Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

gemeinen Regeln des Geburtsmechanismus aufzu-
führen, welche, indem sie sich ganz auf den Bau des Be-
ckens selbst gründen, für jede Art des Durchganges vom
Kinde durch das Becken passend sind.

§. 819.

Erste Regel: Jeder vorausgehende Kindestheil wird
durch die schiefen Wände des großen Beckens gegen die obere
Oeffnung des kleinen Beckens geleitet, und muß in diese in
der Richtung der Levret'schen Beckenachse eintreten. Zweite
Regel
: Jeder der Weite des kleinen Beckens seiner Größe
nach ziemlich entsprechende Kindestheil stellt sich, sobald er in die
obere Beckenöffnung eintritt, mit seinem größern Durchmes-
ser in einen der beiden schiefen Durchmesser derselben. (Er
würde sich in den allerdings noch geräumigern Quer-
durchmesser
stellen, würde dieß nicht durch das vor-
springende Promontorium gehindert, welches ihn immer mehr
in die schiefe Richtung dirigirt.)

§. 820.

Dritte Regel: Derselbe Kindestheil, welcher im Ein-
gange des Beckens im schiefen Durchmesser stand, wird, so-
bald er in die Beckenhöhle völlig herabgetreten ist, die Rich-
tung des größten Durchmessers derselben, d. i. des gera-
den
, annehmen, sich also um den achten Theil eines
Kreises
drehen. Diese Drehung ist keinesweges die Wir-
kung spiralförmiger Bewegung der Fasern des Uterus, oder
Wirkung des Zusammenziehens und Anschwellens gewisser
Beckenmuskeln, wie Einige (z. B. H. Schweighäu-
ser
) behauptet haben, sondern die Folge der veränder-
ten räumlichen Verhältnisse der Beckenhöhle gegen die
des Beckeneinganges allein, indem sich leicht einsehen läßt,
daß ein jeder glatter, ovaler Körper in einem schlüpfrigen
Kanale, dessen Dimensionen von Strecke zu Strecke sich än-
dern, von selbst die für jede Stelle passende Richtung an-
nehmen muß, sobald er durch eine drängende Kraft überhaupt
zur Fortbewegung gezwungen wird.


gemeinen Regeln des Geburtsmechanismus aufzu-
fuͤhren, welche, indem ſie ſich ganz auf den Bau des Be-
ckens ſelbſt gruͤnden, fuͤr jede Art des Durchganges vom
Kinde durch das Becken paſſend ſind.

§. 819.

Erſte Regel: Jeder vorausgehende Kindestheil wird
durch die ſchiefen Waͤnde des großen Beckens gegen die obere
Oeffnung des kleinen Beckens geleitet, und muß in dieſe in
der Richtung der Levret’ſchen Beckenachſe eintreten. Zweite
Regel
: Jeder der Weite des kleinen Beckens ſeiner Groͤße
nach ziemlich entſprechende Kindestheil ſtellt ſich, ſobald er in die
obere Beckenoͤffnung eintritt, mit ſeinem groͤßern Durchmeſ-
ſer in einen der beiden ſchiefen Durchmeſſer derſelben. (Er
wuͤrde ſich in den allerdings noch geraͤumigern Quer-
durchmeſſer
ſtellen, wuͤrde dieß nicht durch das vor-
ſpringende Promontorium gehindert, welches ihn immer mehr
in die ſchiefe Richtung dirigirt.)

§. 820.

