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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Der Chan in
der Tatarey
trachtet den
Frieden zwischen
den Türken und
dem Zar von
Rußland zu stö-ren.
94.

Während dieses seines Aufenthalts zu Adrianopel wird der Sultan
im Monate Redscheb* des Jahres 1111 durch Briefe von dem Chan der Tata-
rey benachrichtiget, daß der Zar in Rußland die Kleidung und Religionsgebräu-
che seines Landes verändert (davon das eine Stück wahr, das andere aber falsch
war), und der Deutschen ihre dagegen eingeführet; auch ein sehr großes Krie-
H. 1111.



J. C. 1699.gesheer von seinen eigenen Unterthanen, das auf deutschen Fuß gesetzet sey, auf-
gerichtet habe. Und ungeachtet derselbe zu Carlowitsch einen Stillestand auf
zwey Jahre gemacht habe: so rüste er dennoch mit der größten Eilfertigkeit eine
Flote aus, und baue an der Don, dem Dnjeper und andern Flüssen neue
Städte und Festungen. Diese Anstalten seyen keine Zeichen des Friedens;
sondern es sey vielmehr zu befürchten, daß die verborgene Flamme in kurzem
mit großer Heftigkeit und Gefahr ausbrechen werde. Der Sultan möge daher
zusehen, daß nicht, nachdem er dem Kriege mit den Deutschen in Westen kaum
ein Ende gemacht, ein neuer Nemtsche Gjawr aus Norden das osmanische Reich
in Bedrängniß und in die äußerste Gefahr bringe; denn es könne die Russen
nichts hindern, daß sie die ganze krimische Tatarey in einem Feldzuge über-
schwemmeten, ehe die Türken ihr zu Hülfe kommen könnten. Es sey daher
nöthig, entweder einen festen Frieden zu haben; oder unverzüglich den Krieg
zu erklären, ehe der Feind Zeit und Gelegenheit gewinne, sich zu verstärken.
Wenn der Sultan etwann in die Wahrheit dieses Berichts einen Zweifel setzen
sollte: so möchte er einen treuen Bedienten absenden, der von dem, was vor-
gehe, selbst den Augenschein einnehmen, und dem Sultane von allen besonderen
Umständen Bericht erstatten könne.

Der Sultan
schicket eine Per-
son ab, die Ab-
sichten des Zarszu beobachten.
95.

Der Sultan sendet hierauf, ohne Vorwissen des Weßirs, seinen
Stallmeister Kiblelü Ogli 38, des Weßirs Schwester Sohn, in die krimische Ta-
tarey, mit dem Befehle, von den Anstalten der Russen genaue Kundschaft einzu-
ziehen, und alsdann ohne Verzug zurück zu kommen, ohne einem Menschen
die Ursache seiner Reise kund zu machen. Nachdem Kiblelü Ogli diesen Be-
fehl erhalten hatte: so schicket er sich zu seiner Reise. Ehe er aber dieselbe
wirklich antrat: so gehet er ingeheim zu seinem Oheime, und eröffnet demselben,
was ihm der Sultan für ein Geschäffte aufgetragen habe. Der Weßir giebt
seinem Vetter an die Hand (damit dieser Funke nicht in noch eine größere Flam-
me ausbrechen möge, als die nur eben gelöschet worden war), er sollte bey seiner
[Spaltenumbruch]

38 Kiblelü Ogli] Er war des Weßirs,
Aemidsche Ogli Husejn Paschas, Schwester
[Spaltenumbruch]
Sohn; und dieser hatte eine solche innige
Liebe gegen denselben, daß er, ungeachtet der-

Zurück-
* December.
Osmaniſche Geſchichte
Der Chan in
der Tatarey
trachtet den
Frieden zwiſchen
den Tuͤrken und
dem Zar von
Rußland zu ſtoͤ-ren.
94.

Waͤhrend dieſes ſeines Aufenthalts zu Adrianopel wird der Sultan
im Monate Redſcheb* des Jahres 1111 durch Briefe von dem Chan der Tata-
rey benachrichtiget, daß der Zar in Rußland die Kleidung und Religionsgebraͤu-
che ſeines Landes veraͤndert (davon das eine Stuͤck wahr, das andere aber falſch
war), und der Deutſchen ihre dagegen eingefuͤhret; auch ein ſehr großes Krie-
H. 1111.



J. C. 1699.gesheer von ſeinen eigenen Unterthanen, das auf deutſchen Fuß geſetzet ſey, auf-
gerichtet habe. Und ungeachtet derſelbe zu Carlowitſch einen Stilleſtand auf
zwey Jahre gemacht habe: ſo ruͤſte er dennoch mit der groͤßten Eilfertigkeit eine
Flote aus, und baue an der Don, dem Dnjeper und andern Fluͤſſen neue
Staͤdte und Feſtungen. Dieſe Anſtalten ſeyen keine Zeichen des Friedens;
ſondern es ſey vielmehr zu befuͤrchten, daß die verborgene Flamme in kurzem
mit großer Heftigkeit und Gefahr ausbrechen werde. Der Sultan moͤge daher
zuſehen, daß nicht, nachdem er dem Kriege mit den Deutſchen in Weſten kaum
ein Ende gemacht, ein neuer Nemtſche Gjawr aus Norden das osmaniſche Reich
in Bedraͤngniß und in die aͤußerſte Gefahr bringe; denn es koͤnne die Ruſſen
nichts hindern, daß ſie die ganze krimiſche Tatarey in einem Feldzuge uͤber-
ſchwemmeten, ehe die Tuͤrken ihr zu Huͤlfe kommen koͤnnten. Es ſey daher
noͤthig, entweder einen feſten Frieden zu haben; oder unverzuͤglich den Krieg
zu erklaͤren, ehe der Feind Zeit und Gelegenheit gewinne, ſich zu verſtaͤrken.
Wenn der Sultan etwann in die Wahrheit dieſes Berichts einen Zweifel ſetzen
ſollte: ſo moͤchte er einen treuen Bedienten abſenden, der von dem, was vor-
gehe, ſelbſt den Augenſchein einnehmen, und dem Sultane von allen beſonderen
Umſtaͤnden Bericht erſtatten koͤnne.

