Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

weniger ist es jedoch dem Bewußtsein nicht nur unbenom¬
men den Bedingungen nachzuforschen unter welchen in einem
Unbewußten das Wunder des Bewußtseins sich erschließt,
sondern es ist sogar die Möglichkeit davon daß die bewußte
Seele über sich selbst recht klar werde, so sehr an die Be¬
achtung und Erforschung der, freilich nur an ihren Zeichen,
und niemals unmittelbar zu erkennenden bewußtlosen See¬
lenzustände gebunden, daß wir auch in dieser Beziehung
unsere sämmtlichen Betrachtungen mit dem Worte beginnen
mußten: "Der Schlüssel zur Erkenntniß des bewußten See¬
lenlebens liege in der Region des Unbewußten."

a . Vom ersten Hervorbilden des Bewußtseins aus dem Unbewußtsein.

Man sollte meinen, jeder Mensch, weil er in sich es
erlebt und erfährt, aus einem früher durchaus Unbewußten
ein Bewußtes zu werden, müsse von diesem Vorgange an
und für sich so viel schon von selbst wissen, daß es kaum
irgend einer wissenschaftlichen Betrachtung dieser Entwick¬
lung bedürfe. Dem ist aber nicht so: jenes seltsame Ge¬
setz, von mir schon an mehrern Orten unter dem Namen:
"Gesetz des Geheimnisses" genannt und besprochen -- be¬
stimmt es, daß gerade manche der wichtigsten Vorgänge
unsers Lebens in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt
bleiben. Wir mögen, noch so aufmerksamen Geistes zurück¬
denkend, uns der frühesten Empfindungen unserer Kindheit
zu erinnern suchen -- immer wird die Art wie das Be¬
wußtsein in seinen frühesten Aeußerungen sich zu erkennen
gibt -- ich spreche nicht einmal von dem allerersten
überhaupt, wie schon bemerkt, ganz unerklärlichen Erwachen
desselben -- sich unserer Vorstellung durchaus entziehen. Die
Seele des Kindes, wenn sie in ihrer Entwicklung noch nahe
ist jenem ersten Erwachen, ist noch zu unreif um irgend
auf Betrachtungen und Bestrebungen dieser Art einzugehen.

weniger iſt es jedoch dem Bewußtſein nicht nur unbenom¬
men den Bedingungen nachzuforſchen unter welchen in einem
Unbewußten das Wunder des Bewußtſeins ſich erſchließt,
ſondern es iſt ſogar die Möglichkeit davon daß die bewußte
Seele über ſich ſelbſt recht klar werde, ſo ſehr an die Be¬
achtung und Erforſchung der, freilich nur an ihren Zeichen,
und niemals unmittelbar zu erkennenden bewußtloſen See¬
lenzuſtände gebunden, daß wir auch in dieſer Beziehung
unſere ſämmtlichen Betrachtungen mit dem Worte beginnen
mußten: „Der Schlüſſel zur Erkenntniß des bewußten See¬
lenlebens liege in der Region des Unbewußten.“

a . Vom erſten Hervorbilden des Bewußtſeins aus dem Unbewußtſein.

