Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

es knüpft sich somit an die Betrachtung dieser Eigenthümlich-
keit des weiblichen Lebens zugleich die eines neuen Cyelus,
welcher, indem er auf Reproduktion der Gattung abzweckt,
nothwendig die Geschichte der individuellen Reproduktion mit
ihren drei Stadien (Kindheit, Reife und Alter) wiederholt,
und die Geschichte der durch die Empfängniß veranlaßten
Veränderungen des weiblichen Körpers, d. i. der Schwan-
gerschaft
, der Geburt, so wie der Wochen- und Stil-
lungsperiode
, in sich faßt, von welchen denn gleichfalls
noch die wichtigsten physiologischen Momente (im Einzelnen
werden sie im zweiten Theile erörtert) hier durchzugehen sind.

§. 71.

Schwangerschaft. Von dem Zeitpunkte an nämlich,
wo durch den Akt fruchtbarer Begattung, die Fransen der
Fallopischen Röhren, von Blut strotzend, die Ovarien krampf-
haft umfaßren, um den Urstoff einer späterhin im Uterus
auszubildenden Frucht zu empfangen, tritt eine Umänderung
im weiblichen Leben ein, in welcher das Ueberwiegen pro-
duktiver Thätigkeit (an sich schon diesem Organismus charak-
teristisch) bis zum höchsten Grade sich entwickelt. Das Ge-
schlechtssystem und insbesondere der Uterus wird hierbey der
Heerd dieser neuangeregten Bildung und es erfolgt daher ein
Zustand von Congestion nach diesen Theilen, welcher ohnge-
fähr dem der Menstruation vorausgehenden analog ist, weß-
halb denn so viele Symptome angehender Schwangerschaft mit
denen angehender Menstruation übereinstimmen. Was indeß
bey der letztern als Blutfluß sich entscheidet, geht hier in
einen entzündungsartigen Zustand über, welcher sogar auf
den übrigen Körper, gleich einer wahren beginnenden Ent-
zündung wirkt, Fieberbewegungen, Nervenleiden, Temperatur-
wechsel, Verdauungsstörungen veranlaßt *). Endlich in einem

*) Wie sehr Entzündungs- und Bildungsprozeß im Wesen verwandt
sind, läßt sich auf vielfache Art nachweisen; man vergleiche nur
z. B. die Gefäßbildung im bebrüteten Ey und die Gefäßbildung an
der gereitzten sich entzündenden Hautfläche, die Heilung von Wun-
den durch Entzündung, die vielen durch Entzündung entstehenden

es knuͤpft ſich ſomit an die Betrachtung dieſer Eigenthuͤmlich-
keit des weiblichen Lebens zugleich die eines neuen Cyelus,
welcher, indem er auf Reproduktion der Gattung abzweckt,
nothwendig die Geſchichte der individuellen Reproduktion mit
ihren drei Stadien (Kindheit, Reife und Alter) wiederholt,
und die Geſchichte der durch die Empfaͤngniß veranlaßten
Veraͤnderungen des weiblichen Koͤrpers, d. i. der Schwan-
gerſchaft
, der Geburt, ſo wie der Wochen- und Stil-
lungsperiode
, in ſich faßt, von welchen denn gleichfalls
noch die wichtigſten phyſiologiſchen Momente (im Einzelnen
werden ſie im zweiten Theile eroͤrtert) hier durchzugehen ſind.

§. 71.

Schwangerſchaft. Von dem Zeitpunkte an naͤmlich,
wo durch den Akt fruchtbarer Begattung, die Franſen der
Fallopiſchen Roͤhren, von Blut ſtrotzend, die Ovarien krampf-
haft umfaßren, um den Urſtoff einer ſpaͤterhin im Uterus
auszubildenden Frucht zu empfangen, tritt eine Umaͤnderung
im weiblichen Leben ein, in welcher das Ueberwiegen pro-
duktiver Thaͤtigkeit (an ſich ſchon dieſem Organismus charak-
teriſtiſch) bis zum hoͤchſten Grade ſich entwickelt. Das Ge-
ſchlechtsſyſtem und insbeſondere der Uterus wird hierbey der
Heerd dieſer neuangeregten Bildung und es erfolgt daher ein
Zuſtand von Congeſtion nach dieſen Theilen, welcher ohnge-
faͤhr dem der Menſtruation vorausgehenden analog iſt, weß-
halb denn ſo viele Symptome angehender Schwangerſchaft mit
denen angehender Menſtruation uͤbereinſtimmen. Was indeß
bey der letztern als Blutfluß ſich entſcheidet, geht hier in
einen entzuͤndungsartigen Zuſtand uͤber, welcher ſogar auf
den uͤbrigen Koͤrper, gleich einer wahren beginnenden Ent-
zuͤndung wirkt, Fieberbewegungen, Nervenleiden, Temperatur-
wechſel, Verdauungsſtoͤrungen veranlaßt *). Endlich in einem

