Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

im höhern Grade Selbstgefühl nennen. Erst durch dieses
sich selbst fühlen wird dann auch überhaupt ein Wis¬
sen
, und zwar ein bald dunkleres, bald helleres, bedingt,
und ein solches wissendes oder bewußtes Leben der Seele
wird sich nun in der Reihe der Wesen freilich auf sehr
verschiedenen Stufen offenbaren. Es gibt hier eine Stufe
die dem Unbewußtsein noch sehr nahe steht, wo die Klar¬
heit der Vorstellungen gering ist, wo sie nebelhaft in ein¬
ander verschwimmen, und wo also auch die Vorstellung
von einem Subjekt und die von den Objekten nur wenig
sich von einander unterscheidet. Hier kann man sagen,
wisse die Seele nur überhaupt von einer Welt, sie wisse
von sich mit, als einem Theile dieser Welt, ohne
sich noch von dieser Welt scharf zu unterscheiden und ab¬
zusondern, und auf dieser Stufe also erscheine ihr Bewußt¬
sein als Weltbewußtsein. Die Idee nun, die dieses
Weltbewußtsein dadurch erreicht, daß ihr die bald näher zu
erörternde organische Bedingung zu erfüllen gelang, ohne
welche keine Vorstellung, und also auch weder Vorstellung
von der Welt noch von dem eignen Ich ihr bleibendes Ei¬
genthum wird -- eine solche Idee erst bezeichnen wir über¬
haupt als Seele; bildet sie sich hingegen bis zum klaren
Bewußtsein vom eignen Dasein aus, so erhält sie, in so¬
weit
sie Selbstbewußtsein erlangt, den Namen des Gei¬
stes
. Beide, Seele und Geist, dürfen daher keineswegs,
wie es oft in der Psychologie dargestellt wurde, zwei neben
einander bestehende Wesen genannt werden, sondern wie
Seele die höher entwickelte Idee, so ist Geist nur die höher
entwickelte Seele als solche. Aus alle diesem geht somit
klärlich hervor, daß in so fern wir das Wort "Wissen"
nicht mit der Strenge definiren, daß es allemal das Selbst¬
bewußtsein involviren muß, in so fern wir vielmehr auch
ein Wissen von der Welt überhaupt, das Wissende mit
inbegriffen, anerkennen, wir jenes dunkle allgemeine Wissen
gar wohl mit dem Namen des Weltbewußtseins

im höhern Grade Selbſtgefühl nennen. Erſt durch dieſes
ſich ſelbſt fühlen wird dann auch überhaupt ein Wiſ¬
ſen
, und zwar ein bald dunkleres, bald helleres, bedingt,
und ein ſolches wiſſendes oder bewußtes Leben der Seele
wird ſich nun in der Reihe der Weſen freilich auf ſehr
verſchiedenen Stufen offenbaren. Es gibt hier eine Stufe
die dem Unbewußtſein noch ſehr nahe ſteht, wo die Klar¬
heit der Vorſtellungen gering iſt, wo ſie nebelhaft in ein¬
ander verſchwimmen, und wo alſo auch die Vorſtellung
von einem Subjekt und die von den Objekten nur wenig
ſich von einander unterſcheidet. Hier kann man ſagen,
wiſſe die Seele nur überhaupt von einer Welt, ſie wiſſe
von ſich mit, als einem Theile dieſer Welt, ohne
ſich noch von dieſer Welt ſcharf zu unterſcheiden und ab¬
zuſondern, und auf dieſer Stufe alſo erſcheine ihr Bewußt¬
ſein als Weltbewußtſein. Die Idee nun, die dieſes
Weltbewußtſein dadurch erreicht, daß ihr die bald näher zu
erörternde organiſche Bedingung zu erfüllen gelang, ohne
welche keine Vorſtellung, und alſo auch weder Vorſtellung
von der Welt noch von dem eignen Ich ihr bleibendes Ei¬
genthum wird — eine ſolche Idee erſt bezeichnen wir über¬
