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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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23. Aehmed der III
10.

Nachdem er diesen Feind von seinen Grenzen entfernet hatte: soDie Schwe-
den thun einen
verwegenen Ein-
fall in Rußland.

wendete er sich mit seinem gesammten Kriegesheere gegen den Zar von Ruß-
land, Peter den I, der Augusts Bundsverwandter gewesen war, und drohete
ihm nichts geringeres, als ihn abzusetzen. Anfangs stellete er sich, als wenn er bey
Pleskow in Rußland eindringen wollte; nachher aber ließ er sich durch die Ver-
sprechen Maseppa, Hetmans der Kosaken, der ihm sein Land und seine Truppen zu
übergeben angeboten hatte, verleiten, daß er seinen Zug gegen die Ukraina lenkete.

Ali Pascha ver-
spricht dem Kö-
nige von Schwe-
den und den auf-
rührischen Kosa-
ken Beystand ge-
gen die Russen.
11.

Während dieses Zuges sendet Ali Pascha (der sich freuete, daß sich
Gelegenheit eräugete, den Zar von Rußland, als den alten geschwornen Feind
[Spaltenumbruch]

Nachlässigkeit, oder weil er bestochen war)
spricht zwar den Botsknecht von dem Dieb-
stahle los; heißet aber denselben ohne Be-
lohnung fortgehen, weil er durch seine Un-
achtsamkeit eine Sache von solchem Werthe
verloren habe. Der Botsknecht, der solcher-
gestalt sich nicht allein seiner gehofften Beloh-
nung verlustig, sondern auch dem Schimpfe,
daß er ein Dieb sey, ausgesetzet sahe, stellet
die ganze Sache dem Weßire in einem Aerßu-
hal vor. Der Weßir lässet den Kaufmann
mit dem streitigen Gelde, nebst dem Ausrufer,
zu sich vor das Gericht fordern. Nach an-
gehörter Klage fraget der Weßir erstlich den
Ausrufer: was es eigentlich gewesen sey,
das der Kaufmann ihm auszuforschen aufge-
tragen habe. Dieser gestehet aufrichtig, es
seyen bloß zwey hundert Turali gewesen. Der
Kaufmann will darauf seine Vertheidigung
vorbringen, und saget: er habe deswegen der
smaragdenen Ohrenringe keine Erwähnung
thun lassen, weil er befürchtet, wenn etwan
der Beutel einer unerfahrnen Person in die
Hände gefallen wäre, die den Werth der
Dschem nicht wisse, dieselbe möchte, wann sie
erführe, was für einen großen Schatz sie ge-
funden habe, dadurch gereizet werden, es
[Spaltenumbruch]
alles mit einander zu behalten. Nachdem
aber der Botsknecht einen Eid gethan hatte,
daß er weiter nichts, als das Geld, in dem
Beutel gefunden habe: so sprach Ali Pascha
in der Sache folgendes Urtheil. "Da der
"Kaufmann außer zwey hundert Turali,
"auch einige smaragdenen Ohrenringe in
"demselben Beutel verloren; der Botsknecht
"aber eidlich ausgesaget hat, daß er weiter
"nichts, als das Geld, darinnen gefunden
"habe: so ist klar, daß der Beutel und das
"Geld, das der Botsknecht gefunden hat,
"nicht von dem Kaufmanne, sondern von
"sonst iemandem, verloren worden ist.
"Der Kaufmann kann also seine Sachen
"ausrufen lassen, bis iemand, der Gott
"fürchtet und sie gefunden hat, ihm die-
"selben wieder bringet: und der Botsknecht
"soll das Geld vierzig Tage lang bey sich
"verwahren, und wenn innerhalb dieser
"Zeit niemand kommt und dasselbe zurück
"fordert: so soll es ihm eigenthümlich ver-
"bleiben." Solchergestalt verlor der gei-
zige Kaufmann seinen guten Glauben und
die Hälfte von seinem Gelde: und der Bots-
knecht ging mit beyden fröhlich hinweg und
auf sein Schiff.

der
5 C 3
23. Aehmed der III
10.

