8. Regel. Entbindung einer Kreisenden welche bereits im Sterben begriffen ist, unternehme man, um Beschuldigun- gen Unwißender oder Uebelgesinnter zu vermeiden, nur in Fällen wo man noch irgend etwas zum Wohle der Mutter oder des Kindes wahrhaft förderliches dadurch zu er- reichen hoffen darf. -- Ueberhaupt endlich richte man sich in medicinisch indifferenten Dingen (z. B. rücksichtlich der, vor- züglich katholischen Religionsverwandten, sehr wichtigen Noth- taufe) mit Schonung völlig nach den Ansichten der Eltern.
I. Vorbereitende Operationen.
1. Von der künstlichen Erweiterung des Muttermundes.
§. 1146.
Diese Operation besteht darin, daß man, entweder mit- telst der Hand allein, oder durch Mitwirkung eines Instru- mentes den Muttermund, theils nur bis zu einem gewis- sen Grade, theils bis zur völligen Erweiterung künstlich öffne. Der Zweck weßhalb dieses geschieht, kann sehr verschieden seyn, nämlich einmal bei völliger Verschließung des Muttermundes überhaupt die Geburt möglich zu machen, in andern Fällen um sonstige dringend nöthige Hülfsleistungen, Sprengen der Eihäute, Wendung, Extraktion, Lösung oder Herausbeförderung der Nachgeburt u. s. w. darauf folgen zu lassen. -- Im Allgemeinen darf man wohl behaupten, daß die künstliche Eröffnung des Muttermundes eine der Operationen sey, wel- che am gewaltsamsten in das Geburtsgeschäft eingreifen, und welche deßhalb durchaus nur auf die gefahrdrohend- sten Fälle (sie werden in der geburtshülflichen Pathologie näher bezeichnet werden) eingeschränkt zu werden verdient, nie aber etwa blos Behufs der Abkürzung einer etwas längern Dauer der zweiten Geburtsperiode und ähnlicher oft blos die Geduld des Geburtshelfers auf die Probe setzenden Umstände angewendet werden darf.
8. Regel. Entbindung einer Kreiſenden welche bereits im Sterben begriffen iſt, unternehme man, um Beſchuldigun- gen Unwißender oder Uebelgeſinnter zu vermeiden, nur in Faͤllen wo man noch irgend etwas zum Wohle der Mutter oder des Kindes wahrhaft foͤrderliches dadurch zu er- reichen hoffen darf. — Ueberhaupt endlich richte man ſich in mediciniſch indifferenten Dingen (z. B. ruͤckſichtlich der, vor- zuͤglich katholiſchen Religionsverwandten, ſehr wichtigen Noth- taufe) mit Schonung voͤllig nach den Anſichten der Eltern.
I. Vorbereitende Operationen.
1. Von der kuͤnſtlichen Erweiterung des Muttermundes.
§. 1146.
Dieſe Operation beſteht darin, daß man, entweder mit- telſt der Hand allein, oder durch Mitwirkung eines Inſtru- mentes den Muttermund, theils nur bis zu einem gewiſ- ſen Grade, theils bis zur voͤlligen Erweiterung kuͤnſtlich oͤffne. Der Zweck weßhalb dieſes geſchieht, kann ſehr verſchieden ſeyn, naͤmlich einmal bei voͤlliger Verſchließung des Muttermundes uͤberhaupt die Geburt moͤglich zu machen, in andern Faͤllen um ſonſtige dringend noͤthige Huͤlfsleiſtungen, Sprengen der Eihaͤute, Wendung, Extraktion, Loͤſung oder Herausbefoͤrderung der Nachgeburt u. ſ. w. darauf folgen zu laſſen. — Im Allgemeinen darf man wohl behaupten, daß die kuͤnſtliche Eroͤffnung des Muttermundes eine der Operationen ſey, wel- che am gewaltſamſten in das Geburtsgeſchaͤft eingreifen, und welche deßhalb durchaus nur auf die gefahrdrohend- ſten Faͤlle (ſie werden in der geburtshuͤlflichen Pathologie naͤher bezeichnet werden) eingeſchraͤnkt zu werden verdient, nie aber etwa blos Behufs der Abkuͤrzung einer etwas laͤngern Dauer der zweiten Geburtsperiode und aͤhnlicher oft blos die Geduld des Geburtshelfers auf die Probe ſetzenden Umſtaͤnde angewendet werden darf.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0320"n="296"/><p>8. <hirendition="#g">Regel</hi>. Entbindung einer Kreiſenden welche bereits<lb/>
im Sterben begriffen iſt, unternehme man, um Beſchuldigun-<lb/>
gen Unwißender oder Uebelgeſinnter zu vermeiden, <hirendition="#g">nur in<lb/>
Faͤllen</hi> wo man noch irgend etwas zum Wohle der Mutter<lb/>
