vor, wenn durch vorausgegangene frühzeitige Ausschweifun- gen Ueberreitzung Statt gefunden hat, und durch die ent- standene Schwäche die vollkommne Ausbildung des Geschlechts- charakters gehindert wird; oder wenn sehr heftige Gemüthsbe- wegungen plötzlich einwirkten. Im Ganzen pflegt indeß ge- rade dieser Krankheitszustand doch weit weniger häufig, als andere einzutreten, da er zu sehr mit der in dieser Zeit für den Organismus natürlichen Stimmung in Widerspruch steht; wenigstens ist er gemeiniglich nur vorübergehend, und er- scheint dann oft mehr als Erstarrung, vorzüglich als Cata- lepsis. Häufiger kommen dagegen die eigentlichen Krämpfe vor, und zwar zuweilen mit einer Heftigkeit, welche alle Beschreibung übersteigt *), man bemerkt hierbey Tetanus, Opisthotonus, wobey der Körper, völlig im Sprenkel gebogen, sich nur auf Fersen und Hinterhaupt aufstützt, Trismus u. s. w. -- Mit- unter beschränken sich wohl auch diese Krämpfe auf einzelne Theile, bestehen z. B. in heftigem Kopfschütteln **), oder taktmäßigen Gliederbewegungen (Veitstanz), verbinden sich mit Somnambulismus u. s. w. -- Auch diese Zufälle werden übrigens vorzüglich bey sehr reitzbaren Individuen, und be- sonders nach Gemüthsleiden beobachtet, bestehen nicht selten (wie in dem unten angeführten ersten Falle von Brandis) mit regelmäßiger Menstruation, sind gewöhnlich äußerst hart- näckig und spotten oft der wirksamsten innern Arzneymittel.
§. 255.
Endlich bemerken wir auch den Einfluß solcher Ver- stimmungen des Nervensystems auf den Gang der reproduk- tiven Funktionen im Ganzen zwar immer, aber in einzelnen Fällen an besonders auffallenden Erscheinungen. Hierher rechnen wir namentlich das lange Entbehren von Nahrungs- mitteln, welches vorzüglich bey weiblichen Individuen bemerkt
*) Man lese z. B. nur die Schilderung der Krämpfe, welche der Ar- chiater Brandis bey einem 19jährigen Frauenzimmer beobachtete (Hufeland's Journal d. prakt. Heilk. 41. Bd. 2. St. S. 9.).
**) S. einen ausgezeichneten Fall dieser Art bey Brandis a. a. O. S. 19.
vor, wenn durch vorausgegangene fruͤhzeitige Ausſchweifun- gen Ueberreitzung Statt gefunden hat, und durch die ent- ſtandene Schwaͤche die vollkommne Ausbildung des Geſchlechts- charakters gehindert wird; oder wenn ſehr heftige Gemuͤthsbe- wegungen ploͤtzlich einwirkten. Im Ganzen pflegt indeß ge- rade dieſer Krankheitszuſtand doch weit weniger haͤufig, als andere einzutreten, da er zu ſehr mit der in dieſer Zeit fuͤr den Organismus natuͤrlichen Stimmung in Widerſpruch ſteht; wenigſtens iſt er gemeiniglich nur voruͤbergehend, und er- ſcheint dann oft mehr als Erſtarrung, vorzuͤglich als Cata- lepſis. Haͤufiger kommen dagegen die eigentlichen Kraͤmpfe vor, und zwar zuweilen mit einer Heftigkeit, welche alle Beſchreibung uͤberſteigt *), man bemerkt hierbey Tetanus, Opiſthotonus, wobey der Koͤrper, voͤllig im Sprenkel gebogen, ſich nur auf Ferſen und Hinterhaupt aufſtuͤtzt, Trismus u. ſ. w. — Mit- unter beſchraͤnken ſich wohl auch dieſe Kraͤmpfe auf einzelne Theile, beſtehen z. B. in heftigem Kopfſchuͤtteln **), oder taktmaͤßigen Gliederbewegungen (Veitstanz), verbinden ſich mit Somnambulismus u. ſ. w. — Auch dieſe Zufaͤlle werden uͤbrigens vorzuͤglich bey ſehr reitzbaren Individuen, und be- ſonders nach Gemuͤthsleiden beobachtet, beſtehen nicht ſelten (wie in dem unten angefuͤhrten erſten Falle von Brandis) mit regelmaͤßiger Menſtruation, ſind gewoͤhnlich aͤußerſt hart- naͤckig und ſpotten oft der wirkſamſten innern Arzneymittel.
