der Unterleib zusammengepreßt und die Verdauung gestört wird, auch üble Luft, schwerverdauliche Nahrung; dann psy- chische Einflüße, als: Erregungen der Phantasie durch unge- wählte Lektüre, Einwirkung verschiedenartiger Leidenschaften oder deprimirender Affekte, unglückliche Liebe und endlich ge- schlechtliche Ausschweifungen oder gänzlicher Mangel an na- turgemäßer Befriedigung des Geschlechtstriebes, Störungen der Menstruation, Krankheiten der Geschlechtsorgane, Un- fruchtbarkeit oder zu häufige Wochenbetten, ja auch wohl zuweilen plötzlich gehemmte andere Krankheiten, Gicht oder chronische Hautausschläge.
§. 310.
Das Verhältniß aber der Hysterie zur Hypochondrie betreffend, so scheint es kein anderes als das des weiblichen Geschlechts zum männlichen überhaupt; auch die Hypochon- drie nämlich ist zwar in Verstimmung des Nervenlebens in Folge abnormer Zustände der reproduktiven Funktionen be- gründet, allein wie im männlichen Körper überhaupt die assimilativen Funktionen weniger überwiegen, wie das Ge- schlechtssystem hier weniger als im Weibe in das Ganze ein- greift, wie dagegen gerade hier die Produktivität und Kraft mehr in einer höhern Sphäre sich offenbaren sollen, so neh- men nun auch Störungen dieser Thätigkeiten hier eine ganz andere Form als im Weibe an, äußern sich in Verfinsterun- gen des Gemüths (besonders in Menschen, welche überhaupt mit sich nicht zu Klarheit und Frieden gekommen sind) und durch alle jene Beschwerden, welche vorzüglich auf gestörte Unterleibsfunktionen hinweisen, indeß gerade hier wegen dieser Unklarheit des Gemüths mit solcher Heftigkeit empfunden werden.
§. 311.
Den Krankheitsverlauf des hysterischen Zustandes anbelangend, so ist er im Ganzen langwierig, im Beson- dern ein remittirender zu nennen. Die Krankheit pflegt nämlich, wie schon oben (§. 299.) erinnert wurde, Anfälle zu machen, welche theils der Art ihrer Erscheinung, theils
I. Theil. 16
der Unterleib zuſammengepreßt und die Verdauung geſtoͤrt wird, auch uͤble Luft, ſchwerverdauliche Nahrung; dann pſy- chiſche Einfluͤße, als: Erregungen der Phantaſie durch unge- waͤhlte Lektuͤre, Einwirkung verſchiedenartiger Leidenſchaften oder deprimirender Affekte, ungluͤckliche Liebe und endlich ge- ſchlechtliche Ausſchweifungen oder gaͤnzlicher Mangel an na- turgemaͤßer Befriedigung des Geſchlechtstriebes, Stoͤrungen der Menſtruation, Krankheiten der Geſchlechtsorgane, Un- fruchtbarkeit oder zu haͤufige Wochenbetten, ja auch wohl zuweilen ploͤtzlich gehemmte andere Krankheiten, Gicht oder chroniſche Hautausſchlaͤge.
§. 310.
Das Verhaͤltniß aber der Hyſterie zur Hypochondrie betreffend, ſo ſcheint es kein anderes als das des weiblichen Geſchlechts zum maͤnnlichen uͤberhaupt; auch die Hypochon- drie naͤmlich iſt zwar in Verſtimmung des Nervenlebens in Folge abnormer Zuſtaͤnde der reproduktiven Funktionen be- gruͤndet, allein wie im maͤnnlichen Koͤrper uͤberhaupt die aſſimilativen Funktionen weniger uͤberwiegen, wie das Ge- ſchlechtsſyſtem hier weniger als im Weibe in das Ganze ein- greift, wie dagegen gerade hier die Produktivitaͤt und Kraft mehr in einer hoͤhern Sphaͤre ſich offenbaren ſollen, ſo neh- men nun auch Stoͤrungen dieſer Thaͤtigkeiten hier eine ganz andere Form als im Weibe an, aͤußern ſich in Verfinſterun- gen des Gemuͤths (beſonders in Menſchen, welche uͤberhaupt mit ſich nicht zu Klarheit und Frieden gekommen ſind) und durch alle jene Beſchwerden, welche vorzuͤglich auf geſtoͤrte Unterleibsfunktionen hinweiſen, indeß gerade hier wegen dieſer Unklarheit des Gemuͤths mit ſolcher Heftigkeit empfunden werden.