*) Wie ſehr Entzuͤndungs- und Bildungsprozeß im Weſen verwandt
ſind, laͤßt ſich auf vielfache Art nachweiſen; man vergleiche nur
z. B. die Gefaͤßbildung im bebruͤteten Ey und die Gefaͤßbildung an
der gereitzten ſich entzuͤndenden Hautflaͤche, die Heilung von Wun-
den durch Entzuͤndung, die vielen durch Entzuͤndung entſtehenden
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0071" n="51"/>
es knu&#x0364;pft &#x017F;ich &#x017F;omit an die Betrachtung die&#x017F;er Eigenthu&#x0364;mlich-<lb/>
keit des weiblichen Lebens zugleich die eines neuen Cyelus,<lb/>
welcher, indem er auf Reproduktion der Gattung abzweckt,<lb/>
nothwendig die Ge&#x017F;chichte der individuellen Reproduktion mit<lb/>
ihren drei Stadien (Kindheit, Reife und Alter) wiederholt,<lb/>
und die Ge&#x017F;chichte der durch die Empfa&#x0364;ngniß veranlaßten<lb/>
Vera&#x0364;nderungen des weiblichen Ko&#x0364;rpers, d. i. der <hi rendition="#g">Schwan-<lb/>
ger&#x017F;chaft</hi>, der <hi rendition="#g">Geburt</hi>, &#x017F;o wie der <hi rendition="#g">Wochen</hi>- und <hi rendition="#g">Stil-<lb/>
lungsperiode</hi>, in &#x017F;ich faßt, von welchen denn gleichfalls<lb/>
noch die wichtig&#x017F;ten phy&#x017F;iologi&#x017F;chen Momente (im Einzelnen<lb/>
werden &#x017F;ie im zweiten Theile ero&#x0364;rtert) hier durchzugehen &#x017F;ind.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 71.</head><lb/>
                <p><hi rendition="#g">Schwanger&#x017F;chaft</hi>. Von dem Zeitpunkte an na&#x0364;mlich,<lb/>
wo durch den Akt fruchtbarer Begattung, die Fran&#x017F;en der<lb/>
Fallopi&#x017F;chen Ro&#x0364;hren, von Blut &#x017F;trotzend, die Ovarien krampf-<lb/>
haft umfaßren, um den Ur&#x017F;toff einer &#x017F;pa&#x0364;terhin im Uterus<lb/>
auszubildenden Frucht zu empfangen, tritt eine Uma&#x0364;nderung<lb/>
im weiblichen Leben ein, in welcher das Ueberwiegen pro-<lb/>
duktiver Tha&#x0364;tigkeit (an &#x017F;ich &#x017F;chon die&#x017F;em Organismus charak-<lb/>
teri&#x017F;ti&#x017F;ch) bis zum ho&#x0364;ch&#x017F;ten Grade &#x017F;ich entwickelt. Das Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts&#x017F;y&#x017F;tem und insbe&#x017F;ondere der Uterus wird hierbey der<lb/>
Heerd die&#x017F;er neuangeregten Bildung und es erfolgt daher ein<lb/>
Zu&#x017F;tand von Conge&#x017F;tion nach die&#x017F;en Theilen, welcher ohnge-<lb/>
fa&#x0364;hr dem der Men&#x017F;truation vorausgehenden analog i&#x017F;t, weß-<lb/>
halb denn &#x017F;o viele <choice><sic>Sypmtome</sic><corr>Symptome</corr></choice> angehender Schwanger&#x017F;chaft mit<lb/>
denen angehender Men&#x017F;truation u&#x0364;berein&#x017F;timmen. Was indeß<lb/>
bey der letztern als Blutfluß &#x017F;ich ent&#x017F;cheidet, geht hier in<lb/>
einen entzu&#x0364;ndungsartigen Zu&#x017F;tand u&#x0364;ber, welcher &#x017F;ogar auf<lb/>
den u&#x0364;brigen Ko&#x0364;rper, gleich einer wahren beginnenden Ent-<lb/>
zu&#x0364;ndung wirkt, Fieberbewegungen, Nervenleiden, Temperatur-<lb/>
