Idee und als Seele bezeichnet haben: die Idee ist noch nicht Seele und die Seele noch nicht Geist, aber der Geist ist nur innerhalb der Seele und die Seele nur innerhalb der Idee, und diese drei sind nur eins bei aller Verschie¬ denheit, und nur als in einem Einigen seiend, können sie verstanden werden vom Geiste. Dasselbe müssen wir uns dann sagen von jener Stufenfolge in der Entwicklung des Geistes, welche wir Verstand, Phantasie und Vernunft ge¬ nannt haben, hinsichtlich der Sonderungen der drei Glieder dieser Reihe in unsrer Vorstellung. Die vollkommne Nega¬ tion aller Endlichkeit, aller Schranke, aller innern Spal¬ tung, welche dem Wesen des Geistes deßhalb überhaupt eignet, weil die Idee zum wirklichen Erfahren von einer Gegenwart, und zur vollkommnen Bethätigung ihrer ur¬ sprünglich ewigen Wesenheit nur gelangen kann, indem sie die Endlichkeit überwindet, sie muß auch alle solche Thei¬ lungen aufheben. So lange freilich der Geist auf der Stufe des Verstandes noch hauptsächlich in dem Schauen der End¬ lichkeit, wie sie die Sinnenwelt uns vorstellig macht, ver¬ weilt, erscheint es ihm als ein Wunder, daß etwas viel¬ fältigst getheilt und doch ein Einiges sein solle, wie er hingegen mehr und mehr zum wahren Vernehmen seines eignen Wesens -- d. h. eben zur Vernunft und zum wahren Selbstbewußtsein -- gelangt, hört ihm dies auf ein Wunder zu sein, und er empfindet sich im Schrankenlosen, Ungetheilt- Einem, Ewigen durchaus und allein in seinem wahren Elemente.
An der rechten Erwägung dieser Wahrheiten haben wir nun zugleich den Maßstab, um die Entwicklungsgeschichte des Geistes im Kinde zu messen. Das erste Erwachen des Selbstbewußtseins, der vergeistigten Seele, des Denkens, in dem Gedanken des Ich, es ist gleichsam das Gewinnen eines ersten Haltepunktes in der Flucht des Daseins, und von diesem Momente an, zieht nun alles in der Zeit rast¬ los sich Verwandelnde an dem einen Festhaltenden vorbei,
Idee und als Seele bezeichnet haben: die Idee iſt noch nicht Seele und die Seele noch nicht Geiſt, aber der Geiſt iſt nur innerhalb der Seele und die Seele nur innerhalb der Idee, und dieſe drei ſind nur eins bei aller Verſchie¬ denheit, und nur als in einem Einigen ſeiend, können ſie verſtanden werden vom Geiſte. Daſſelbe müſſen wir uns dann ſagen von jener Stufenfolge in der Entwicklung des Geiſtes, welche wir Verſtand, Phantaſie und Vernunft ge¬ nannt haben, hinſichtlich der Sonderungen der drei Glieder dieſer Reihe in unſrer Vorſtellung. Die vollkommne Nega¬ tion aller Endlichkeit, aller Schranke, aller innern Spal¬ tung, welche dem Weſen des Geiſtes deßhalb überhaupt eignet, weil die Idee zum wirklichen Erfahren von einer Gegenwart, und zur vollkommnen Bethätigung ihrer ur¬ ſprünglich ewigen Weſenheit nur gelangen kann, indem ſie die Endlichkeit überwindet, ſie muß auch alle ſolche Thei¬ lungen aufheben. So lange freilich der Geiſt auf der Stufe des Verſtandes noch hauptſächlich in dem Schauen der End¬ lichkeit, wie ſie die Sinnenwelt uns vorſtellig macht, ver¬ weilt, erſcheint es ihm als ein Wunder, daß etwas viel¬ fältigſt getheilt und doch ein Einiges ſein ſolle, wie er hingegen mehr und mehr zum wahren Vernehmen ſeines eignen Weſens — d. h. eben zur Vernunft und zum wahren Selbſtbewußtſein — gelangt, hört ihm dies auf ein Wunder zu ſein, und er empfindet ſich im Schrankenloſen, Ungetheilt- Einem, Ewigen durchaus und allein in ſeinem wahren Elemente.
An der rechten Erwägung dieſer Wahrheiten haben wir nun zugleich den Maßſtab, um die Entwicklungsgeſchichte des Geiſtes im Kinde zu meſſen. Das erſte Erwachen des Selbſtbewußtſeins, der vergeiſtigten Seele, des Denkens, in dem Gedanken des Ich, es iſt gleichſam das Gewinnen eines erſten Haltepunktes in der Flucht des Daſeins, und von dieſem Momente an, zieht nun alles in der Zeit raſt¬ los ſich Verwandelnde an dem einen Feſthaltenden vorbei,
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Idee und als Seele bezeichnet haben: die Idee iſt noch
nicht Seele und die Seele noch nicht Geiſt, aber der Geiſt
iſt nur innerhalb der Seele und die Seele nur innerhalb
der Idee, und dieſe drei ſind nur eins bei aller Verſchie¬
denheit, und nur als in einem Einigen ſeiend, können ſie
verſtanden werden vom Geiſte. Daſſelbe müſſen wir uns
dann ſagen von jener Stufenfolge in der Entwicklung des
Geiſtes, welche wir Verſtand, Phantaſie und Vernunft ge¬
nannt haben, hinſichtlich der Sonderungen der drei Glieder
dieſer Reihe in unſrer Vorſtellung. Die vollkommne Nega¬
tion aller Endlichkeit, aller Schranke, aller innern Spal¬
tung, welche dem Weſen des Geiſtes deßhalb überhaupt
eignet, weil die Idee zum wirklichen Erfahren von einer
Gegenwart, und zur vollkommnen Bethätigung ihrer ur¬
ſprünglich ewigen Weſenheit nur gelangen kann, indem ſie
die Endlichkeit überwindet, ſie muß auch alle ſolche Thei¬
lungen aufheben. So lange freilich der Geiſt auf der Stufe
des Verſtandes noch hauptſächlich in dem Schauen der End¬
lichkeit, wie ſie die Sinnenwelt uns vorſtellig macht, ver¬
weilt, erſcheint es ihm als ein Wunder, daß etwas viel¬
fältigſt getheilt und doch ein Einiges ſein ſolle, wie er
hingegen mehr und mehr zum wahren Vernehmen ſeines
eignen Weſens — d. h. eben zur Vernunft und zum wahren
Selbſtbewußtſein — gelangt, hört ihm dies auf ein Wunder
zu ſein, und er empfindet ſich im Schrankenloſen, Ungetheilt-
Einem, Ewigen durchaus und allein in ſeinem wahren
Elemente.
An der rechten Erwägung dieſer Wahrheiten haben
wir nun zugleich den Maßſtab, um die Entwicklungsgeſchichte
des Geiſtes im Kinde zu meſſen. Das erſte Erwachen des
Selbſtbewußtſeins, der vergeiſtigten Seele, des Denkens,
in dem Gedanken des Ich, es iſt gleichſam das Gewinnen
eines erſten Haltepunktes in der Flucht des Daſeins, und
von dieſem Momente an, zieht nun alles in der Zeit raſt¬
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/179>, abgerufen am 27.11.2024.
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