Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

Milch gab, als sie das Junge (wenn es auch gar nicht
mehr an ihr saugte) neben sich sah. Ferner machte Prof.
Emmert *) darauf aufmerksam, daß schon Vaillant ganz
dasselbe von den Kühen in Afrika erzählt, welche daher, wenn
das Kalb stirbt, von den Eingebornen dadurch noch zu längerer
Milchabsonderung gereizt werden, daß man die Haut dieses
Kalbes einem andern Kalbe überzieht, und dieses beim
Melken in der Nähe der Kuh läßt. -- Allein auch beim
Menschen ist dieser Einfluß unlängbar. H. Emmert er-
wähnt schon, daß in der mütterlichen Brust die Milch durch
künstliches Aussaugen (z. B. von einer zahnlosen alten Frau,
wie es an mehreren Orten in Fällen des Nichtstillens zur
Gewohnheit geworden ist) nicht länger als neun Tage zu-
rückgehalten wird, und dann verschwindet, weil der Körper
fehlt, dessen Ernährung (als gleichsam eines noch nicht ganz
getrennten Theils des eigenen Organismus) diese Sekretion
bezweckt. Indeß fast noch deutlicher habe ich dieß oft beim
Säugungsgeschäfte der Ammen bemerkt. Junge, ganz ge-
sunde Personen, welche während der Stillung ihres eigenen
Kindes Ueberfluß von Milch hatten, verlieren dieselbe oft
schnell, wenn sie ein fremdes Kind anlegen; ja selbst, wenn
Ammen ein fremdes Kind eine zeitlang glücklich gestillt haben
(weil ein ähnlicher Rapport zwischen ihnen und diesem Kinde,
wie früher zu ihrem eigenen eingetreten ist), verlieren sie zu-
weilen die Milch, wenn sie nun wieder ein anderes Kind
zu säugen anfangen.

§. 889.

Was endlich die Dauer des Säuglingsalters
betrifft, so reicht sie bis zur stärkern Entwickelung der Zähne,
und endet also 30 bis 40 Wochen nach der Geburt um
in das eigentliche Kindesalter überzugehen, gegen welche
Zeit denn auch die innere Organisation, in so weit sie noch
vom Fetuszustande zeugt, mehr verschwindet, eiförmiges Loch
und Botalli'scher Gang größtentheils geschlossen sind, und

*) Meckel's Archiv f. Physiol. IV. Bd. 4. Heft. S. 538.

Milch gab, als ſie das Junge (wenn es auch gar nicht
mehr an ihr ſaugte) neben ſich ſah. Ferner machte Prof.
Emmert *) darauf aufmerkſam, daß ſchon Vaillant ganz
daſſelbe von den Kuͤhen in Afrika erzaͤhlt, welche daher, wenn
das Kalb ſtirbt, von den Eingebornen dadurch noch zu laͤngerer
Milchabſonderung gereizt werden, daß man die Haut dieſes
Kalbes einem andern Kalbe uͤberzieht, und dieſes beim
Melken in der Naͤhe der Kuh laͤßt. — Allein auch beim
Menſchen iſt dieſer Einfluß unlaͤngbar. H. Emmert er-
waͤhnt ſchon, daß in der muͤtterlichen Bruſt die Milch durch
kuͤnſtliches Ausſaugen (z. B. von einer zahnloſen alten Frau,
wie es an mehreren Orten in Faͤllen des Nichtſtillens zur
Gewohnheit geworden iſt) nicht laͤnger als neun Tage zu-
ruͤckgehalten wird, und dann verſchwindet, weil der Koͤrper
fehlt, deſſen Ernaͤhrung (als gleichſam eines noch nicht ganz
getrennten Theils des eigenen Organismus) dieſe Sekretion
bezweckt. Indeß faſt noch deutlicher habe ich dieß oft beim
Saͤugungsgeſchaͤfte der Ammen bemerkt. Junge, ganz ge-
ſunde Perſonen, welche waͤhrend der Stillung ihres eigenen
Kindes Ueberfluß von Milch hatten, verlieren dieſelbe oft
ſchnell, wenn ſie ein fremdes Kind anlegen; ja ſelbſt, wenn
Ammen ein fremdes Kind eine zeitlang gluͤcklich geſtillt haben
(weil ein aͤhnlicher Rapport zwiſchen ihnen und dieſem Kinde,
wie fruͤher zu ihrem eigenen eingetreten iſt), verlieren ſie zu-
weilen die Milch, wenn ſie nun wieder ein anderes Kind
zu ſaͤugen anfangen.

