Nothwendigkeit, daß sie auch späterhin sich gleich seyn müß- ten, also (was doch nicht der Fall) zu lauter weiblichen Körpern anwüchsen, gefolgert werden sollte.
§. 67.
Erste Lebensperiode. Der Unterschied des Geschlechts muß daher als eine Verschiedenheit des ganzen Keimes noth- wendig zugleich als ursprünglich angenommen werden, und eben wiefern das Ganze verschieden ist, wird diese Verschiedenheit auch in den größern organischen Verhältnissen des Leibes überhaupt, früher noch als in den eigentlichen Geschlechts- organen angedeutet seyn. -- Vergleicht man nun, um die Wahrheit dieses Vernunftsatzes auch durch die Erfahrung nachzuweisen, eine Reihe von Embryonen unter einander, so ergiebt sich allerdings, daß schon in zwei- und dreimonathli- chen regelmäßig gebildeten menschlichen Früchten, der weibliche Typus an der größern Bauchhöhle, dem engern Thorax und den zartern obern Gliedmaaßen kenntlich sey, wenn dagegen im männlichen das umgekehrte Verhältniß Statt findet *). -- Obwohl nun also bereits in dieser Periode das Charakteri- stische der weiblichen Form ausgesprochen ist, so erscheint diese Bezeichnung doch nur sehr schwach in den Geschlechts- organen, und aller Geschlechtsunterschied in der Lebens- thätigkeit ruht mit den wichtigsten übrigen Funktionen noch vollkommen. Selbst im Neugeborenen, bis zum bestimmten Erwachen der sensibeln Lebenserscheinungen, findet die größte Aehnlichkeit zwischen beiden Geschlechtern Statt, und das Geschlechtssystem liegt als Keim zu neuen Entwicklungen gleichsam noch schlafend im Körper des weiblichen Kindes.
§. 68.
Wie indeß die Ausbildung des Körpers im Allgemeinen vorschreitet, tritt auch der Typus des Geschlechts allmählig schärfer hervor; der zartere Gliederbau, die Länge des Un- terleibes, die Zierlichkeit und Geschicklichkeit der Bewegungen
*) Unterschiede, welche in SömmeringsIconibus embryonum. T. I. sehr schön wiedergegeben sind.
I. Theil. 4
Nothwendigkeit, daß ſie auch ſpaͤterhin ſich gleich ſeyn muͤß- ten, alſo (was doch nicht der Fall) zu lauter weiblichen Koͤrpern anwuͤchſen, gefolgert werden ſollte.
§. 67.
Erſte Lebensperiode. Der Unterſchied des Geſchlechts muß daher als eine Verſchiedenheit des ganzen Keimes noth- wendig zugleich als urſpruͤnglich angenommen werden, und eben wiefern das Ganze verſchieden iſt, wird dieſe Verſchiedenheit auch in den groͤßern organiſchen Verhaͤltniſſen des Leibes uͤberhaupt, fruͤher noch als in den eigentlichen Geſchlechts- organen angedeutet ſeyn. — Vergleicht man nun, um die Wahrheit dieſes Vernunftſatzes auch durch die Erfahrung nachzuweiſen, eine Reihe von Embryonen unter einander, ſo ergiebt ſich allerdings, daß ſchon in zwei- und dreimonathli- chen regelmaͤßig gebildeten menſchlichen Fruͤchten, der weibliche Typus an der groͤßern Bauchhoͤhle, dem engern Thorax und den zartern obern Gliedmaaßen kenntlich ſey, wenn dagegen im maͤnnlichen das umgekehrte Verhaͤltniß Statt findet *). — Obwohl nun alſo bereits in dieſer Periode das Charakteri- ſtiſche der weiblichen Form ausgeſprochen iſt, ſo erſcheint dieſe Bezeichnung doch nur ſehr ſchwach in den Geſchlechts- organen, und aller Geſchlechtsunterſchied in der Lebens- thaͤtigkeit ruht mit den wichtigſten uͤbrigen Funktionen noch vollkommen. Selbſt im Neugeborenen, bis zum beſtimmten Erwachen der ſenſibeln Lebenserſcheinungen, findet die groͤßte Aehnlichkeit zwiſchen beiden Geſchlechtern Statt, und das Geſchlechtsſyſtem liegt als Keim zu neuen Entwicklungen gleichſam noch ſchlafend im Koͤrper des weiblichen Kindes.
§. 68.
Wie indeß die Ausbildung des Koͤrpers im Allgemeinen vorſchreitet, tritt auch der Typus des Geſchlechts allmaͤhlig ſchaͤrfer hervor; der zartere Gliederbau, die Laͤnge des Un- terleibes, die Zierlichkeit und Geſchicklichkeit der Bewegungen
*) Unterſchiede, welche in SoͤmmeringsIconibus embryonum. T. I. ſehr ſchoͤn wiedergegeben ſind.
I. Theil. 4
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Nothwendigkeit, daß ſie auch ſpaͤterhin ſich gleich ſeyn muͤß-
ten, alſo (was doch nicht der Fall) zu lauter weiblichen
Koͤrpern anwuͤchſen, gefolgert werden ſollte.
§. 67.
Erſte Lebensperiode. Der Unterſchied des Geſchlechts
muß daher als eine Verſchiedenheit des ganzen Keimes noth-
wendig zugleich als urſpruͤnglich angenommen werden, und
eben wiefern das Ganze verſchieden iſt, wird dieſe Verſchiedenheit
auch in den groͤßern organiſchen Verhaͤltniſſen des Leibes
uͤberhaupt, fruͤher noch als in den eigentlichen Geſchlechts-
organen angedeutet ſeyn. — Vergleicht man nun, um die
Wahrheit dieſes Vernunftſatzes auch durch die Erfahrung
nachzuweiſen, eine Reihe von Embryonen unter einander, ſo
ergiebt ſich allerdings, daß ſchon in zwei- und dreimonathli-
chen regelmaͤßig gebildeten menſchlichen Fruͤchten, der weibliche
Typus an der groͤßern Bauchhoͤhle, dem engern Thorax und
den zartern obern Gliedmaaßen kenntlich ſey, wenn dagegen
im maͤnnlichen das umgekehrte Verhaͤltniß Statt findet *). —
Obwohl nun alſo bereits in dieſer Periode das Charakteri-
ſtiſche der weiblichen Form ausgeſprochen iſt, ſo erſcheint
dieſe Bezeichnung doch nur ſehr ſchwach in den Geſchlechts-
organen, und aller Geſchlechtsunterſchied in der Lebens-
thaͤtigkeit ruht mit den wichtigſten uͤbrigen Funktionen noch
vollkommen. Selbſt im Neugeborenen, bis zum beſtimmten
Erwachen der ſenſibeln Lebenserſcheinungen, findet die groͤßte
Aehnlichkeit zwiſchen beiden Geſchlechtern Statt, und das
Geſchlechtsſyſtem liegt als Keim zu neuen Entwicklungen
gleichſam noch ſchlafend im Koͤrper des weiblichen Kindes.
§. 68.
Wie indeß die Ausbildung des Koͤrpers im Allgemeinen
vorſchreitet, tritt auch der Typus des Geſchlechts allmaͤhlig
ſchaͤrfer hervor; der zartere Gliederbau, die Laͤnge des Un-
terleibes, die Zierlichkeit und Geſchicklichkeit der Bewegungen
*) Unterſchiede, welche in Soͤmmerings Iconibus embryonum. T. I.
ſehr ſchoͤn wiedergegeben ſind.
I. Theil. 4
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/69>, abgerufen am 23.11.2024.
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