haupt als Seele; bildet ſie ſich hingegen bis zum klaren
Bewußtſein vom eignen Daſein aus, ſo erhält ſie, in ſo¬
weit
ſie Selbſtbewußtſein erlangt, den Namen des Gei¬
ſtes
. Beide, Seele und Geiſt, dürfen daher keineswegs,
wie es oft in der Pſychologie dargeſtellt wurde, zwei neben
einander beſtehende Weſen genannt werden, ſondern wie
Seele die höher entwickelte Idee, ſo iſt Geiſt nur die höher
entwickelte Seele als ſolche. Aus alle dieſem geht ſomit
klärlich hervor, daß in ſo fern wir das Wort „Wiſſen“
nicht mit der Strenge definiren, daß es allemal das Selbſt¬
bewußtſein involviren muß, in ſo fern wir vielmehr auch
ein Wiſſen von der Welt überhaupt, das Wiſſende mit
inbegriffen, anerkennen, wir jenes dunkle allgemeine Wiſſen
gar wohl mit dem Namen des Weltbewußtſeins

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0116" n="100"/>
im höhern Grade Selb&#x017F;tgefühl nennen. Er&#x017F;t durch die&#x017F;es<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t fühlen</hi> wird dann auch überhaupt ein <hi rendition="#g">Wi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en</hi>, und zwar ein bald dunkleres, bald helleres, bedingt,<lb/>
und ein &#x017F;olches wi&#x017F;&#x017F;endes oder bewußtes Leben der Seele<lb/>
wird &#x017F;ich nun in der Reihe der We&#x017F;en freilich auf &#x017F;ehr<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Stufen offenbaren. Es gibt hier <hi rendition="#g">eine</hi> Stufe<lb/>
die dem Unbewußt&#x017F;ein noch &#x017F;ehr nahe &#x017F;teht, wo die Klar¬<lb/>
heit der Vor&#x017F;tellungen gering i&#x017F;t, wo &#x017F;ie nebelhaft in ein¬<lb/>
ander ver&#x017F;chwimmen, und wo al&#x017F;o auch die Vor&#x017F;tellung<lb/>
von einem Subjekt und die von den Objekten nur wenig<lb/>
&#x017F;ich von einander unter&#x017F;cheidet. <hi rendition="#g">Hier</hi> kann man &#x017F;agen,<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e die Seele nur überhaupt <hi rendition="#g">von einer Welt</hi>, &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
von &#x017F;ich <hi rendition="#g">mit</hi>, als <hi rendition="#g">einem Theile die&#x017F;er Welt</hi>, ohne<lb/>
&#x017F;ich noch von die&#x017F;er Welt &#x017F;charf zu unter&#x017F;cheiden und ab¬<lb/>
zu&#x017F;ondern, und auf die&#x017F;er Stufe al&#x017F;o er&#x017F;cheine ihr Bewußt¬<lb/>
&#x017F;ein als <hi rendition="#g">Weltbewußt&#x017F;ein</hi>. <hi rendition="#g">Die</hi> Idee nun, die die&#x017F;es<lb/>
Weltbewußt&#x017F;ein dadurch erreicht, daß ihr die bald näher zu<lb/>
erörternde organi&#x017F;che Bedingung zu erfüllen gelang, ohne<lb/>
welche keine Vor&#x017F;tellung, und al&#x017F;o auch weder Vor&#x017F;tellung<lb/>
von der Welt noch von dem eignen Ich ihr bleibendes Ei¬<lb/>
genthum wird &#x2014; eine &#x017F;olche Idee er&#x017F;t bezeichnen wir über¬<lb/>
haupt als <hi rendition="#g">Seele</hi>; bildet &#x017F;ie &#x017F;ich hingegen bis zum klaren<lb/>
Bewußt&#x017F;ein vom eignen Da&#x017F;ein aus, &#x017F;o erhält &#x017F;ie, in <hi rendition="#g">&#x017F;<lb/>
weit</hi> &#x017F;ie Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;ein erlangt, den Namen des <hi rendition="#g">Gei¬<lb/>