§. 889.

Was endlich die Dauer des Saͤuglingsalters
betrifft, ſo reicht ſie bis zur ſtaͤrkern Entwickelung der Zaͤhne,
und endet alſo 30 bis 40 Wochen nach der Geburt um
in das eigentliche Kindesalter uͤberzugehen, gegen welche
Zeit denn auch die innere Organiſation, in ſo weit ſie noch
vom Fetuszuſtande zeugt, mehr verſchwindet, eifoͤrmiges Loch
und Botalli’ſcher Gang groͤßtentheils geſchloſſen ſind, und

*) Meckel’s Archiv f. Phyſiol. IV. Bd. 4. Heft. S. 538.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0174" n="150"/>
Milch gab, als &#x017F;ie das Junge (wenn es auch gar nicht<lb/>
mehr an ihr &#x017F;augte) neben &#x017F;ich &#x017F;ah. Ferner machte Prof.<lb/><hi rendition="#g">Emmert</hi> <note place="foot" n="*)">Meckel&#x2019;s Archiv f. Phy&#x017F;iol. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Bd. 4. Heft. S. 538.</note> darauf aufmerk&#x017F;am, daß &#x017F;chon Vaillant ganz<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe von den Ku&#x0364;hen in Afrika erza&#x0364;hlt, welche daher, wenn<lb/>
das Kalb &#x017F;tirbt, von den Eingebornen dadurch noch zu la&#x0364;ngerer<lb/>
Milchab&#x017F;onderung gereizt werden, daß man die Haut die&#x017F;es<lb/>
Kalbes einem andern Kalbe u&#x0364;berzieht, und die&#x017F;es beim<lb/>
Melken in der Na&#x0364;he der Kuh la&#x0364;ßt. &#x2014; Allein auch beim<lb/>
Men&#x017F;chen i&#x017F;t die&#x017F;er Einfluß unla&#x0364;ngbar. H. <hi rendition="#g">Emmert</hi> er-<lb/>
wa&#x0364;hnt &#x017F;chon, daß in der mu&#x0364;tterlichen Bru&#x017F;t die Milch durch<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tliches Aus&#x017F;augen (z. B. von einer zahnlo&#x017F;en alten Frau,<lb/>
wie es an mehreren Orten in Fa&#x0364;llen des Nicht&#x017F;tillens zur<lb/>
Gewohnheit geworden i&#x017F;t) nicht la&#x0364;nger als neun Tage zu-<lb/>
ru&#x0364;ckgehalten wird, und dann ver&#x017F;chwindet, weil der Ko&#x0364;rper<lb/>
fehlt, de&#x017F;&#x017F;en Erna&#x0364;hrung (als gleich&#x017F;am eines noch nicht ganz<lb/>
getrennten Theils des eigenen Organismus) die&#x017F;e Sekretion<lb/>
bezweckt. Indeß fa&#x017F;t noch deutlicher habe ich dieß oft beim<lb/>
Sa&#x0364;ugungsge&#x017F;cha&#x0364;fte der Ammen bemerkt. Junge, ganz ge-<lb/>
&#x017F;unde Per&#x017F;onen, welche wa&#x0364;hrend der Stillung ihres eigenen<lb/>
Kindes Ueberfluß von Milch hatten, verlieren die&#x017F;elbe oft<lb/>
&#x017F;chnell, wenn &#x017F;ie ein fremdes Kind anlegen; ja &#x017F;elb&#x017F;t, wenn<lb/>
Ammen ein fremdes Kind eine zeitlang glu&#x0364;cklich ge&#x017F;tillt haben<lb/>
(weil ein a&#x0364;hnlicher Rapport zwi&#x017F;chen ihnen und die&#x017F;em Kinde,<lb/>
wie fru&#x0364;her zu ihrem eigenen eingetreten i&#x017F;t), verlieren &#x017F;ie zu-<lb/>
weilen die Milch, wenn &#x017F;ie nun wieder ein anderes Kind<lb/>
zu &#x017F;a&#x0364;ugen anfangen.</p>
                  </div><lb/>