§. 255.
Endlich bemerken wir auch den Einfluß ſolcher Ver- ſtimmungen des Nervenſyſtems auf den Gang der reproduk- tiven Funktionen im Ganzen zwar immer, aber in einzelnen Faͤllen an beſonders auffallenden Erſcheinungen. Hierher rechnen wir namentlich das lange Entbehren von Nahrungs- mitteln, welches vorzuͤglich bey weiblichen Individuen bemerkt
*) Man leſe z. B. nur die Schilderung der Kraͤmpfe, welche der Ar- chiater Brandis bey einem 19jaͤhrigen Frauenzimmer beobachtete (Hufeland’s Journal d. prakt. Heilk. 41. Bd. 2. St. S. 9.).
**) S. einen ausgezeichneten Fall dieſer Art bey Brandis a. a. O. S. 19.
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[195/0215]
vor, wenn durch vorausgegangene fruͤhzeitige Ausſchweifun-
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ſtandene Schwaͤche die vollkommne Ausbildung des Geſchlechts-
charakters gehindert wird; oder wenn ſehr heftige Gemuͤthsbe-
wegungen ploͤtzlich einwirkten. Im Ganzen pflegt indeß ge-
rade dieſer Krankheitszuſtand doch weit weniger haͤufig, als
andere einzutreten, da er zu ſehr mit der in dieſer Zeit fuͤr
den Organismus natuͤrlichen Stimmung in Widerſpruch ſteht;
wenigſtens iſt er gemeiniglich nur voruͤbergehend, und er-
ſcheint dann oft mehr als Erſtarrung, vorzuͤglich als Cata-
lepſis. Haͤufiger kommen dagegen die eigentlichen Kraͤmpfe vor,
und zwar zuweilen mit einer Heftigkeit, welche alle Beſchreibung
uͤberſteigt *), man bemerkt hierbey Tetanus, Opiſthotonus,
wobey der Koͤrper, voͤllig im Sprenkel gebogen, ſich nur auf
Ferſen und Hinterhaupt aufſtuͤtzt, Trismus u. ſ. w. — Mit-
unter beſchraͤnken ſich wohl auch dieſe Kraͤmpfe auf einzelne
Theile, beſtehen z. B. in heftigem Kopfſchuͤtteln **), oder
taktmaͤßigen Gliederbewegungen (Veitstanz), verbinden ſich
mit Somnambulismus u. ſ. w. — Auch dieſe Zufaͤlle werden
uͤbrigens vorzuͤglich bey ſehr reitzbaren Individuen, und be-
ſonders nach Gemuͤthsleiden beobachtet, beſtehen nicht ſelten
(wie in dem unten angefuͤhrten erſten Falle von Brandis)
mit regelmaͤßiger Menſtruation, ſind gewoͤhnlich aͤußerſt hart-
naͤckig und ſpotten oft der wirkſamſten innern Arzneymittel.
§. 255.
Endlich bemerken wir auch den Einfluß ſolcher Ver-
ſtimmungen des Nervenſyſtems auf den Gang der reproduk-
tiven Funktionen im Ganzen zwar immer, aber in einzelnen
Faͤllen an beſonders auffallenden Erſcheinungen. Hierher
rechnen wir namentlich das lange Entbehren von Nahrungs-
mitteln, welches vorzuͤglich bey weiblichen Individuen bemerkt
*) Man leſe z. B. nur die Schilderung der Kraͤmpfe, welche der Ar-
chiater Brandis bey einem 19jaͤhrigen Frauenzimmer beobachtete
(Hufeland’s Journal d. prakt. Heilk. 41. Bd. 2. St. S. 9.).
**) S. einen ausgezeichneten Fall dieſer Art bey Brandis a. a. O.
S. 19.
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/215>, abgerufen am 19.07.2024.
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