wech&#x017F;el, Verdauungs&#x017F;to&#x0364;rungen veranlaßt <note xml:id="note-0071" next="#note-0072" place="foot" n="*)">Wie &#x017F;ehr Entzu&#x0364;ndungs- und Bildungsprozeß im We&#x017F;en verwandt<lb/>
&#x017F;ind, la&#x0364;ßt &#x017F;ich auf vielfache Art nachwei&#x017F;en; man vergleiche nur<lb/>
z. B. die Gefa&#x0364;ßbildung im bebru&#x0364;teten Ey und die Gefa&#x0364;ßbildung an<lb/>
der gereitzten &#x017F;ich entzu&#x0364;ndenden Hautfla&#x0364;che, die Heilung von Wun-<lb/>
den durch Entzu&#x0364;ndung, die vielen durch Entzu&#x0364;ndung ent&#x017F;tehenden</note>. Endlich in einem<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0071] es knuͤpft ſich ſomit an die Betrachtung dieſer Eigenthuͤmlich- keit des weiblichen Lebens zugleich die eines neuen Cyelus, welcher, indem er auf Reproduktion der Gattung abzweckt, nothwendig die Geſchichte der individuellen Reproduktion mit ihren drei Stadien (Kindheit, Reife und Alter) wiederholt, und die Geſchichte der durch die Empfaͤngniß veranlaßten Veraͤnderungen des weiblichen Koͤrpers, d. i. der Schwan- gerſchaft, der Geburt, ſo wie der Wochen- und Stil- lungsperiode, in ſich faßt, von welchen denn gleichfalls noch die wichtigſten phyſiologiſchen Momente (im Einzelnen werden ſie im zweiten Theile eroͤrtert) hier durchzugehen ſind. §. 71. Schwangerſchaft. Von dem Zeitpunkte an naͤmlich, wo durch den Akt fruchtbarer Begattung, die Franſen der Fallopiſchen Roͤhren, von Blut ſtrotzend, die Ovarien krampf- haft umfaßren, um den Urſtoff einer ſpaͤterhin im Uterus auszubildenden Frucht zu empfangen, tritt eine Umaͤnderung im weiblichen Leben ein, in welcher das Ueberwiegen pro- duktiver Thaͤtigkeit (an ſich ſchon dieſem Organismus charak- teriſtiſch) bis zum hoͤchſten Grade ſich entwickelt. Das Ge- ſchlechtsſyſtem und insbeſondere der Uterus wird hierbey der Heerd dieſer neuangeregten Bildung und es erfolgt daher ein Zuſtand von Congeſtion nach dieſen Theilen, welcher ohnge- faͤhr dem der Menſtruation vorausgehenden analog iſt, weß- halb denn ſo viele Symptome angehender Schwangerſchaft mit denen angehender Menſtruation uͤbereinſtimmen. Was indeß bey der letztern als Blutfluß ſich entſcheidet, geht hier in einen entzuͤndungsartigen Zuſtand uͤber, welcher ſogar auf den uͤbrigen Koͤrper, gleich einer wahren beginnenden Ent- zuͤndung wirkt, Fieberbewegungen, Nervenleiden, Temperatur- wechſel, Verdauungsſtoͤrungen veranlaßt *). Endlich in einem *) Wie ſehr Entzuͤndungs- und Bildungsprozeß im Weſen verwandt ſind, laͤßt ſich auf vielfache Art nachweiſen; man vergleiche nur z. B. die Gefaͤßbildung im bebruͤteten Ey und die Gefaͤßbildung an der gereitzten ſich entzuͤndenden Hautflaͤche, die Heilung von Wun- den durch Entzuͤndung, die vielen durch Entzuͤndung entſtehenden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/71
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/71>, abgerufen am 22.12.2024.