Nachdem er dieſen Feind von ſeinen Grenzen entfernet hatte: ſoDie Schwe-
den thun einen
verwegenen Ein-
fall in Rußland.

wendete er ſich mit ſeinem geſammten Kriegesheere gegen den Zar von Ruß-
land, Peter den I‚ der Auguſts Bundsverwandter geweſen war, und drohete
ihm nichts geringeres, als ihn abzuſetzen. Anfangs ſtellete er ſich, als wenn er bey
Pleſkow in Rußland eindringen wollte; nachher aber ließ er ſich durch die Ver-
ſprechen Maſeppa, Hetmans der Koſaken, der ihm ſein Land und ſeine Truppen zu
uͤbergeben angeboten hatte, verleiten, daß er ſeinen Zug gegen die Ukraina lenkete.

Ali Paſcha ver-
ſpricht dem Koͤ-
nige von Schwe-
den und den auf-
ruͤhriſchen Koſa-
ken Beyſtand ge-
gen die Ruſſen.
11.

Waͤhrend dieſes Zuges ſendet Ali Paſcha (der ſich freuete, daß ſich
Gelegenheit eraͤugete, den Zar von Rußland, als den alten geſchwornen Feind
[Spaltenumbruch]

Nachlaͤſſigkeit, oder weil er beſtochen war)
ſpricht zwar den Botsknecht von dem Dieb-
ſtahle los; heißet aber denſelben ohne Be-
lohnung fortgehen, weil er durch ſeine Un-
achtſamkeit eine Sache von ſolchem Werthe
verloren habe. Der Botsknecht, der ſolcher-
geſtalt ſich nicht allein ſeiner gehofften Beloh-
nung verluſtig, ſondern auch dem Schimpfe,
daß er ein Dieb ſey, ausgeſetzet ſahe, ſtellet
die ganze Sache dem Weßire in einem Aerßu-
hal vor. Der Weßir laͤſſet den Kaufmann
mit dem ſtreitigen Gelde, nebſt dem Ausrufer,
zu ſich vor das Gericht fordern. Nach an-
gehoͤrter Klage fraget der Weßir erſtlich den
Ausrufer: was es eigentlich geweſen ſey,
das der Kaufmann ihm auszuforſchen aufge-
tragen habe. Dieſer geſtehet aufrichtig, es
ſeyen bloß zwey hundert Turali geweſen. Der
Kaufmann will darauf ſeine Vertheidigung
vorbringen, und ſaget: er habe deswegen der
ſmaragdenen Ohrenringe keine Erwaͤhnung
thun laſſen, weil er befuͤrchtet, wenn etwan
der Beutel einer unerfahrnen Perſon in die
Haͤnde gefallen waͤre, die den Werth der
Dſchem nicht wiſſe, dieſelbe moͤchte, wann ſie
erfuͤhre, was fuͤr einen großen Schatz ſie ge-
funden habe, dadurch gereizet werden, es
[Spaltenumbruch]
alles mit einander zu behalten. Nachdem
aber der Botsknecht einen Eid gethan hatte,
daß er weiter nichts, als das Geld, in dem
Beutel gefunden habe: ſo ſprach Ali Paſcha
in der Sache folgendes Urtheil. “Da der
“Kaufmann außer zwey hundert Turali,
“auch einige ſmaragdenen Ohrenringe in
“demſelben Beutel verloren; der Botsknecht
“aber eidlich ausgeſaget hat, daß er weiter
“nichts, als das Geld, darinnen gefunden
“habe: ſo iſt klar, daß der Beutel und das
“Geld, das der Botsknecht gefunden hat,
“nicht von dem Kaufmanne, ſondern von
“ſonſt iemandem, verloren worden iſt.
“Der Kaufmann kann alſo ſeine Sachen
“ausrufen laſſen, bis iemand, der Gott
“fuͤrchtet und ſie gefunden hat, ihm die-
“ſelben wieder bringet: und der Botsknecht
“ſoll das Geld vierzig Tage lang bey ſich
“verwahren, und wenn innerhalb dieſer
“Zeit niemand kommt und daſſelbe zuruͤck
“fordert: ſo ſoll es ihm eigenthuͤmlich ver-
“bleiben.„ Solchergeſtalt verlor der gei-
zige Kaufmann ſeinen guten Glauben und
die Haͤlfte von ſeinem Gelde: und der Bots-
knecht ging mit beyden froͤhlich hinweg und
auf ſein Schiff.

