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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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göttliches Walten in jedem pflanzlichen Organismus schaffe
und bilde, keinesweges verkannt worden, vielmehr schon
von den Griechen, ganz gleich dem Walten in Quellen,
Seen, Lüften und Wolken, in eignen Göttergestalten der
Anschauungsform näher gebracht worden ist; wobei wohl
bemerkt werden muß, daß, wo die Idee selbst zur Seele
sich entfaltet wie im Thier, sehr feinsinnig von jenen Völ¬
kern nie eine besondre Göttergestalt hierfür erdichtet zu
werden pflegte.

Was nun das Thierreich betrifft, so ist es recht merk¬
würdig, genau nachzuspüren wie das Bewußtsein und mit
ihm der Begriff der Seele so ganz allmählig sich her¬
vorbilde. Fast noch mehr als in der Stufenfolge des
Thierreichs ist dies wahrzunehmen, wenn wir der Entwick¬
lungsgeschichte des einzelnen Thieres nachgehen. Nehmen
wir das Ei des Vogels, so ist nicht zu läugnen, es sei
die früheste unvollkommenste Form des Vogels selbst, es
sei lebendig, wenn auch oft eine längere Zeit hindurch im
Zustande eines latenten Lebens, aber alle Elemente seien
hier bereits vereinigt, welche gleichsam nur warten auf
Einwirkung einer äußern Wärme, komme sie woher sie
wolle, um alsbald in der ganzen Organisation des Thieres
hervorzutreten. Nichts desto weniger wird Niemand dem Ei
als solchem eine Seele zuschreiben, so gewiß in ihm doch
schon die unbewußte Idee waltet. So bald hingegen diese
Idee ihre Eigenthümlichkeit darzuleben beginnt in der Glie¬
derung des embryonischen Organismus, sobald dadurch die
Bedingungen erfüllt worden sind, welche wir als unerlä߬
lich für Entwicklung eines Bewußtseins gesetzt haben, näm¬
lich und namentlich die Darstellung eines Nervensystems
und der Mittel zum Verkehr desselben mit der Außenwelt,
so wird die Idee auch in sich selbst alsbald zur Seele ent¬
wickelt. Dem zum Vogel entwickelten Ei schreiben
wir nun eine Seele zu, während wir vom Ei noch nicht
sagen durften, in ihm sei eine Seele.

göttliches Walten in jedem pflanzlichen Organismus ſchaffe
und bilde, keinesweges verkannt worden, vielmehr ſchon
von den Griechen, ganz gleich dem Walten in Quellen,
Seen, Lüften und Wolken, in eignen Göttergeſtalten der
Anſchauungsform näher gebracht worden iſt; wobei wohl
bemerkt werden muß, daß, wo die Idee ſelbſt zur Seele
ſich entfaltet wie im Thier, ſehr feinſinnig von jenen Völ¬
kern nie eine beſondre Göttergeſtalt hierfür erdichtet zu
werden pflegte.

Was nun das Thierreich betrifft, ſo iſt es recht merk¬
würdig, genau nachzuſpüren wie das Bewußtſein und mit
ihm der Begriff der Seele ſo ganz allmählig ſich her¬
vorbilde. Faſt noch mehr als in der Stufenfolge des
Thierreichs iſt dies wahrzunehmen, wenn wir der Entwick¬
lungsgeſchichte des einzelnen Thieres nachgehen. Nehmen
wir das Ei des Vogels, ſo iſt nicht zu läugnen, es ſei
die früheſte unvollkommenſte Form des Vogels ſelbſt, es
ſei lebendig, wenn auch oft eine längere Zeit hindurch im
Zuſtande eines latenten Lebens, aber alle Elemente ſeien
hier bereits vereinigt, welche gleichſam nur warten auf
Einwirkung einer äußern Wärme, komme ſie woher ſie
wolle, um alsbald in der ganzen Organiſation des Thieres
hervorzutreten. Nichts deſto weniger wird Niemand dem Ei
als ſolchem eine Seele zuſchreiben, ſo gewiß in ihm doch
ſchon die unbewußte Idee waltet. So bald hingegen dieſe
Idee ihre Eigenthümlichkeit darzuleben beginnt in der Glie¬
derung des embryoniſchen Organismus, ſobald dadurch die
Bedingungen erfüllt worden ſind, welche wir als unerlä߬
lich für Entwicklung eines Bewußtſeins geſetzt haben, näm¬
lich und namentlich die Darſtellung eines Nervenſyſtems
und der Mittel zum Verkehr deſſelben mit der Außenwelt,
ſo wird die Idee auch in ſich ſelbſt alsbald zur Seele ent¬
wickelt. Dem zum Vogel entwickelten Ei ſchreiben
wir nun eine Seele zu, während wir vom Ei noch nicht
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[114/0130] göttliches Walten in jedem pflanzlichen Organismus ſchaffe und bilde, keinesweges verkannt worden, vielmehr ſchon von den Griechen, ganz gleich dem Walten in Quellen, Seen, Lüften und Wolken, in eignen Göttergeſtalten der Anſchauungsform näher gebracht worden iſt; wobei wohl bemerkt werden muß, daß, wo die Idee ſelbſt zur Seele ſich entfaltet wie im Thier, ſehr feinſinnig von jenen Völ¬ kern nie eine beſondre Göttergeſtalt hierfür erdichtet zu werden pflegte. Was nun das Thierreich betrifft, ſo iſt es recht merk¬ würdig, genau nachzuſpüren wie das Bewußtſein und mit ihm der Begriff der Seele ſo ganz allmählig ſich her¬ vorbilde. Faſt noch mehr als in der Stufenfolge des Thierreichs iſt dies wahrzunehmen, wenn wir der Entwick¬ lungsgeſchichte des einzelnen Thieres nachgehen. Nehmen wir das Ei des Vogels, ſo iſt nicht zu läugnen, es ſei die früheſte unvollkommenſte Form des Vogels ſelbſt, es ſei lebendig, wenn auch oft eine längere Zeit hindurch im Zuſtande eines latenten Lebens, aber alle Elemente ſeien hier bereits vereinigt, welche gleichſam nur warten auf Einwirkung einer äußern Wärme, komme ſie woher ſie wolle, um alsbald in der ganzen Organiſation des Thieres hervorzutreten. Nichts deſto weniger wird Niemand dem Ei als ſolchem eine Seele zuſchreiben, ſo gewiß in ihm doch ſchon die unbewußte Idee waltet. So bald hingegen dieſe Idee ihre Eigenthümlichkeit darzuleben beginnt in der Glie¬ derung des embryoniſchen Organismus, ſobald dadurch die Bedingungen erfüllt worden ſind, welche wir als unerlä߬ lich für Entwicklung eines Bewußtſeins geſetzt haben, näm¬ lich und namentlich die Darſtellung eines Nervenſyſtems und der Mittel zum Verkehr deſſelben mit der Außenwelt, ſo wird die Idee auch in ſich ſelbſt alsbald zur Seele ent¬ wickelt. Dem zum Vogel entwickelten Ei ſchreiben wir nun eine Seele zu, während wir vom Ei noch nicht ſagen durften, in ihm ſei eine Seele.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/130>, abgerufen am 25.11.2024.