Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

habt haben, oder längere Zeit hindurch niederdrückende Stim-
mungen das psychische Wohlseyn der Kranken störten, ein ru-
higes und angemessenes Benehmen des Arztes sowohl, als
der von ihm geleiteten äußern Umgebungen, ein Benehmen,
durch welches der Kranken das Auffassen des rechten Ge-
sichtspunktes für die Würdigung widriger äußerer Verhältnisse
erleichtert wird, sehr viel zum Unschädlichmachen dieser Ge-
legenheitsursachen beytragen, wobey wir noch bemerken, daß
wenn der Arzt in sich selbst nicht diejenige Individualität
fühlt, welche auf diese Weise für die Kranken heilbringend
werden kann, es dann sehr zu wünschen ist, daß er den
Beystand eines erleuchteten Geistlichen oder erfahrenen Freun-
des suche, auf keine Weise aber die Krankheit von dieser
Seite zu bekämpfen völlig unterlasse.

§. 261.

Viertens aber ist es die Aufgabe des Arztes, auf das
gestörte Nervenleben selbst einzuwirken, und sein Normalver-
hältniß herzustellen, wozu ihm, unserer Ansicht nach, drei
Wege offen stehen. -- Entweder nämlich erregt er Verän-
derungen in den niedern organischen Systemen, welche den
Einwirkungen der Außenwelt überhaupt am meisten zugäng-
lich sind, und bewirkt dadurch mittelbar wohlthätige Umstim-
mungen im Nervenleben; oder er bedient sich solcher Mittel,
welche das Nervenleben unmittelbarer in Anspruch nehmen,
wohin die narkotischen, geistigen, antispasmodischen Arzney-
stoffe gehören, obwohl auch bey diesen vorzüglich und zu-
nächst vielleicht mehr das Bildungsleben des Nerven und
durch dieses die sensible Thätigkeit afficirt wird, in wiefern
diese Stoffe als materielle Bestandtheile des Körpers aufge-
nommen werden und in das Gefäßsystem eingehen müssen,
um ihre Wirkung zu zeigen. Drittens endlich benutzt der
Arzt die imponderabeln Einflüsse, welche ohne irgend nach-
weisbare Stoffübertragung die Umstimmung des sensibeln Le-
bens unmittelbar bewirken, und von welchen denn eine Stu-
fenfolge sehr verschiedener Thätigkeiten aufzuführen ist, welche
wir so ordnen möchten: Wärme und Kälte, Licht und Fin-
sterniß, tellurischer Magnetismus, Elektricität, Galvanismus,

habt haben, oder laͤngere Zeit hindurch niederdruͤckende Stim-
mungen das pſychiſche Wohlſeyn der Kranken ſtoͤrten, ein ru-
higes und angemeſſenes Benehmen des Arztes ſowohl, als
der von ihm geleiteten aͤußern Umgebungen, ein Benehmen,
durch welches der Kranken das Auffaſſen des rechten Ge-
ſichtspunktes fuͤr die Wuͤrdigung widriger aͤußerer Verhaͤltniſſe
erleichtert wird, ſehr viel zum Unſchaͤdlichmachen dieſer Ge-
legenheitsurſachen beytragen, wobey wir noch bemerken, daß
wenn der Arzt in ſich ſelbſt nicht diejenige Individualitaͤt
fuͤhlt, welche auf dieſe Weiſe fuͤr die Kranken heilbringend
werden kann, es dann ſehr zu wuͤnſchen iſt, daß er den
Beyſtand eines erleuchteten Geiſtlichen oder erfahrenen Freun-
des ſuche, auf keine Weiſe aber die Krankheit von dieſer
Seite zu bekaͤmpfen voͤllig unterlaſſe.

§. 261.

