nie durch vieles Klagen allein zur künstlichen Hülfe bewegen lassen darf, indem ein bloßer Tumult des Nervensystems, wenn er auch äußerlich schreckhaft erscheint, doch so lange die Funk- tionen der übrigen Organe nicht wesentlich getrübt sind, kaum so leicht gefährlich wird. -- Nur Störungen des regelmäßi- gen Lebens auch in andern Gebilden oder wahre Schwäche und sonstige Regelwidrigkeiten in der Geburtsverrichtung kön- nen daher zum operativen Verfahren hierbei berechtigen.
§. 1354.
2) Zu sehr verminderte Sensibilität. Sie äußert sich besonders durch fast gänzliche Schmerzlosigkeit der Wehen, so wie durch einen gemeiniglich sehr raschen Geburts- verlauf, und kommt vorzüglich bei Mehrgebärenden zumal von schlaffem Körperbau, phlegmatischem Temperament und breiten Hüften vor. Dieser Zustand kann nun zwar während der Geburt selbst nicht leicht ein besonderes Verhalten nöthig machen, da der Nachtheil und die Gefahr desselben vor- züglich darin besteht, daß die Frau von der Geburt über- rascht wird, und das Kind durch das plötzliche Hervorstürzen den größten Beschädigungen unterworfen ist, allein in gerichtlicher Hinsicht werden Fälle dieser Art oft um desto wichtiger, da sie nicht selten Verdacht einer absichtlichen Verheimlichung der Geburt und vorsätzlich veranlaßten Beschädigung des Kindes erregen. -- Daß indeß nun wirklich zuweilen die völlige Er- öffnung des Muttermundes, ja das Hervordrängen des Kindes bis gegen die äußern Geburtstheile, fast ohne alles Gefühl von Zusammenziehungen im Uterus erfolgen kann, ist keinem Zweifel unterworfen, und ich habe darüber die unzwei- deutigsten Beobachtungen; allein ob man in irgend einem besondern Falle die Entschuldigung nicht gefühlter Wehen für den übereilten Geburtsverlauf gelten lassen kann, ist nach den übrigen Umständen und der Individualität der Per- son selbst abzumessen.
Anmerkung. Es ist hierbei nicht unwichtig anzuführen, daß in mehrern Fällen wo aus diesem Grunde ein plötz-
nie durch vieles Klagen allein zur kuͤnſtlichen Huͤlfe bewegen laſſen darf, indem ein bloßer Tumult des Nervenſyſtems, wenn er auch aͤußerlich ſchreckhaft erſcheint, doch ſo lange die Funk- tionen der uͤbrigen Organe nicht weſentlich getruͤbt ſind, kaum ſo leicht gefaͤhrlich wird. — Nur Stoͤrungen des regelmaͤßi- gen Lebens auch in andern Gebilden oder wahre Schwaͤche und ſonſtige Regelwidrigkeiten in der Geburtsverrichtung koͤn- nen daher zum operativen Verfahren hierbei berechtigen.
§. 1354.
2) Zu ſehr verminderte Senſibilitaͤt. Sie aͤußert ſich beſonders durch faſt gaͤnzliche Schmerzloſigkeit der Wehen, ſo wie durch einen gemeiniglich ſehr raſchen Geburts- verlauf, und kommt vorzuͤglich bei Mehrgebaͤrenden zumal von ſchlaffem Koͤrperbau, phlegmatiſchem Temperament und breiten Huͤften vor. Dieſer Zuſtand kann nun zwar waͤhrend der Geburt ſelbſt nicht leicht ein beſonderes Verhalten noͤthig machen, da der Nachtheil und die Gefahr deſſelben vor- zuͤglich darin beſteht, daß die Frau von der Geburt uͤber- raſcht wird, und das Kind durch das ploͤtzliche Hervorſtuͤrzen den groͤßten Beſchaͤdigungen unterworfen iſt, allein in gerichtlicher Hinſicht werden Faͤlle dieſer Art oft um deſto wichtiger, da ſie nicht ſelten Verdacht einer abſichtlichen Verheimlichung der Geburt und vorſaͤtzlich veranlaßten Beſchaͤdigung des Kindes erregen. — Daß indeß nun wirklich zuweilen die voͤllige Er- oͤffnung des Muttermundes, ja das Hervordraͤngen des Kindes bis gegen die aͤußern Geburtstheile, faſt ohne alles Gefuͤhl von Zuſammenziehungen im Uterus erfolgen kann, iſt keinem Zweifel unterworfen, und ich habe daruͤber die unzwei- deutigſten Beobachtungen; allein ob man in irgend einem beſondern Falle die Entſchuldigung nicht gefuͤhlter Wehen fuͤr den uͤbereilten Geburtsverlauf gelten laſſen kann, iſt nach den uͤbrigen Umſtaͤnden und der Individualitaͤt der Per- ſon ſelbſt abzumeſſen.