Man ſollte meinen, jeder Menſch, weil er in ſich es
erlebt und erfährt, aus einem früher durchaus Unbewußten
ein Bewußtes zu werden, müſſe von dieſem Vorgange an
und für ſich ſo viel ſchon von ſelbſt wiſſen, daß es kaum
irgend einer wiſſenſchaftlichen Betrachtung dieſer Entwick¬
lung bedürfe. Dem iſt aber nicht ſo: jenes ſeltſame Ge¬
ſetz, von mir ſchon an mehrern Orten unter dem Namen:
„Geſetz des Geheimniſſes“ genannt und beſprochen — be¬
ſtimmt es, daß gerade manche der wichtigſten Vorgänge
unſers Lebens in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt
bleiben. Wir mögen, noch ſo aufmerkſamen Geiſtes zurück¬
denkend, uns der früheſten Empfindungen unſerer Kindheit
zu erinnern ſuchen — immer wird die Art wie das Be¬
wußtſein in ſeinen früheſten Aeußerungen ſich zu erkennen
gibt — ich ſpreche nicht einmal von dem allererſten
überhaupt, wie ſchon bemerkt, ganz unerklärlichen Erwachen
deſſelben — ſich unſerer Vorſtellung durchaus entziehen. Die
Seele des Kindes, wenn ſie in ihrer Entwicklung noch nahe
iſt jenem erſten Erwachen, iſt noch zu unreif um irgend
auf Betrachtungen und Beſtrebungen dieſer Art einzugehen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0114" n="98"/>
weniger i&#x017F;t es jedoch dem Bewußt&#x017F;ein nicht nur unbenom¬<lb/>
men den Bedingungen nachzufor&#x017F;chen unter welchen in einem<lb/>
Unbewußten das Wunder des Bewußt&#x017F;eins &#x017F;ich er&#x017F;chließt,<lb/>
&#x017F;ondern es i&#x017F;t &#x017F;ogar die Möglichkeit davon daß die bewußte<lb/>
Seele über &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t recht klar werde, &#x017F;o &#x017F;ehr an die Be¬<lb/>
achtung und Erfor&#x017F;chung der, freilich nur an ihren Zeichen,<lb/>
und niemals unmittelbar zu erkennenden bewußtlo&#x017F;en See¬<lb/>
lenzu&#x017F;tände gebunden, daß wir auch in die&#x017F;er Beziehung<lb/>
un&#x017F;ere &#x017F;ämmtlichen Betrachtungen mit dem Worte beginnen<lb/>
mußten: &#x201E;Der Schlü&#x017F;&#x017F;el zur Erkenntniß des bewußten See¬<lb/>
lenlebens liege in der Region des Unbewußten.&#x201C;</p><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq #b">a</hi> <hi rendition="#b">. Vom er&#x017F;ten Hervorbilden des Bewußt&#x017F;eins aus dem Unbewußt&#x017F;ein.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Man &#x017F;ollte meinen, jeder Men&#x017F;ch, weil er in &#x017F;ich es<lb/>
erlebt und erfährt, aus einem früher durchaus Unbewußten<lb/>
ein Bewußtes zu werden, mü&#x017F;&#x017F;e von die&#x017F;em Vorgange an<lb/>
und für &#x017F;ich <hi rendition="#g">&#x017F;o viel</hi> &#x017F;chon von &#x017F;elb&#x017F;t wi&#x017F;&#x017F;en, daß es kaum<lb/>
irgend einer wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Betrachtung die&#x017F;er Entwick¬<lb/>
lung bedürfe. Dem i&#x017F;t aber nicht &#x017F;o: jenes &#x017F;elt&#x017F;ame Ge¬<lb/>
&#x017F;etz, von mir &#x017F;chon an mehrern Orten unter dem Namen:<lb/>
&#x201E;Ge&#x017F;etz des Geheimni&#x017F;&#x017F;es&#x201C; genannt und be&#x017F;prochen &#x2014; be¬<lb/>
&#x017F;timmt es, daß gerade manche der wichtig&#x017F;ten Vorgänge<lb/>
un&#x017F;ers Lebens in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt<lb/>
bleiben. Wir mögen, noch &#x017F;o aufmerk&#x017F;amen Gei&#x017F;tes zurück¬<lb/>
denkend, uns der frühe&#x017F;ten Empfindungen un&#x017F;erer Kindheit<lb/>
zu erinnern &#x017F;uchen &#x2014; immer wird die Art wie das Be¬<lb/>
wußt&#x017F;ein in &#x017F;einen frühe&#x017F;ten Aeußerungen &#x017F;ich zu erkennen<lb/>
gibt &#x2014; ich &#x017F;preche nicht einmal von dem <hi rendition="#g">allerer&#x017F;ten</hi><lb/>
überhaupt, wie &#x017F;chon bemerkt, ganz unerklärlichen Erwachen<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben &#x2014; &#x017F;ich un&#x017F;erer Vor&#x017F;tellung durchaus entziehen. Die<lb/>
Seele des Kindes, wenn &#x017F;ie in ihrer Entwicklung noch nahe<lb/>
i&#x017F;t jenem er&#x017F;ten Erwachen, i&#x017F;t noch zu unreif um irgend<lb/>
auf Betrachtungen und Be&#x017F;trebungen die&#x017F;er Art einzugehen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0114] weniger iſt es jedoch dem Bewußtſein nicht nur unbenom¬ men den Bedingungen nachzuforſchen unter welchen in einem Unbewußten das Wunder des Bewußtſeins ſich erſchließt, ſondern es iſt ſogar die Möglichkeit davon daß die bewußte Seele über ſich ſelbſt recht klar werde, ſo ſehr an die Be¬ achtung und Erforſchung der, freilich nur an ihren Zeichen, und niemals unmittelbar zu erkennenden bewußtloſen See¬ lenzuſtände gebunden, daß wir auch in dieſer Beziehung unſere ſämmtlichen Betrachtungen mit dem Worte beginnen mußten: „Der Schlüſſel zur Erkenntniß des bewußten See¬ lenlebens liege in der Region des Unbewußten.“ a . Vom erſten Hervorbilden des Bewußtſeins aus dem Unbewußtſein. Man ſollte meinen, jeder Menſch, weil er in ſich es erlebt und erfährt, aus einem früher durchaus Unbewußten ein Bewußtes zu werden, müſſe von dieſem Vorgange an und für ſich ſo viel ſchon von ſelbſt wiſſen, daß es kaum irgend einer wiſſenſchaftlichen Betrachtung dieſer Entwick¬ lung bedürfe. Dem iſt aber nicht ſo: jenes ſeltſame Ge¬ ſetz, von mir ſchon an mehrern Orten unter dem Namen: „Geſetz des Geheimniſſes“ genannt und beſprochen — be¬ ſtimmt es, daß gerade manche der wichtigſten Vorgänge unſers Lebens in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt bleiben. Wir mögen, noch ſo aufmerkſamen Geiſtes zurück¬ denkend, uns der früheſten Empfindungen unſerer Kindheit zu erinnern ſuchen — immer wird die Art wie das Be¬ wußtſein in ſeinen früheſten Aeußerungen ſich zu erkennen gibt — ich ſpreche nicht einmal von dem allererſten überhaupt, wie ſchon bemerkt, ganz unerklärlichen Erwachen deſſelben — ſich unſerer Vorſtellung durchaus entziehen. Die Seele des Kindes, wenn ſie in ihrer Entwicklung noch nahe iſt jenem erſten Erwachen, iſt noch zu unreif um irgend auf Betrachtungen und Beſtrebungen dieſer Art einzugehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/114
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/114>, abgerufen am 22.11.2024.