zuerst als Sultan. Bey dem Abschiede redet er ihn folgendermaßen an. "Erinnert euch, mein Bruder, daß ihr, so lange ich auf dem Throne gewesen "bin, die größte Freyheit genossen habt; ich bitte euch also, ihr wollet mir "eben dergleichen wiederfahren lassen. Ferner erwäget, daß ihr zwar den "Thron mit Recht besteiget, als der bereits von eurem Vater und Bruder "besessen worden ist; daß aber die Werkzeuge eurer Erhebung verrätherische Auf- "rührer sind. Wenn ihr ihnen nun dieses ungestraft hingehen lasset: so wer- "den sie in kurzem mit euch eben so verfahren, als sie gegenwärtig mit mir "umgehen."
128.
Nachdem er dieses gesaget hatte: so begab er sich in eben das Zim-Der Sultan Mustäfa wird abgesetzet. mer, darinnen er seinen Bruder eingesperret gehalten hatte. Er zog sich aber hier durch Schwermuth eine Krankheit zu, so daß er sechs Monate nach seiner Absetzung in die ewigen Paläste einging, die von Muhämmed für ihn zubereitet waren. Die Zeit seiner Regierung war acht Jahre und einige Monate.
129.
Er war ein Sultan, der im Anfange seiner Regierung große Hoff-Seine Eigen- schaften und Lei- besgestalt. nung von sich blicken ließe; das Glück aber war ihm nach der Zeit zuwider. In den ersten Jahren seiner Verwaltung des Reichs war er glücklicher, als in den letzten. Er hatte größere Vortheile von der Natur erhalten, als seine bey- den Vorfahrer: denn er war ein Herr von reifer Urtheilskraft, großem Fleiße und Nüchternheit; in Einsammlung und Austheilung der öffentlichen Gelder weder verschwenderisch noch geizig; gerecht; ein guter Schütze und Reiter; und sehr andächtig in seiner Religion. Er erwarb sich großen Ruhm durch den carlowitschischen Frieden, den sein Vater und seine beyden Oheime vergebens gewünschet und sich darum bemühet hatten; er aber brachte denselben mit Ver- einigung aller Parteyen zu Stande. Er war von mittelmäßiger Länge, hatte ein rundes und schönes von Weiß und Roth gemischtes Angesicht; einen rothen, dünnen und nicht gar langen Bart; eine kurze und etwas in die Höhe gebo- gene Nase; blaue Augen mit dünnen und gelben Augenbrauen. Im Früh- [Spaltenumbruch]
erzählet habe: denn diesen Hetman hießen die Türken insgemein Doroschan. Unter dem Weßiramte Husejn Paschas wurde er Statthalter zu Ajnebächt oder Lepante; nachdem er aber von Daltaban dieser Stelle entsetzet worden war: so lebete er zu Con- stantinopel als eine gemeine Person. Nach [Spaltenumbruch] der Zeit wurde er nach Lepante verwiesen, da derselbe in wenigen Monaten aus Verdrusse starb. Er hinterließ nur einen jungen Sohn. Als dieser einsmals in seinem Garten allein spielete: so fiel er in einen Brunnen, und ertrank darinnen.
linge
5 A 2
22. Muſtaͤfa der II
zuerſt als Sultan. Bey dem Abſchiede redet er ihn folgendermaßen an. “Erinnert euch, mein Bruder, daß ihr, ſo lange ich auf dem Throne geweſen “bin, die groͤßte Freyheit genoſſen habt; ich bitte euch alſo, ihr wollet mir “eben dergleichen wiederfahren laſſen. Ferner erwaͤget, daß ihr zwar den “Thron mit Recht beſteiget, als der bereits von eurem Vater und Bruder “beſeſſen worden iſt; daß aber die Werkzeuge eurer Erhebung verraͤtheriſche Auf- “ruͤhrer ſind. Wenn ihr ihnen nun dieſes ungeſtraft hingehen laſſet: ſo wer- “den ſie in kurzem mit euch eben ſo verfahren, als ſie gegenwaͤrtig mit mir “umgehen.„
128.
Nachdem er dieſes geſaget hatte: ſo begab er ſich in eben das Zim-Der Sultan Muſtaͤfa wird abgeſetzet. mer, darinnen er ſeinen Bruder eingeſperret gehalten hatte. Er zog ſich aber hier durch Schwermuth eine Krankheit zu, ſo daß er ſechs Monate nach ſeiner Abſetzung in die ewigen Palaͤſte einging, die von Muhaͤmmed fuͤr ihn zubereitet waren. Die Zeit ſeiner Regierung war acht Jahre und einige Monate.
129.
