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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Die andere große Bedingung für die Entwicklung des
Geistes ist wie für das Bewußtsein überhaupt das Vor¬
handensein und Einwirken einer Außenwelt
,
aber nicht bloß einer Außenwelt an und für sich, sondern
des auch in einer Außenwelt sich kund gebenden
bewußten Geistes
. Wir müssen es als Thatsache an¬
erkennen, daß ein menschliches Individuum allein, ohne
daß der Geist der Menschheit -- daß der Geist anderer
Individuen auf ihn wirke, durchaus nicht als solcher zur
Entwicklung gelangt. Das Kind allein sich selbst über¬
lassen, geht entweder zu Grunde oder erlangt in seinem
Bewußtsein nur eine Entwicklung welche es dem Thiere
ähnlich werden, ja wohl unter das Thier sinken läßt. Auf
das gut und insbesondere hinsichtlich seines Nervensystems
und Hirns gut organisirte Kind (denn auch ein Kind z. B.
ohne Arme und Füße geboren, kann zum hellsten Bewußt¬
sein gelangen) muß demnach geistiger Einfluß anderer
Menschen wirken. Der Geist muß sich am Geist entzünden
und keinesweges ist dies immerfort und geradezu als ein
Mittheilen
zu betrachten, sondern oftmals, ja zumeist,
macht diese Einwirkung dadurch sich geltend, daß sie eine
Gegenwirkung, eine entschiedene Reaction hervorruft, und
daß diese Reaction durch Kräftigung des Geistes den Geist
bildet und fördert. Eine umsichtige Erziehung des Kindes
wird auf dieses Verhältniß immer großes Gewicht legen,
und von ihm stets besondern Nutzen ziehen.

In dieser höchst merkwürdigen, unabweisbaren Be¬
dingung der Entwicklung des Geistes im Kinde, nur unter
gegebner Bedingung des einwirkenden Geistes der Mensch¬
heit, wiederholt sich also in höherer Potenz das Verhältniß
niederer Thiere, wo viele Individuen entweder geradezu nur
in fester organischer Verbindung leben, wie an den Polypen¬

gehalten, und freilich wäre das Bedingtsein des Geistes von einem wahr¬
haft
Fremdartigen etwas ganz Trauriges! -- aber man sieht welch' ein
Chaos falscher Vorstellungen hier vorliegt.

Die andere große Bedingung für die Entwicklung des
Geiſtes iſt wie für das Bewußtſein überhaupt das Vor¬
handenſein und Einwirken einer Außenwelt
,
aber nicht bloß einer Außenwelt an und für ſich, ſondern
des auch in einer Außenwelt ſich kund gebenden
bewußten Geiſtes
. Wir müſſen es als Thatſache an¬
erkennen, daß ein menſchliches Individuum allein, ohne
daß der Geiſt der Menſchheit — daß der Geiſt anderer
Individuen auf ihn wirke, durchaus nicht als ſolcher zur
Entwicklung gelangt. Das Kind allein ſich ſelbſt über¬
laſſen, geht entweder zu Grunde oder erlangt in ſeinem
Bewußtſein nur eine Entwicklung welche es dem Thiere
ähnlich werden, ja wohl unter das Thier ſinken läßt. Auf
das gut und insbeſondere hinſichtlich ſeines Nervenſyſtems
und Hirns gut organiſirte Kind (denn auch ein Kind z. B.
ohne Arme und Füße geboren, kann zum hellſten Bewußt¬
ſein gelangen) muß demnach geiſtiger Einfluß anderer
Menſchen wirken. Der Geiſt muß ſich am Geiſt entzünden
und keinesweges iſt dies immerfort und geradezu als ein
Mittheilen
zu betrachten, ſondern oftmals, ja zumeiſt,
macht dieſe Einwirkung dadurch ſich geltend, daß ſie eine
Gegenwirkung, eine entſchiedene Reaction hervorruft, und
daß dieſe Reaction durch Kräftigung des Geiſtes den Geiſt
bildet und fördert. Eine umſichtige Erziehung des Kindes
wird auf dieſes Verhältniß immer großes Gewicht legen,
und von ihm ſtets beſondern Nutzen ziehen.

In dieſer höchſt merkwürdigen, unabweisbaren Be¬
dingung der Entwicklung des Geiſtes im Kinde, nur unter
gegebner Bedingung des einwirkenden Geiſtes der Menſch¬
heit, wiederholt ſich alſo in höherer Potenz das Verhältniß
niederer Thiere, wo viele Individuen entweder geradezu nur
in feſter organiſcher Verbindung leben, wie an den Polypen¬

gehalten, und freilich wäre das Bedingtſein des Geiſtes von einem wahr¬
haft
Fremdartigen etwas ganz Trauriges! — aber man ſieht welch' ein
Chaos falſcher Vorſtellungen hier vorliegt.
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[158/0174] Die andere große Bedingung für die Entwicklung des Geiſtes iſt wie für das Bewußtſein überhaupt das Vor¬ handenſein und Einwirken einer Außenwelt, aber nicht bloß einer Außenwelt an und für ſich, ſondern des auch in einer Außenwelt ſich kund gebenden bewußten Geiſtes. Wir müſſen es als Thatſache an¬ erkennen, daß ein menſchliches Individuum allein, ohne daß der Geiſt der Menſchheit — daß der Geiſt anderer Individuen auf ihn wirke, durchaus nicht als ſolcher zur Entwicklung gelangt. Das Kind allein ſich ſelbſt über¬ laſſen, geht entweder zu Grunde oder erlangt in ſeinem Bewußtſein nur eine Entwicklung welche es dem Thiere ähnlich werden, ja wohl unter das Thier ſinken läßt. Auf das gut und insbeſondere hinſichtlich ſeines Nervenſyſtems und Hirns gut organiſirte Kind (denn auch ein Kind z. B. ohne Arme und Füße geboren, kann zum hellſten Bewußt¬ ſein gelangen) muß demnach geiſtiger Einfluß anderer Menſchen wirken. Der Geiſt muß ſich am Geiſt entzünden und keinesweges iſt dies immerfort und geradezu als ein Mittheilen zu betrachten, ſondern oftmals, ja zumeiſt, macht dieſe Einwirkung dadurch ſich geltend, daß ſie eine Gegenwirkung, eine entſchiedene Reaction hervorruft, und daß dieſe Reaction durch Kräftigung des Geiſtes den Geiſt bildet und fördert. Eine umſichtige Erziehung des Kindes wird auf dieſes Verhältniß immer großes Gewicht legen, und von ihm ſtets beſondern Nutzen ziehen. In dieſer höchſt merkwürdigen, unabweisbaren Be¬ dingung der Entwicklung des Geiſtes im Kinde, nur unter gegebner Bedingung des einwirkenden Geiſtes der Menſch¬ heit, wiederholt ſich alſo in höherer Potenz das Verhältniß niederer Thiere, wo viele Individuen entweder geradezu nur in feſter organiſcher Verbindung leben, wie an den Polypen¬ 1 1 gehalten, und freilich wäre das Bedingtſein des Geiſtes von einem wahr¬ haft Fremdartigen etwas ganz Trauriges! — aber man ſieht welch' ein Chaos falſcher Vorſtellungen hier vorliegt.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/174>, abgerufen am 24.11.2024.