§. 311.
Den Krankheitsverlauf des hyſteriſchen Zuſtandes anbelangend, ſo iſt er im Ganzen langwierig, im Beſon- dern ein remittirender zu nennen. Die Krankheit pflegt naͤmlich, wie ſchon oben (§. 299.) erinnert wurde, Anfaͤlle zu machen, welche theils der Art ihrer Erſcheinung, theils
I. Theil. 16
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der Unterleib zuſammengepreßt und die Verdauung geſtoͤrt
wird, auch uͤble Luft, ſchwerverdauliche Nahrung; dann pſy-
chiſche Einfluͤße, als: Erregungen der Phantaſie durch unge-
waͤhlte Lektuͤre, Einwirkung verſchiedenartiger Leidenſchaften
oder deprimirender Affekte, ungluͤckliche Liebe und endlich ge-
ſchlechtliche Ausſchweifungen oder gaͤnzlicher Mangel an na-
turgemaͤßer Befriedigung des Geſchlechtstriebes, Stoͤrungen
der Menſtruation, Krankheiten der Geſchlechtsorgane, Un-
fruchtbarkeit oder zu haͤufige Wochenbetten, ja auch wohl
zuweilen ploͤtzlich gehemmte andere Krankheiten, Gicht oder
chroniſche Hautausſchlaͤge.
§. 310.
Das Verhaͤltniß aber der Hyſterie zur Hypochondrie
betreffend, ſo ſcheint es kein anderes als das des weiblichen
Geſchlechts zum maͤnnlichen uͤberhaupt; auch die Hypochon-
drie naͤmlich iſt zwar in Verſtimmung des Nervenlebens in
Folge abnormer Zuſtaͤnde der reproduktiven Funktionen be-
gruͤndet, allein wie im maͤnnlichen Koͤrper uͤberhaupt die
aſſimilativen Funktionen weniger uͤberwiegen, wie das Ge-
ſchlechtsſyſtem hier weniger als im Weibe in das Ganze ein-
greift, wie dagegen gerade hier die Produktivitaͤt und Kraft
mehr in einer hoͤhern Sphaͤre ſich offenbaren ſollen, ſo neh-
men nun auch Stoͤrungen dieſer Thaͤtigkeiten hier eine ganz
andere Form als im Weibe an, aͤußern ſich in Verfinſterun-
gen des Gemuͤths (beſonders in Menſchen, welche uͤberhaupt
mit ſich nicht zu Klarheit und Frieden gekommen ſind) und
durch alle jene Beſchwerden, welche vorzuͤglich auf geſtoͤrte
Unterleibsfunktionen hinweiſen, indeß gerade hier wegen dieſer
Unklarheit des Gemuͤths mit ſolcher Heftigkeit empfunden
werden.
§. 311.
Den Krankheitsverlauf des hyſteriſchen Zuſtandes
anbelangend, ſo iſt er im Ganzen langwierig, im Beſon-
dern ein remittirender zu nennen. Die Krankheit pflegt
naͤmlich, wie ſchon oben (§. 299.) erinnert wurde, Anfaͤlle
zu machen, welche theils der Art ihrer Erſcheinung, theils
I. Theil. 16
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/261>, abgerufen am 22.11.2024.
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