Viertens aber iſt es die Aufgabe des Arztes, auf das
geſtoͤrte Nervenleben ſelbſt einzuwirken, und ſein Normalver-
haͤltniß herzuſtellen, wozu ihm, unſerer Anſicht nach, drei
Wege offen ſtehen. — Entweder naͤmlich erregt er Veraͤn-
derungen in den niedern organiſchen Syſtemen, welche den
Einwirkungen der Außenwelt uͤberhaupt am meiſten zugaͤng-
lich ſind, und bewirkt dadurch mittelbar wohlthaͤtige Umſtim-
mungen im Nervenleben; oder er bedient ſich ſolcher Mittel,
welche das Nervenleben unmittelbarer in Anſpruch nehmen,
wohin die narkotiſchen, geiſtigen, antiſpasmodiſchen Arzney-
ſtoffe gehoͤren, obwohl auch bey dieſen vorzuͤglich und zu-
naͤchſt vielleicht mehr das Bildungsleben des Nerven und
durch dieſes die ſenſible Thaͤtigkeit afficirt wird, in wiefern
dieſe Stoffe als materielle Beſtandtheile des Koͤrpers aufge-
nommen werden und in das Gefaͤßſyſtem eingehen muͤſſen,
um ihre Wirkung zu zeigen. Drittens endlich benutzt der
Arzt die imponderabeln Einfluͤſſe, welche ohne irgend nach-
weisbare Stoffuͤbertragung die Umſtimmung des ſenſibeln Le-
bens unmittelbar bewirken, und von welchen denn eine Stu-
fenfolge ſehr verſchiedener Thaͤtigkeiten aufzufuͤhren iſt, welche
wir ſo ordnen moͤchten: Waͤrme und Kaͤlte, Licht und Fin-
ſterniß, telluriſcher Magnetismus, Elektricitaͤt, Galvanismus,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0220" n="200"/>
habt haben, oder la&#x0364;ngere Zeit hindurch niederdru&#x0364;ck<choice><sic>eude</sic><corr>ende</corr></choice> Stim-<lb/>
mungen das p&#x017F;ychi&#x017F;che Wohl&#x017F;eyn der Kranken &#x017F;to&#x0364;rten, ein ru-<lb/>
higes und angeme&#x017F;&#x017F;enes Benehmen des Arztes &#x017F;owohl, als<lb/>
der von ihm geleiteten a&#x0364;ußern Umgebungen, ein Benehmen,<lb/>
durch welches der Kranken das Auffa&#x017F;&#x017F;en des rechten Ge-<lb/>
&#x017F;ichtspunktes fu&#x0364;r die Wu&#x0364;rdigung widriger a&#x0364;ußerer Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
erleichtert wird, &#x017F;ehr viel zum Un&#x017F;cha&#x0364;dlichmachen die&#x017F;er Ge-<lb/>
legenheitsur&#x017F;achen beytragen, wobey wir noch bemerken, daß<lb/>
wenn der Arzt in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht diejenige Individualita&#x0364;t<lb/>
fu&#x0364;hlt, welche <choice><sic>anf</sic><corr>auf</corr></choice> die&#x017F;e Wei&#x017F;e fu&#x0364;r die Kranken heilbringend<lb/>
werden kann, es dann &#x017F;ehr zu wu&#x0364;n&#x017F;chen i&#x017F;t, daß er den<lb/>
Bey&#x017F;tand eines erleuchteten Gei&#x017F;tlichen oder erfahrenen Freun-<lb/>
des &#x017F;uche, auf keine Wei&#x017F;e aber die Krankheit von die&#x017F;er<lb/>
Seite zu beka&#x0364;mpfen vo&#x0364;llig unterla&#x017F;&#x017F;e.</p>
                      </div><lb/>
                      <div n="9">
                        <head>§. 261.</head><lb/>
                        <p>Viertens aber i&#x017F;t es die Aufgabe des Arztes, auf das<lb/>
ge&#x017F;to&#x0364;rte Nervenleben &#x017F;elb&#x017F;t einzuwirken, und &#x017F;ein Normalver-<lb/>
ha&#x0364;ltniß herzu&#x017F;tellen, wozu ihm, un&#x017F;erer An&#x017F;icht nach, drei<lb/>
Wege offen &#x017F;tehen. &#x2014; Entweder na&#x0364;mlich erregt er Vera&#x0364;n-<lb/>
derungen in den niedern organi&#x017F;chen Sy&#x017F;temen, welche den<lb/>
Einwirkungen der Außenwelt u&#x0364;berhaupt am mei&#x017F;ten zuga&#x0364;ng-<lb/>
lich &#x017F;ind, und bewirkt dadurch mittelbar wohltha&#x0364;tige Um&#x017F;tim-<lb/>
mungen im Nervenleben; oder er bedient &#x017F;ich &#x017F;olcher Mittel,<lb/>