oder des Kindes <hirendition="#g">wahrhaft foͤrderliches</hi> dadurch zu er-<lb/>
reichen hoffen darf. — Ueberhaupt endlich richte man ſich in<lb/>
mediciniſch indifferenten Dingen (z. B. ruͤckſichtlich der, vor-<lb/>
zuͤglich katholiſchen Religionsverwandten, ſehr wichtigen Noth-<lb/>
taufe) mit Schonung voͤllig nach den Anſichten der Eltern.</p></div><lb/><divn="5"><head><hirendition="#aq">I.</hi> Vorbereitende Operationen.</head><lb/><divn="6"><head>1. <hirendition="#g">Von der kuͤnſtlichen Erweiterung des<lb/>
Muttermundes</hi>.</head><lb/><divn="7"><head>§. 1146.</head><lb/><p>Dieſe Operation beſteht darin, daß man, entweder mit-<lb/>
telſt der Hand allein, oder durch Mitwirkung eines Inſtru-<lb/>
mentes den Muttermund, theils nur bis zu einem gewiſ-<lb/>ſen Grade, theils bis zur voͤlligen Erweiterung kuͤnſtlich oͤffne.<lb/>
Der Zweck weßhalb dieſes geſchieht, kann ſehr verſchieden ſeyn,<lb/>
naͤmlich einmal bei voͤlliger Verſchließung des Muttermundes<lb/>
uͤberhaupt die Geburt moͤglich zu machen, in andern Faͤllen<lb/>
um ſonſtige dringend noͤthige Huͤlfsleiſtungen, Sprengen der<lb/>
Eihaͤute, Wendung, Extraktion, Loͤſung oder Herausbefoͤrderung<lb/>
der Nachgeburt u. ſ. w. darauf folgen zu laſſen. — Im<lb/>
Allgemeinen darf man wohl behaupten, daß die kuͤnſtliche<lb/>
Eroͤffnung des Muttermundes eine der Operationen ſey, wel-<lb/>
che am gewaltſamſten in das Geburtsgeſchaͤft eingreifen, und<lb/>
welche deßhalb <hirendition="#g">durchaus nur auf die gefahrdrohend-<lb/>ſten Faͤlle</hi> (ſie werden in der geburtshuͤlflichen Pathologie<lb/>
naͤher bezeichnet werden) eingeſchraͤnkt zu werden verdient, nie<lb/>
aber etwa blos Behufs der Abkuͤrzung einer etwas laͤngern<lb/>
Dauer der zweiten Geburtsperiode und aͤhnlicher oft blos die<lb/>
Geduld des Geburtshelfers auf die Probe ſetzenden Umſtaͤnde<lb/>
angewendet werden darf.</p></div><lb/></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[296/0320]
8. Regel. Entbindung einer Kreiſenden welche bereits
im Sterben begriffen iſt, unternehme man, um Beſchuldigun-
gen Unwißender oder Uebelgeſinnter zu vermeiden, nur in
Faͤllen wo man noch irgend etwas zum Wohle der Mutter
oder des Kindes wahrhaft foͤrderliches dadurch zu er-
reichen hoffen darf. — Ueberhaupt endlich richte man ſich in
mediciniſch indifferenten Dingen (z. B. ruͤckſichtlich der, vor-
zuͤglich katholiſchen Religionsverwandten, ſehr wichtigen Noth-
taufe) mit Schonung voͤllig nach den Anſichten der Eltern.
I. Vorbereitende Operationen.
1. Von der kuͤnſtlichen Erweiterung des
Muttermundes.
§. 1146.
Dieſe Operation beſteht darin, daß man, entweder mit-
telſt der Hand allein, oder durch Mitwirkung eines Inſtru-
mentes den Muttermund, theils nur bis zu einem gewiſ-
ſen Grade, theils bis zur voͤlligen Erweiterung kuͤnſtlich oͤffne.
Der Zweck weßhalb dieſes geſchieht, kann ſehr verſchieden ſeyn,
naͤmlich einmal bei voͤlliger Verſchließung des Muttermundes
uͤberhaupt die Geburt moͤglich zu machen, in andern Faͤllen
um ſonſtige dringend noͤthige Huͤlfsleiſtungen, Sprengen der
Eihaͤute, Wendung, Extraktion, Loͤſung oder Herausbefoͤrderung
der Nachgeburt u. ſ. w. darauf folgen zu laſſen. — Im
Allgemeinen darf man wohl behaupten, daß die kuͤnſtliche
Eroͤffnung des Muttermundes eine der Operationen ſey, wel-
che am gewaltſamſten in das Geburtsgeſchaͤft eingreifen, und
welche deßhalb durchaus nur auf die gefahrdrohend-
ſten Faͤlle (ſie werden in der geburtshuͤlflichen Pathologie
naͤher bezeichnet werden) eingeſchraͤnkt zu werden verdient, nie
aber etwa blos Behufs der Abkuͤrzung einer etwas laͤngern
Dauer der zweiten Geburtsperiode und aͤhnlicher oft blos die
Geduld des Geburtshelfers auf die Probe ſetzenden Umſtaͤnde
angewendet werden darf.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/320>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.