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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Fremdling betrachtet werden müsse. Es war offenbar eines
Theils eine mißverstandene theologische Richtung, welche es,
in dunkeln Geistern, als eine Entheiligung erscheinen ließ,
daß dasselbe, was in uns fühlt und denkt, auch unsere
Bildung und Ernährung leiten solle, eine Richtung, welche
nämlich in dieser Verbindung zugleich den Grund einer
Unmöglichkeit erblickte, die Unsterblichkeit der Seele zu be¬
haupten. Darum also mußte ein Anderes als die Seele
thätig sein, um die Organe unseres Körpers zu entwickeln,
darum durfte die Frage entstehen, ob Thiere, mindestens
die unvollkommneren, eine Seele besäßen oder nicht, und
von einer Pflanzenseele, da man kaum Leben den Pflanzen
zugestanden wissen wollte, war nun gar nicht zu sprechen.
Eine Befangenheit dieser Art muß jedoch um so mehr
Wunder nehmen, als die strengsten Theologen der frühern
Zeit, ich erinnere nur an Thomas v. Aquino 1, keinen
Anstand nahmen, der Seele, so wie nach einer Richtung
hin das Letzte -- das Erkennen -- so gleichzeitig nach
einer andern Richtung das Erste -- das Ernähren und
Bilden -- zuzutheilen, da von ihnen hierin um so weniger
ein Widerspruch gegen eine Unsterblichkeitslehre erblickt wer¬
den konnte, als sie voraus ahneten, es könne durch Das,
was wir Sterben nennen, in einer allerdings die organi¬
sche Bildung mit bedingenden Seele, nur eine Umänderung
des Seelenlebens, nämlich eine Aufhebung einer gewissen
Richtung desselben, aber keineswegs ein vollkommenes Er¬
löschen ihrer Grundidee gesetzt werden.

Indeß, wie gesagt, es war auch nur eines Theils
dieser Grund, welcher es verhinderte, als erste Wirklichkeit
eines natürlichen gegliederten Körpers die Seele anzuer¬
kennen; andern Theils war es die Scheidewand zwischen
Unbewußtem und Bewußtem, wodurch man bewogen wurde,
vom Bereich der Seele abzutrennen, was gänzlich außer¬

1 vae, intellectivae, appetitivae, motivae.
Er unterscheidet in der Seele potentiae vegetativae, sensiti¬

Fremdling betrachtet werden müſſe. Es war offenbar eines
Theils eine mißverſtandene theologiſche Richtung, welche es,
in dunkeln Geiſtern, als eine Entheiligung erſcheinen ließ,
daß daſſelbe, was in uns fühlt und denkt, auch unſere
Bildung und Ernährung leiten ſolle, eine Richtung, welche
nämlich in dieſer Verbindung zugleich den Grund einer
Unmöglichkeit erblickte, die Unſterblichkeit der Seele zu be¬
haupten. Darum alſo mußte ein Anderes als die Seele
thätig ſein, um die Organe unſeres Körpers zu entwickeln,
darum durfte die Frage entſtehen, ob Thiere, mindeſtens
die unvollkommneren, eine Seele beſäßen oder nicht, und
von einer Pflanzenſeele, da man kaum Leben den Pflanzen
zugeſtanden wiſſen wollte, war nun gar nicht zu ſprechen.
Eine Befangenheit dieſer Art muß jedoch um ſo mehr
Wunder nehmen, als die ſtrengſten Theologen der frühern
Zeit, ich erinnere nur an Thomas v. Aquino 1, keinen
Anſtand nahmen, der Seele, ſo wie nach einer Richtung
hin das Letzte — das Erkennen — ſo gleichzeitig nach
einer andern Richtung das Erſte — das Ernähren und
Bilden — zuzutheilen, da von ihnen hierin um ſo weniger
ein Widerſpruch gegen eine Unſterblichkeitslehre erblickt wer¬
den konnte, als ſie voraus ahneten, es könne durch Das,
was wir Sterben nennen, in einer allerdings die organi¬
ſche Bildung mit bedingenden Seele, nur eine Umänderung
des Seelenlebens, nämlich eine Aufhebung einer gewiſſen
Richtung deſſelben, aber keineswegs ein vollkommenes Er¬
löſchen ihrer Grundidee geſetzt werden.

Indeß, wie geſagt, es war auch nur eines Theils
dieſer Grund, welcher es verhinderte, als erſte Wirklichkeit
eines natürlichen gegliederten Körpers die Seele anzuer¬
kennen; andern Theils war es die Scheidewand zwiſchen
Unbewußtem und Bewußtem, wodurch man bewogen wurde,
vom Bereich der Seele abzutrennen, was gänzlich außer¬

1 vae, intellectivae, appetitivae, motivae.
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[5/0021] Fremdling betrachtet werden müſſe. Es war offenbar eines Theils eine mißverſtandene theologiſche Richtung, welche es, in dunkeln Geiſtern, als eine Entheiligung erſcheinen ließ, daß daſſelbe, was in uns fühlt und denkt, auch unſere Bildung und Ernährung leiten ſolle, eine Richtung, welche nämlich in dieſer Verbindung zugleich den Grund einer Unmöglichkeit erblickte, die Unſterblichkeit der Seele zu be¬ haupten. Darum alſo mußte ein Anderes als die Seele thätig ſein, um die Organe unſeres Körpers zu entwickeln, darum durfte die Frage entſtehen, ob Thiere, mindeſtens die unvollkommneren, eine Seele beſäßen oder nicht, und von einer Pflanzenſeele, da man kaum Leben den Pflanzen zugeſtanden wiſſen wollte, war nun gar nicht zu ſprechen. Eine Befangenheit dieſer Art muß jedoch um ſo mehr Wunder nehmen, als die ſtrengſten Theologen der frühern Zeit, ich erinnere nur an Thomas v. Aquino 1, keinen Anſtand nahmen, der Seele, ſo wie nach einer Richtung hin das Letzte — das Erkennen — ſo gleichzeitig nach einer andern Richtung das Erſte — das Ernähren und Bilden — zuzutheilen, da von ihnen hierin um ſo weniger ein Widerſpruch gegen eine Unſterblichkeitslehre erblickt wer¬ den konnte, als ſie voraus ahneten, es könne durch Das, was wir Sterben nennen, in einer allerdings die organi¬ ſche Bildung mit bedingenden Seele, nur eine Umänderung des Seelenlebens, nämlich eine Aufhebung einer gewiſſen Richtung deſſelben, aber keineswegs ein vollkommenes Er¬ löſchen ihrer Grundidee geſetzt werden. Indeß, wie geſagt, es war auch nur eines Theils dieſer Grund, welcher es verhinderte, als erſte Wirklichkeit eines natürlichen gegliederten Körpers die Seele anzuer¬ kennen; andern Theils war es die Scheidewand zwiſchen Unbewußtem und Bewußtem, wodurch man bewogen wurde, vom Bereich der Seele abzutrennen, was gänzlich außer¬ 1 vae, intellectivae, appetitivae, motivae. Er unterſcheidet in der Seele potentiae vegetativae, sensiti¬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/21>, abgerufen am 24.11.2024.