welche das Nervenleben unmittelbarer in An&#x017F;pruch nehmen,<lb/>
wohin die narkoti&#x017F;chen, gei&#x017F;tigen, anti&#x017F;pasmodi&#x017F;chen Arzney-<lb/>
&#x017F;toffe geho&#x0364;ren, obwohl auch bey die&#x017F;en vorzu&#x0364;glich und zu-<lb/>
na&#x0364;ch&#x017F;t vielleicht mehr das Bildungsleben des Nerven und<lb/>
durch die&#x017F;es die &#x017F;en&#x017F;ible Tha&#x0364;tigkeit afficirt wird, in wiefern<lb/>
die&#x017F;e Stoffe als materielle Be&#x017F;tandtheile des Ko&#x0364;rpers aufge-<lb/>
nommen werden und in das Gefa&#x0364;ß&#x017F;y&#x017F;tem eingehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
um ihre Wirkung zu zeigen. Drittens endlich benutzt der<lb/>
Arzt die imponderabeln Einflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, welche ohne irgend nach-<lb/>
weisbare Stoffu&#x0364;bertragung die Um&#x017F;timmung des &#x017F;en&#x017F;ibeln Le-<lb/>
bens unmittelbar bewirken, und von welchen denn eine Stu-<lb/>
fenfolge &#x017F;ehr ver&#x017F;chiedener Tha&#x0364;tigkeiten aufzufu&#x0364;hren i&#x017F;t, welche<lb/>
wir &#x017F;o ordnen mo&#x0364;chten: Wa&#x0364;rme und Ka&#x0364;lte, Licht und Fin-<lb/>
&#x017F;terniß, telluri&#x017F;cher Magnetismus, Elektricita&#x0364;t, Galvanismus,<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0220] habt haben, oder laͤngere Zeit hindurch niederdruͤckende Stim- mungen das pſychiſche Wohlſeyn der Kranken ſtoͤrten, ein ru- higes und angemeſſenes Benehmen des Arztes ſowohl, als der von ihm geleiteten aͤußern Umgebungen, ein Benehmen, durch welches der Kranken das Auffaſſen des rechten Ge- ſichtspunktes fuͤr die Wuͤrdigung widriger aͤußerer Verhaͤltniſſe erleichtert wird, ſehr viel zum Unſchaͤdlichmachen dieſer Ge- legenheitsurſachen beytragen, wobey wir noch bemerken, daß wenn der Arzt in ſich ſelbſt nicht diejenige Individualitaͤt fuͤhlt, welche auf dieſe Weiſe fuͤr die Kranken heilbringend werden kann, es dann ſehr zu wuͤnſchen iſt, daß er den Beyſtand eines erleuchteten Geiſtlichen oder erfahrenen Freun- des ſuche, auf keine Weiſe aber die Krankheit von dieſer Seite zu bekaͤmpfen voͤllig unterlaſſe. §. 261. Viertens aber iſt es die Aufgabe des Arztes, auf das geſtoͤrte Nervenleben ſelbſt einzuwirken, und ſein Normalver- haͤltniß herzuſtellen, wozu ihm, unſerer Anſicht nach, drei Wege offen ſtehen. — Entweder naͤmlich erregt er Veraͤn- derungen in den niedern organiſchen Syſtemen, welche den Einwirkungen der Außenwelt uͤberhaupt am meiſten zugaͤng- lich ſind, und bewirkt dadurch mittelbar wohlthaͤtige Umſtim- mungen im Nervenleben; oder er bedient ſich ſolcher Mittel, welche das Nervenleben unmittelbarer in Anſpruch nehmen, wohin die narkotiſchen, geiſtigen, antiſpasmodiſchen Arzney- ſtoffe gehoͤren, obwohl auch bey dieſen vorzuͤglich und zu- naͤchſt vielleicht mehr das Bildungsleben des Nerven und durch dieſes die ſenſible Thaͤtigkeit afficirt wird, in wiefern dieſe Stoffe als materielle Beſtandtheile des Koͤrpers aufge- nommen werden und in das Gefaͤßſyſtem eingehen muͤſſen, um ihre Wirkung zu zeigen. Drittens endlich benutzt der Arzt die imponderabeln Einfluͤſſe, welche ohne irgend nach- weisbare Stoffuͤbertragung die Umſtimmung des ſenſibeln Le- bens unmittelbar bewirken, und von welchen denn eine Stu- fenfolge ſehr verſchiedener Thaͤtigkeiten aufzufuͤhren iſt, welche wir ſo ordnen moͤchten: Waͤrme und Kaͤlte, Licht und Fin- ſterniß, telluriſcher Magnetismus, Elektricitaͤt, Galvanismus,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/220
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/220>, abgerufen am 21.11.2024.