der
5 C 3
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[757/0871] 23. Aehmed der III 10. Nachdem er dieſen Feind von ſeinen Grenzen entfernet hatte: ſo wendete er ſich mit ſeinem geſammten Kriegesheere gegen den Zar von Ruß- land, Peter den I‚ der Auguſts Bundsverwandter geweſen war, und drohete ihm nichts geringeres, als ihn abzuſetzen. Anfangs ſtellete er ſich, als wenn er bey Pleſkow in Rußland eindringen wollte; nachher aber ließ er ſich durch die Ver- ſprechen Maſeppa, Hetmans der Koſaken, der ihm ſein Land und ſeine Truppen zu uͤbergeben angeboten hatte, verleiten, daß er ſeinen Zug gegen die Ukraina lenkete. Die Schwe- den thun einen verwegenen Ein- fall in Rußland. 11. Waͤhrend dieſes Zuges ſendet Ali Paſcha (der ſich freuete, daß ſich Gelegenheit eraͤugete, den Zar von Rußland, als den alten geſchwornen Feind der Nachlaͤſſigkeit, oder weil er beſtochen war) ſpricht zwar den Botsknecht von dem Dieb- ſtahle los; heißet aber denſelben ohne Be- lohnung fortgehen, weil er durch ſeine Un- achtſamkeit eine Sache von ſolchem Werthe verloren habe. Der Botsknecht, der ſolcher- geſtalt ſich nicht allein ſeiner gehofften Beloh- nung verluſtig, ſondern auch dem Schimpfe, daß er ein Dieb ſey, ausgeſetzet ſahe, ſtellet die ganze Sache dem Weßire in einem Aerßu- hal vor. Der Weßir laͤſſet den Kaufmann mit dem ſtreitigen Gelde, nebſt dem Ausrufer, zu ſich vor das Gericht fordern. Nach an- gehoͤrter Klage fraget der Weßir erſtlich den Ausrufer: was es eigentlich geweſen ſey, das der Kaufmann ihm auszuforſchen aufge- tragen habe. Dieſer geſtehet aufrichtig, es ſeyen bloß zwey hundert Turali geweſen. Der Kaufmann will darauf ſeine Vertheidigung vorbringen, und ſaget: er habe deswegen der ſmaragdenen Ohrenringe keine Erwaͤhnung thun laſſen, weil er befuͤrchtet, wenn etwan der Beutel einer unerfahrnen Perſon in die Haͤnde gefallen waͤre, die den Werth der Dſchem nicht wiſſe, dieſelbe moͤchte, wann ſie erfuͤhre, was fuͤr einen großen Schatz ſie ge- funden habe, dadurch gereizet werden, es alles mit einander zu behalten. Nachdem aber der Botsknecht einen Eid gethan hatte, daß er weiter nichts, als das Geld, in dem Beutel gefunden habe: ſo ſprach Ali Paſcha in der Sache folgendes Urtheil. “Da der “Kaufmann außer zwey hundert Turali, “auch einige ſmaragdenen Ohrenringe in “demſelben Beutel verloren; der Botsknecht “aber eidlich ausgeſaget hat, daß er weiter “nichts, als das Geld, darinnen gefunden “habe: ſo iſt klar, daß der Beutel und das “Geld, das der Botsknecht gefunden hat, “nicht von dem Kaufmanne, ſondern von “ſonſt iemandem, verloren worden iſt. “Der Kaufmann kann alſo ſeine Sachen “ausrufen laſſen, bis iemand, der Gott “fuͤrchtet und ſie gefunden hat, ihm die- “ſelben wieder bringet: und der Botsknecht “ſoll das Geld vierzig Tage lang bey ſich “verwahren, und wenn innerhalb dieſer “Zeit niemand kommt und daſſelbe zuruͤck “fordert: ſo ſoll es ihm eigenthuͤmlich ver- “bleiben.„ Solchergeſtalt verlor der gei- zige Kaufmann ſeinen guten Glauben und die Haͤlfte von ſeinem Gelde: und der Bots- knecht ging mit beyden froͤhlich hinweg und auf ſein Schiff. 5 C 3

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 757. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/871>, abgerufen am 22.11.2024.