Dritte Regel: Derſelbe Kindestheil, welcher im Ein-
gange des Beckens im ſchiefen Durchmeſſer ſtand, wird, ſo-
bald er in die Beckenhoͤhle voͤllig herabgetreten iſt, die Rich-
tung des groͤßten Durchmeſſers derſelben, d. i. des gera-
den
, annehmen, ſich alſo um den achten Theil eines
Kreiſes
drehen. Dieſe Drehung iſt keinesweges die Wir-
kung ſpiralfoͤrmiger Bewegung der Faſern des Uterus, oder
Wirkung des Zuſammenziehens und Anſchwellens gewiſſer
Beckenmuskeln, wie Einige (z. B. H. Schweighaͤu-
ſer
) behauptet haben, ſondern die Folge der veraͤnder-
ten raͤumlichen Verhaͤltniſſe der Beckenhoͤhle gegen die
des Beckeneinganges allein, indem ſich leicht einſehen laͤßt,
daß ein jeder glatter, ovaler Koͤrper in einem ſchluͤpfrigen
Kanale, deſſen Dimenſionen von Strecke zu Strecke ſich aͤn-
dern, von ſelbſt die fuͤr jede Stelle paſſende Richtung an-
nehmen muß, ſobald er durch eine draͤngende Kraft uͤberhaupt
zur Fortbewegung gezwungen wird.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0131" n="107"/>
gemeinen Regeln des Geburtsmechanismus</hi> aufzu-<lb/>
fu&#x0364;hren, welche, indem &#x017F;ie &#x017F;ich ganz auf den Bau des Be-<lb/>
ckens &#x017F;elb&#x017F;t gru&#x0364;nden, fu&#x0364;r jede Art des Durchganges vom<lb/>
Kinde durch das Becken pa&#x017F;&#x017F;end &#x017F;ind.</p>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head>§. 819.</head><lb/>
                  <p><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Regel</hi>: Jeder vorausgehende Kindestheil wird<lb/>
durch die &#x017F;chiefen Wa&#x0364;nde des großen Beckens gegen die obere<lb/>
Oeffnung des kleinen Beckens geleitet, und muß in die&#x017F;e in<lb/>
der Richtung der <hi rendition="#g">Levret&#x2019;&#x017F;che</hi>n Beckenach&#x017F;e eintreten. <hi rendition="#g">Zweite<lb/>
Regel</hi>: Jeder der Weite des kleinen Beckens &#x017F;einer Gro&#x0364;ße<lb/>
nach ziemlich ent&#x017F;prechende Kindestheil &#x017F;tellt &#x017F;ich, &#x017F;obald er in die<lb/>
obere Beckeno&#x0364;ffnung eintritt, mit &#x017F;einem gro&#x0364;ßern Durchme&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er in einen der beiden <hi rendition="#g">&#x017F;chiefen</hi> Durchme&#x017F;&#x017F;er der&#x017F;elben. (Er<lb/>
wu&#x0364;rde &#x017F;ich in den allerdings noch gera&#x0364;umigern <hi rendition="#g">Quer-<lb/>
durchme&#x017F;&#x017F;er</hi> &#x017F;tellen, wu&#x0364;rde dieß nicht durch das vor-<lb/>
&#x017F;pringende <hi rendition="#aq">Promontorium</hi> gehindert, welches ihn immer mehr<lb/>
in die &#x017F;chiefe Richtung dirigirt.)</p>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head>§. 820.</head><lb/>
                  <p><hi rendition="#g">Dritte Regel</hi>: Der&#x017F;elbe Kindestheil, welcher im Ein-<lb/>
gange des Beckens im &#x017F;chiefen Durchme&#x017F;&#x017F;er &#x017F;tand, wird, &#x017F;o-<lb/>
bald er in die Beckenho&#x0364;hle vo&#x0364;llig herabgetreten i&#x017F;t, die Rich-<lb/>
tung des gro&#x0364;ßten Durchme&#x017F;&#x017F;ers der&#x017F;elben, d. i. des <hi rendition="#g">gera-<lb/>
den</hi>, annehmen, &#x017F;ich al&#x017F;o <hi rendition="#g">um den achten Theil eines<lb/>