Anmerkung. Es iſt hierbei nicht unwichtig anzufuͤhren, daß in mehrern Faͤllen wo aus dieſem Grunde ein ploͤtz-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><divn="9"><divn="10"><p><pbfacs="#f0447"n="421"/>
nie durch vieles Klagen allein zur kuͤnſtlichen Huͤlfe bewegen<lb/>
laſſen darf, indem ein bloßer Tumult des Nervenſyſtems, wenn<lb/>
er auch aͤußerlich ſchreckhaft erſcheint, doch ſo lange die Funk-<lb/>
tionen der uͤbrigen Organe nicht weſentlich getruͤbt ſind, kaum<lb/>ſo leicht gefaͤhrlich wird. — Nur Stoͤrungen des regelmaͤßi-<lb/>
gen Lebens auch in andern Gebilden oder wahre Schwaͤche<lb/>
und ſonſtige Regelwidrigkeiten in der Geburtsverrichtung koͤn-<lb/>
nen daher zum operativen Verfahren hierbei berechtigen.</p></div><lb/><divn="10"><head>§. 1354.</head><lb/><p>2) <hirendition="#g">Zu ſehr verminderte Senſibilitaͤt</hi>. Sie<lb/>
aͤußert ſich beſonders durch faſt gaͤnzliche Schmerzloſigkeit der<lb/>
Wehen, ſo wie durch einen gemeiniglich ſehr raſchen Geburts-<lb/>
verlauf, und kommt vorzuͤglich bei Mehrgebaͤrenden zumal von<lb/>ſchlaffem Koͤrperbau, phlegmatiſchem Temperament und breiten<lb/>
Huͤften vor. Dieſer Zuſtand kann nun zwar waͤhrend der<lb/>
Geburt ſelbſt nicht leicht ein beſonderes Verhalten noͤthig<lb/>
machen, da der Nachtheil und die Gefahr deſſelben vor-<lb/>
zuͤglich <hirendition="#g">darin</hi> beſteht, daß die Frau von der Geburt uͤber-<lb/>
raſcht wird, und das Kind durch das ploͤtzliche Hervorſtuͤrzen den<lb/>
groͤßten Beſchaͤdigungen unterworfen iſt, allein in gerichtlicher<lb/>
Hinſicht werden Faͤlle dieſer Art oft um deſto wichtiger, da<lb/>ſie nicht ſelten Verdacht einer abſichtlichen Verheimlichung der<lb/>
Geburt und vorſaͤtzlich veranlaßten Beſchaͤdigung des Kindes<lb/>
erregen. — Daß indeß nun wirklich zuweilen die voͤllige Er-<lb/>
oͤffnung des Muttermundes, ja das Hervordraͤngen des Kindes<lb/>
bis gegen die aͤußern Geburtstheile, faſt ohne alles Gefuͤhl<lb/>
von Zuſammenziehungen im Uterus <hirendition="#g">erfolgen kann</hi>, iſt<lb/>
keinem Zweifel unterworfen, und ich habe daruͤber die unzwei-<lb/>
deutigſten Beobachtungen; allein ob man in irgend <hirendition="#g">einem<lb/>
beſondern</hi> Falle die Entſchuldigung nicht gefuͤhlter Wehen<lb/>
fuͤr den uͤbereilten Geburtsverlauf <hirendition="#g">gelten laſſen kann</hi>, iſt<lb/>
nach den uͤbrigen Umſtaͤnden und der Individualitaͤt der Per-<lb/>ſon ſelbſt abzumeſſen.</p><lb/><p><hirendition="#et"><hirendition="#g">Anmerkung</hi>. Es iſt hierbei nicht unwichtig anzufuͤhren,<lb/>
daß in mehrern Faͤllen wo aus dieſem Grunde ein ploͤtz-<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[421/0447]
nie durch vieles Klagen allein zur kuͤnſtlichen Huͤlfe bewegen
laſſen darf, indem ein bloßer Tumult des Nervenſyſtems, wenn
er auch aͤußerlich ſchreckhaft erſcheint, doch ſo lange die Funk-
tionen der uͤbrigen Organe nicht weſentlich getruͤbt ſind, kaum
ſo leicht gefaͤhrlich wird. — Nur Stoͤrungen des regelmaͤßi-
gen Lebens auch in andern Gebilden oder wahre Schwaͤche
und ſonſtige Regelwidrigkeiten in der Geburtsverrichtung koͤn-
nen daher zum operativen Verfahren hierbei berechtigen.
§. 1354.
2) Zu ſehr verminderte Senſibilitaͤt. Sie
aͤußert ſich beſonders durch faſt gaͤnzliche Schmerzloſigkeit der
Wehen, ſo wie durch einen gemeiniglich ſehr raſchen Geburts-
verlauf, und kommt vorzuͤglich bei Mehrgebaͤrenden zumal von
ſchlaffem Koͤrperbau, phlegmatiſchem Temperament und breiten
Huͤften vor. Dieſer Zuſtand kann nun zwar waͤhrend der
Geburt ſelbſt nicht leicht ein beſonderes Verhalten noͤthig
machen, da der Nachtheil und die Gefahr deſſelben vor-
zuͤglich darin beſteht, daß die Frau von der Geburt uͤber-
raſcht wird, und das Kind durch das ploͤtzliche Hervorſtuͤrzen den
groͤßten Beſchaͤdigungen unterworfen iſt, allein in gerichtlicher
Hinſicht werden Faͤlle dieſer Art oft um deſto wichtiger, da
ſie nicht ſelten Verdacht einer abſichtlichen Verheimlichung der
Geburt und vorſaͤtzlich veranlaßten Beſchaͤdigung des Kindes
erregen. — Daß indeß nun wirklich zuweilen die voͤllige Er-
oͤffnung des Muttermundes, ja das Hervordraͤngen des Kindes
bis gegen die aͤußern Geburtstheile, faſt ohne alles Gefuͤhl
von Zuſammenziehungen im Uterus erfolgen kann, iſt
keinem Zweifel unterworfen, und ich habe daruͤber die unzwei-
deutigſten Beobachtungen; allein ob man in irgend einem
beſondern Falle die Entſchuldigung nicht gefuͤhlter Wehen
fuͤr den uͤbereilten Geburtsverlauf gelten laſſen kann, iſt
nach den uͤbrigen Umſtaͤnden und der Individualitaͤt der Per-
ſon ſelbſt abzumeſſen.
Anmerkung. Es iſt hierbei nicht unwichtig anzufuͤhren,
daß in mehrern Faͤllen wo aus dieſem Grunde ein ploͤtz-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/447>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.