu einem Erwachen kommt. Daß<lb/>
nämlich gerade das mächtig&#x017F;te &#x017F;olare Verhältniß, das Licht,<lb/>
die peripheri&#x017F;che Innervations&#x017F;pannung an einem Nerven¬<lb/>
paare afficirt, durch welches das in &#x017F;ich ruhende Nerven¬<lb/>
leben <hi rendition="#g">da</hi> bewegt und er&#x017F;chüttert werden muß, wo es das<lb/>
Centrum für die ge&#x017F;ammte unbewußte Region der P&#x017F;yche<lb/>
zu &#x017F;ein be&#x017F;timmt i&#x017F;t, erklärt es insbe&#x017F;ondere warum eben<lb/>
nichts &#x017F;o mächtig das Bewußt&#x017F;ein zu&#x017F;ammenhält und<lb/>
nichts &#x017F;o &#x017F;ehr dem Ver&#x017F;inken in das Unbewußt&#x017F;ein (dem<lb/>
Schlaf) entgegenwirkt als eben das Licht. Mögen daher<lb/>
auch bei der mehr und mehr &#x017F;ich entwickelnden Einheit des<lb/>
Hirnlebens alle andern Erregungen peripheri&#x017F;cher Inner¬<lb/>
vations&#x017F;pannung auf das Erwachen und Erhalten des<lb/>
Wach&#x017F;eins, Bezug haben, immerfort wird doch am mäch¬<lb/>
tig&#x017F;ten und am naturgemäße&#x017F;ten hier das Licht einwirken,<lb/>
eben weil &#x017F;eine Wirkung insbe&#x017F;ondre und zunäch&#x017F;t <hi rendition="#g">da</hi> wie¬<lb/>
der&#x017F;trahlt und erregt, wo &#x017F;on&#x017F;t am mei&#x017F;ten in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0229] das Wachen immerfort Ahnungen, Einwirkungen von dem in ihm liegenden Unbewußten erhält. Erſt hiedurch alſo wird der Schlaf wahrhaft nicht bloß zu einem Gegenſatze, ſondern zu einer vollkommnen Umkehrung des Wachens. Für die Geſchichte des Schlafs liegen abermals die weſentlichſten Aufſchlüſſe in der beſondern Beachtung der dabei eintretenden Vorgänge des Hirnlebens. Die frühern Betrachtungen haben uns gezeigt, daß unter den drei Hirn¬ maſſen die mittlere insbeſondere das Centrum des unbe¬ wußten Lebens repräſentire, denn ſie iſt die Wiederholung des einfachen Hirnknotens, welcher in den noch nicht zum Selbſtbewußtſein gelangenden Geſchöpfen Alles darſtellt, was von Hirn ſich entwickelt, und ſie erſcheint daher in den höhern Thieren und im Menſchen ſtets um ſo weniger entwickelt, je bedeutender die beiden andern Hirnmaſſen ſich ausbilden. Nun iſt aber ſehr wichtig, daß gerade das Seh¬ nervenpaar von dieſem Mittelhirn ausgeht, denn eben da¬ rin liegt einer der wichtigſten Gründe davon, daß es über¬ haupt im Nervenleben zu einem Erwachen kommt. Daß nämlich gerade das mächtigſte ſolare Verhältniß, das Licht, die peripheriſche Innervationsſpannung an einem Nerven¬ paare afficirt, durch welches das in ſich ruhende Nerven¬ leben da bewegt und erſchüttert werden muß, wo es das Centrum für die geſammte unbewußte Region der Pſyche zu ſein beſtimmt iſt, erklärt es insbeſondere warum eben nichts ſo mächtig das Bewußtſein zuſammenhält und nichts ſo ſehr dem Verſinken in das Unbewußtſein (dem Schlaf) entgegenwirkt als eben das Licht. Mögen daher auch bei der mehr und mehr ſich entwickelnden Einheit des Hirnlebens alle andern Erregungen peripheriſcher Inner¬ vationsſpannung auf das Erwachen und Erhalten des Wachſeins, Bezug haben, immerfort wird doch am mäch¬ tigſten und am naturgemäßeſten hier das Licht einwirken, eben weil ſeine Wirkung insbeſondre und zunächſt da wie¬ derſtrahlt und erregt, wo ſonſt am meiſten in ſich ſelbſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/229
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/229>, abgerufen am 22.11.2024.