Krei&#x017F;es</hi> drehen. Die&#x017F;e Drehung i&#x017F;t keinesweges die Wir-<lb/>
kung &#x017F;piralfo&#x0364;rmiger Bewegung der Fa&#x017F;ern des Uterus, oder<lb/>
Wirkung des Zu&#x017F;ammenziehens und An&#x017F;chwellens gewi&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Beckenmuskeln, wie Einige (z. B. H. <hi rendition="#g">Schweigha&#x0364;u-<lb/>
&#x017F;er</hi>) behauptet haben, &#x017F;ondern die Folge der vera&#x0364;nder-<lb/>
ten ra&#x0364;umlichen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e der Beckenho&#x0364;hle gegen die<lb/>
des Beckeneinganges allein, indem &#x017F;ich leicht ein&#x017F;ehen la&#x0364;ßt,<lb/>
daß ein jeder glatter, ovaler Ko&#x0364;rper in einem &#x017F;chlu&#x0364;pfrigen<lb/>
Kanale, de&#x017F;&#x017F;en Dimen&#x017F;ionen von Strecke zu Strecke &#x017F;ich a&#x0364;n-<lb/>
dern, von &#x017F;elb&#x017F;t die fu&#x0364;r jede Stelle pa&#x017F;&#x017F;ende Richtung an-<lb/>
nehmen muß, &#x017F;obald er durch eine dra&#x0364;ngende Kraft u&#x0364;berhaupt<lb/>
zur Fortbewegung gezwungen wird.</p>
                </div><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0131] gemeinen Regeln des Geburtsmechanismus aufzu- fuͤhren, welche, indem ſie ſich ganz auf den Bau des Be- ckens ſelbſt gruͤnden, fuͤr jede Art des Durchganges vom Kinde durch das Becken paſſend ſind. §. 819. Erſte Regel: Jeder vorausgehende Kindestheil wird durch die ſchiefen Waͤnde des großen Beckens gegen die obere Oeffnung des kleinen Beckens geleitet, und muß in dieſe in der Richtung der Levret’ſchen Beckenachſe eintreten. Zweite Regel: Jeder der Weite des kleinen Beckens ſeiner Groͤße nach ziemlich entſprechende Kindestheil ſtellt ſich, ſobald er in die obere Beckenoͤffnung eintritt, mit ſeinem groͤßern Durchmeſ- ſer in einen der beiden ſchiefen Durchmeſſer derſelben. (Er wuͤrde ſich in den allerdings noch geraͤumigern Quer- durchmeſſer ſtellen, wuͤrde dieß nicht durch das vor- ſpringende Promontorium gehindert, welches ihn immer mehr in die ſchiefe Richtung dirigirt.) §. 820. Dritte Regel: Derſelbe Kindestheil, welcher im Ein- gange des Beckens im ſchiefen Durchmeſſer ſtand, wird, ſo- bald er in die Beckenhoͤhle voͤllig herabgetreten iſt, die Rich- tung des groͤßten Durchmeſſers derſelben, d. i. des gera- den, annehmen, ſich alſo um den achten Theil eines Kreiſes drehen. Dieſe Drehung iſt keinesweges die Wir- kung ſpiralfoͤrmiger Bewegung der Faſern des Uterus, oder Wirkung des Zuſammenziehens und Anſchwellens gewiſſer Beckenmuskeln, wie Einige (z. B. H. Schweighaͤu- ſer) behauptet haben, ſondern die Folge der veraͤnder- ten raͤumlichen Verhaͤltniſſe der Beckenhoͤhle gegen die des Beckeneinganges allein, indem ſich leicht einſehen laͤßt, daß ein jeder glatter, ovaler Koͤrper in einem ſchluͤpfrigen Kanale, deſſen Dimenſionen von Strecke zu Strecke ſich aͤn- dern, von ſelbſt die fuͤr jede Stelle paſſende Richtung an- nehmen muß, ſobald er durch eine draͤngende Kraft uͤberhaupt zur Fortbewegung gezwungen wird.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/131
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/131>, abgerufen am 21.11.2024.