                  <div n="7">
                    <head>§. 889.</head><lb/>
                    <p>Was endlich die <hi rendition="#g">Dauer des Sa&#x0364;uglingsalters</hi><lb/>
betrifft, &#x017F;o reicht &#x017F;ie bis zur &#x017F;ta&#x0364;rkern Entwickelung der Za&#x0364;hne,<lb/>
und endet al&#x017F;o 30 bis 40 Wochen nach der Geburt um<lb/>
in das eigentliche <hi rendition="#g">Kindesalter</hi> u&#x0364;berzugehen, gegen welche<lb/>
Zeit denn auch die innere Organi&#x017F;ation, in &#x017F;o weit &#x017F;ie noch<lb/>
vom Fetuszu&#x017F;tande zeugt, mehr ver&#x017F;chwindet, eifo&#x0364;rmiges Loch<lb/>
und Botalli&#x2019;&#x017F;cher Gang gro&#x0364;ßtentheils ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind, und<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0174] Milch gab, als ſie das Junge (wenn es auch gar nicht mehr an ihr ſaugte) neben ſich ſah. Ferner machte Prof. Emmert *) darauf aufmerkſam, daß ſchon Vaillant ganz daſſelbe von den Kuͤhen in Afrika erzaͤhlt, welche daher, wenn das Kalb ſtirbt, von den Eingebornen dadurch noch zu laͤngerer Milchabſonderung gereizt werden, daß man die Haut dieſes Kalbes einem andern Kalbe uͤberzieht, und dieſes beim Melken in der Naͤhe der Kuh laͤßt. — Allein auch beim Menſchen iſt dieſer Einfluß unlaͤngbar. H. Emmert er- waͤhnt ſchon, daß in der muͤtterlichen Bruſt die Milch durch kuͤnſtliches Ausſaugen (z. B. von einer zahnloſen alten Frau, wie es an mehreren Orten in Faͤllen des Nichtſtillens zur Gewohnheit geworden iſt) nicht laͤnger als neun Tage zu- ruͤckgehalten wird, und dann verſchwindet, weil der Koͤrper fehlt, deſſen Ernaͤhrung (als gleichſam eines noch nicht ganz getrennten Theils des eigenen Organismus) dieſe Sekretion bezweckt. Indeß faſt noch deutlicher habe ich dieß oft beim Saͤugungsgeſchaͤfte der Ammen bemerkt. Junge, ganz ge- ſunde Perſonen, welche waͤhrend der Stillung ihres eigenen Kindes Ueberfluß von Milch hatten, verlieren dieſelbe oft ſchnell, wenn ſie ein fremdes Kind anlegen; ja ſelbſt, wenn Ammen ein fremdes Kind eine zeitlang gluͤcklich geſtillt haben (weil ein aͤhnlicher Rapport zwiſchen ihnen und dieſem Kinde, wie fruͤher zu ihrem eigenen eingetreten iſt), verlieren ſie zu- weilen die Milch, wenn ſie nun wieder ein anderes Kind zu ſaͤugen anfangen. §. 889. Was endlich die Dauer des Saͤuglingsalters betrifft, ſo reicht ſie bis zur ſtaͤrkern Entwickelung der Zaͤhne, und endet alſo 30 bis 40 Wochen nach der Geburt um in das eigentliche Kindesalter uͤberzugehen, gegen welche Zeit denn auch die innere Organiſation, in ſo weit ſie noch vom Fetuszuſtande zeugt, mehr verſchwindet, eifoͤrmiges Loch und Botalli’ſcher Gang groͤßtentheils geſchloſſen ſind, und *) Meckel’s Archiv f. Phyſiol. IV. Bd. 4. Heft. S. 538.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/174
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/174>, abgerufen am 21.11.2024.