vorstellungen aufzunehmen. Der blosgelegte oder durch¬ schnittene Nerv wird durch jede äußere Reizung nur auf eine krankhafte Weise afficirt und die Vorstellung, die wir dadurch erhalten, hat nichts Objektives mehr, sondern ist rein subjektiv, sie ist eine bloße Zustandsänderung -- und wird als Schmerz empfunden.
Damit also eine Sinnesvorstellung zu Stande komme ist außer dem Nervensysteme noch ein in sich unbe¬ wußtes Vermittelndes, ein Zwischenglied nothwendig, in welches auf irgend eine Weise die Außenwelt lebendig ein¬ dringt, gleichsam sich einlebt. Dieses dadurch umgestimmte Mittlere wird nämlich dann erst vom Nervenleben erfaßt und verstanden, und erst die von da aus veranlaßte und durch Leitung der Primitivfasern dem Centralorgane zuge¬ führte Aenderung der Innervationsspannung spiegelt sich dann im Bewußtsein als Sinnesvorstellung wieder. Soll z. B. Geschmacksempfindung entstehen, so muß eine be¬ sondre Einwirkung eines Schmeckbaren in das Epithelium der Zunge Statt gehabt, sie muß dessen an sich unbewu߬ tes Leben umgestimmt haben; und nun erst wird der Ge¬ schmacksnerv, dessen feinste letzte Umbiegung am Epithelium sich endiget, die veränderte Lebensstimmung dieses Epithe¬ liums in einer Modification seiner Innervationsspannung peripherisch aufnehmen und in demselben Moment central im Hirn abspiegeln, so daß sie dadurch als Geschmacks¬ vorstellung zum Bewußtsein kommt. Die blosgelegten En¬ den des Geschmacksnerven würden von jeder äußern Be¬ rührung nur Schmerz empfinden, keine Geschmacksvorstellung veranlassen. Aehnlich verhält es sich aber bei allen den andern Sinnesorganen, beim Geruch, beim Gehöre, bei dem daguerrotypischen Proceß auf der Netzhaut u. s. w.
Auf diese Weise müssen wir also erkennen daß jede Bereiche¬ rung des bewußten Lebens durch Sinnesvorstellung nicht bloß vom bewußten Nervenleben unmittelbar, sondern zugleich von einer mitwirkenden unbewußten Region des Lebens abhängt.
vorſtellungen aufzunehmen. Der blosgelegte oder durch¬ ſchnittene Nerv wird durch jede äußere Reizung nur auf eine krankhafte Weiſe afficirt und die Vorſtellung, die wir dadurch erhalten, hat nichts Objektives mehr, ſondern iſt rein ſubjektiv, ſie iſt eine bloße Zuſtandsänderung — und wird als Schmerz empfunden.
Damit alſo eine Sinnesvorſtellung zu Stande komme iſt außer dem Nervenſyſteme noch ein in ſich unbe¬ wußtes Vermittelndes, ein Zwiſchenglied nothwendig, in welches auf irgend eine Weiſe die Außenwelt lebendig ein¬ dringt, gleichſam ſich einlebt. Dieſes dadurch umgeſtimmte Mittlere wird nämlich dann erſt vom Nervenleben erfaßt und verſtanden, und erſt die von da aus veranlaßte und durch Leitung der Primitivfaſern dem Centralorgane zuge¬ führte Aenderung der Innervationsſpannung ſpiegelt ſich dann im Bewußtſein als Sinnesvorſtellung wieder. Soll z. B. Geſchmacksempfindung entſtehen, ſo muß eine be¬ ſondre Einwirkung eines Schmeckbaren in das Epithelium der Zunge Statt gehabt, ſie muß deſſen an ſich unbewu߬ tes Leben umgeſtimmt haben; und nun erſt wird der Ge¬ ſchmacksnerv, deſſen feinſte letzte Umbiegung am Epithelium ſich endiget, die veränderte Lebensſtimmung dieſes Epithe¬ liums in einer Modification ſeiner Innervationsſpannung peripheriſch aufnehmen und in demſelben Moment central im Hirn abſpiegeln, ſo daß ſie dadurch als Geſchmacks¬ vorſtellung zum Bewußtſein kommt. Die blosgelegten En¬ den des Geſchmacksnerven würden von jeder äußern Be¬ rührung nur Schmerz empfinden, keine Geſchmacksvorſtellung veranlaſſen. Aehnlich verhält es ſich aber bei allen den andern Sinnesorganen, beim Geruch, beim Gehöre, bei dem daguerrotypiſchen Proceß auf der Netzhaut u. ſ. w.
Auf dieſe Weiſe müſſen wir alſo erkennen daß jede Bereiche¬ rung des bewußten Lebens durch Sinnesvorſtellung nicht bloß vom bewußten Nervenleben unmittelbar, ſondern zugleich von einer mitwirkenden unbewußten Region des Lebens abhängt.
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vorſtellungen aufzunehmen. Der blosgelegte oder durch¬
ſchnittene Nerv wird durch jede äußere Reizung nur auf
eine krankhafte Weiſe afficirt und die Vorſtellung, die wir
dadurch erhalten, hat nichts Objektives mehr, ſondern iſt
rein ſubjektiv, ſie iſt eine bloße Zuſtandsänderung — und
wird als Schmerz empfunden.
Damit alſo eine Sinnesvorſtellung zu Stande
komme iſt außer dem Nervenſyſteme noch ein in ſich unbe¬
wußtes Vermittelndes, ein Zwiſchenglied nothwendig, in
welches auf irgend eine Weiſe die Außenwelt lebendig ein¬
dringt, gleichſam ſich einlebt. Dieſes dadurch umgeſtimmte
Mittlere wird nämlich dann erſt vom Nervenleben erfaßt
und verſtanden, und erſt die von da aus veranlaßte und
durch Leitung der Primitivfaſern dem Centralorgane zuge¬
führte Aenderung der Innervationsſpannung ſpiegelt ſich
dann im Bewußtſein als Sinnesvorſtellung wieder. Soll
z. B. Geſchmacksempfindung entſtehen, ſo muß eine be¬
ſondre Einwirkung eines Schmeckbaren in das Epithelium
der Zunge Statt gehabt, ſie muß deſſen an ſich unbewu߬
tes Leben umgeſtimmt haben; und nun erſt wird der Ge¬
ſchmacksnerv, deſſen feinſte letzte Umbiegung am Epithelium
ſich endiget, die veränderte Lebensſtimmung dieſes Epithe¬
liums in einer Modification ſeiner Innervationsſpannung
peripheriſch aufnehmen und in demſelben Moment central
im Hirn abſpiegeln, ſo daß ſie dadurch als Geſchmacks¬
vorſtellung zum Bewußtſein kommt. Die blosgelegten En¬
den des Geſchmacksnerven würden von jeder äußern Be¬
rührung nur Schmerz empfinden, keine Geſchmacksvorſtellung
veranlaſſen. Aehnlich verhält es ſich aber bei allen den
andern Sinnesorganen, beim Geruch, beim Gehöre, bei
dem daguerrotypiſchen Proceß auf der Netzhaut u. ſ. w.
Auf dieſe Weiſe müſſen wir alſo erkennen daß jede Bereiche¬
rung des bewußten Lebens durch Sinnesvorſtellung nicht bloß
vom bewußten Nervenleben unmittelbar, ſondern zugleich von
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/208>, abgerufen am 22.11.2024.
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