Er war ein Sultan, der im Anfange ſeiner Regierung große Hoff-Seine Eigen- ſchaften und Lei- besgeſtalt. nung von ſich blicken ließe; das Gluͤck aber war ihm nach der Zeit zuwider. In den erſten Jahren ſeiner Verwaltung des Reichs war er gluͤcklicher, als in den letzten. Er hatte groͤßere Vortheile von der Natur erhalten, als ſeine bey- den Vorfahrer: denn er war ein Herr von reifer Urtheilskraft, großem Fleiße und Nuͤchternheit; in Einſammlung und Austheilung der oͤffentlichen Gelder weder verſchwenderiſch noch geizig; gerecht; ein guter Schuͤtze und Reiter; und ſehr andaͤchtig in ſeiner Religion. Er erwarb ſich großen Ruhm durch den carlowitſchiſchen Frieden, den ſein Vater und ſeine beyden Oheime vergebens gewuͤnſchet und ſich darum bemuͤhet hatten; er aber brachte denſelben mit Ver- einigung aller Parteyen zu Stande. Er war von mittelmaͤßiger Laͤnge, hatte ein rundes und ſchoͤnes von Weiß und Roth gemiſchtes Angeſicht; einen rothen, duͤnnen und nicht gar langen Bart; eine kurze und etwas in die Hoͤhe gebo- gene Naſe; blaue Augen mit duͤnnen und gelben Augenbrauen. Im Fruͤh- [Spaltenumbruch]
erzaͤhlet habe: denn dieſen Hetman hießen die Tuͤrken insgemein Doroſchan. Unter dem Weßiramte Huſejn Paſchas wurde er Statthalter zu Ajnebaͤcht oder Lepante; nachdem er aber von Daltaban dieſer Stelle entſetzet worden war: ſo lebete er zu Con- ſtantinopel als eine gemeine Perſon. Nach [Spaltenumbruch] der Zeit wurde er nach Lepante verwieſen, da derſelbe in wenigen Monaten aus Verdruſſe ſtarb. Er hinterließ nur einen jungen Sohn. Als dieſer einsmals in ſeinem Garten allein ſpielete: ſo fiel er in einen Brunnen, und ertrank darinnen.
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22. Muſtaͤfa der II
zuerſt als Sultan. Bey dem Abſchiede redet er ihn folgendermaßen an.
“Erinnert euch, mein Bruder, daß ihr, ſo lange ich auf dem Throne geweſen
“bin, die groͤßte Freyheit genoſſen habt; ich bitte euch alſo, ihr wollet mir
“eben dergleichen wiederfahren laſſen. Ferner erwaͤget, daß ihr zwar den
“Thron mit Recht beſteiget, als der bereits von eurem Vater und Bruder
“beſeſſen worden iſt; daß aber die Werkzeuge eurer Erhebung verraͤtheriſche Auf-
“ruͤhrer ſind. Wenn ihr ihnen nun dieſes ungeſtraft hingehen laſſet: ſo wer-
“den ſie in kurzem mit euch eben ſo verfahren, als ſie gegenwaͤrtig mit mir
“umgehen.„
128. Nachdem er dieſes geſaget hatte: ſo begab er ſich in eben das Zim-
mer, darinnen er ſeinen Bruder eingeſperret gehalten hatte. Er zog ſich aber
hier durch Schwermuth eine Krankheit zu, ſo daß er ſechs Monate nach ſeiner
Abſetzung in die ewigen Palaͤſte einging, die von Muhaͤmmed fuͤr ihn zubereitet
waren. Die Zeit ſeiner Regierung war acht Jahre und einige Monate.
Der Sultan
Muſtaͤfa wird
abgeſetzet.
129. Er war ein Sultan, der im Anfange ſeiner Regierung große Hoff-
nung von ſich blicken ließe; das Gluͤck aber war ihm nach der Zeit zuwider.
In den erſten Jahren ſeiner Verwaltung des Reichs war er gluͤcklicher, als in
den letzten. Er hatte groͤßere Vortheile von der Natur erhalten, als ſeine bey-
den Vorfahrer: denn er war ein Herr von reifer Urtheilskraft, großem Fleiße
und Nuͤchternheit; in Einſammlung und Austheilung der oͤffentlichen Gelder
weder verſchwenderiſch noch geizig; gerecht; ein guter Schuͤtze und Reiter;
und ſehr andaͤchtig in ſeiner Religion. Er erwarb ſich großen Ruhm durch den
carlowitſchiſchen Frieden, den ſein Vater und ſeine beyden Oheime vergebens
gewuͤnſchet und ſich darum bemuͤhet hatten; er aber brachte denſelben mit Ver-
einigung aller Parteyen zu Stande. Er war von mittelmaͤßiger Laͤnge, hatte
ein rundes und ſchoͤnes von Weiß und Roth gemiſchtes Angeſicht; einen rothen,
duͤnnen und nicht gar langen Bart; eine kurze und etwas in die Hoͤhe gebo-
gene Naſe; blaue Augen mit duͤnnen und gelben Augenbrauen. Im Fruͤh-
linge
erzaͤhlet habe: denn dieſen Hetman hießen
die Tuͤrken insgemein Doroſchan. Unter
dem Weßiramte Huſejn Paſchas wurde er
Statthalter zu Ajnebaͤcht oder Lepante;
nachdem er aber von Daltaban dieſer Stelle
entſetzet worden war: ſo lebete er zu Con-
ſtantinopel als eine gemeine Perſon. Nach
der Zeit wurde er nach Lepante verwieſen, da
derſelbe in wenigen Monaten aus Verdruſſe
ſtarb. Er hinterließ nur einen jungen Sohn.
Als dieſer einsmals in ſeinem Garten allein
ſpielete: ſo fiel er in einen Brunnen, und
ertrank darinnen.
Seine Eigen-
ſchaften und Lei-
besgeſtalt.
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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 739. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/853>, abgerufen am 25.11.2024.
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