&#x017F;tes</hi>. Beide, Seele und Gei&#x017F;t, dürfen daher keineswegs,<lb/>
wie es oft in der P&#x017F;ychologie darge&#x017F;tellt wurde, zwei <hi rendition="#g">neben</hi><lb/>
einander be&#x017F;tehende We&#x017F;en genannt werden, &#x017F;ondern wie<lb/>
Seele die höher entwickelte Idee, &#x017F;o i&#x017F;t Gei&#x017F;t nur die höher<lb/>
entwickelte Seele <hi rendition="#g">als &#x017F;olche</hi>. Aus alle die&#x017F;em geht &#x017F;omit<lb/>
klärlich hervor, daß in &#x017F;o fern wir das Wort &#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;en&#x201C;<lb/>
nicht mit der Strenge definiren, daß es allemal das Selb&#x017F;<lb/>
bewußt&#x017F;ein involviren <hi rendition="#g">muß</hi>, in &#x017F;o fern wir vielmehr auch<lb/>
ein Wi&#x017F;&#x017F;en von der Welt überhaupt, das Wi&#x017F;&#x017F;ende mit<lb/>
inbegriffen, anerkennen, wir jenes dunkle allgemeine Wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
gar wohl mit dem Namen des <hi rendition="#g">Weltbewußt&#x017F;eins</hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0116] im höhern Grade Selbſtgefühl nennen. Erſt durch dieſes ſich ſelbſt fühlen wird dann auch überhaupt ein Wiſ¬ ſen, und zwar ein bald dunkleres, bald helleres, bedingt, und ein ſolches wiſſendes oder bewußtes Leben der Seele wird ſich nun in der Reihe der Weſen freilich auf ſehr verſchiedenen Stufen offenbaren. Es gibt hier eine Stufe die dem Unbewußtſein noch ſehr nahe ſteht, wo die Klar¬ heit der Vorſtellungen gering iſt, wo ſie nebelhaft in ein¬ ander verſchwimmen, und wo alſo auch die Vorſtellung von einem Subjekt und die von den Objekten nur wenig ſich von einander unterſcheidet. Hier kann man ſagen, wiſſe die Seele nur überhaupt von einer Welt, ſie wiſſe von ſich mit, als einem Theile dieſer Welt, ohne ſich noch von dieſer Welt ſcharf zu unterſcheiden und ab¬ zuſondern, und auf dieſer Stufe alſo erſcheine ihr Bewußt¬ ſein als Weltbewußtſein. Die Idee nun, die dieſes Weltbewußtſein dadurch erreicht, daß ihr die bald näher zu erörternde organiſche Bedingung zu erfüllen gelang, ohne welche keine Vorſtellung, und alſo auch weder Vorſtellung von der Welt noch von dem eignen Ich ihr bleibendes Ei¬ genthum wird — eine ſolche Idee erſt bezeichnen wir über¬ haupt als Seele; bildet ſie ſich hingegen bis zum klaren Bewußtſein vom eignen Daſein aus, ſo erhält ſie, in ſo¬ weit ſie Selbſtbewußtſein erlangt, den Namen des Gei¬ ſtes. Beide, Seele und Geiſt, dürfen daher keineswegs, wie es oft in der Pſychologie dargeſtellt wurde, zwei neben einander beſtehende Weſen genannt werden, ſondern wie Seele die höher entwickelte Idee, ſo iſt Geiſt nur die höher entwickelte Seele als ſolche. Aus alle dieſem geht ſomit klärlich hervor, daß in ſo fern wir das Wort „Wiſſen“ nicht mit der Strenge definiren, daß es allemal das Selbſt¬ bewußtſein involviren muß, in ſo fern wir vielmehr auch ein Wiſſen von der Welt überhaupt, das Wiſſende mit inbegriffen, anerkennen, wir jenes dunkle allgemeine Wiſſen gar wohl mit dem Namen des Weltbewußtſeins

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/116
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/116>, abgerufen am 22.11.2024.