Der Sultan
ſchicket eine Per-
ſon ab, die Ab-
ſichten des Zarszu beobachten.
95.

Der Sultan ſendet hierauf, ohne Vorwiſſen des Weßirs, ſeinen
Stallmeiſter Kibleluͤ Ogli 38, des Weßirs Schweſter Sohn, in die krimiſche Ta-
tarey, mit dem Befehle, von den Anſtalten der Ruſſen genaue Kundſchaft einzu-
ziehen, und alsdann ohne Verzug zuruͤck zu kommen, ohne einem Menſchen
die Urſache ſeiner Reiſe kund zu machen. Nachdem Kibleluͤ Ogli dieſen Be-
fehl erhalten hatte: ſo ſchicket er ſich zu ſeiner Reiſe. Ehe er aber dieſelbe
wirklich antrat: ſo gehet er ingeheim zu ſeinem Oheime, und eroͤffnet demſelben,
was ihm der Sultan fuͤr ein Geſchaͤffte aufgetragen habe. Der Weßir giebt
ſeinem Vetter an die Hand (damit dieſer Funke nicht in noch eine groͤßere Flam-
me ausbrechen moͤge, als die nur eben geloͤſchet worden war), er ſollte bey ſeiner
[Spaltenumbruch]

38 Kibleluͤ Ogli] Er war des Weßirs,
Aemidſche Ogli Huſejn Paſchas, Schweſter
[Spaltenumbruch]
Sohn; und dieſer hatte eine ſolche innige
Liebe gegen denſelben, daß er, ungeachtet der-

Zuruͤck-
* December.
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[720/0834] Osmaniſche Geſchichte 94. Waͤhrend dieſes ſeines Aufenthalts zu Adrianopel wird der Sultan im Monate Redſcheb * des Jahres 1111 durch Briefe von dem Chan der Tata- rey benachrichtiget, daß der Zar in Rußland die Kleidung und Religionsgebraͤu- che ſeines Landes veraͤndert (davon das eine Stuͤck wahr, das andere aber falſch war), und der Deutſchen ihre dagegen eingefuͤhret; auch ein ſehr großes Krie- gesheer von ſeinen eigenen Unterthanen, das auf deutſchen Fuß geſetzet ſey, auf- gerichtet habe. Und ungeachtet derſelbe zu Carlowitſch einen Stilleſtand auf zwey Jahre gemacht habe: ſo ruͤſte er dennoch mit der groͤßten Eilfertigkeit eine Flote aus, und baue an der Don, dem Dnjeper und andern Fluͤſſen neue Staͤdte und Feſtungen. Dieſe Anſtalten ſeyen keine Zeichen des Friedens; ſondern es ſey vielmehr zu befuͤrchten, daß die verborgene Flamme in kurzem mit großer Heftigkeit und Gefahr ausbrechen werde. Der Sultan moͤge daher zuſehen, daß nicht, nachdem er dem Kriege mit den Deutſchen in Weſten kaum ein Ende gemacht, ein neuer Nemtſche Gjawr aus Norden das osmaniſche Reich in Bedraͤngniß und in die aͤußerſte Gefahr bringe; denn es koͤnne die Ruſſen nichts hindern, daß ſie die ganze krimiſche Tatarey in einem Feldzuge uͤber- ſchwemmeten, ehe die Tuͤrken ihr zu Huͤlfe kommen koͤnnten. Es ſey daher noͤthig, entweder einen feſten Frieden zu haben; oder unverzuͤglich den Krieg zu erklaͤren, ehe der Feind Zeit und Gelegenheit gewinne, ſich zu verſtaͤrken. Wenn der Sultan etwann in die Wahrheit dieſes Berichts einen Zweifel ſetzen ſollte: ſo moͤchte er einen treuen Bedienten abſenden, der von dem, was vor- gehe, ſelbſt den Augenſchein einnehmen, und dem Sultane von allen beſonderen Umſtaͤnden Bericht erſtatten koͤnne. H. 1111. J. C. 1699. 95. Der Sultan ſendet hierauf, ohne Vorwiſſen des Weßirs, ſeinen Stallmeiſter Kibleluͤ Ogli ³⁸ , des Weßirs Schweſter Sohn, in die krimiſche Ta- tarey, mit dem Befehle, von den Anſtalten der Ruſſen genaue Kundſchaft einzu- ziehen, und alsdann ohne Verzug zuruͤck zu kommen, ohne einem Menſchen die Urſache ſeiner Reiſe kund zu machen. Nachdem Kibleluͤ Ogli dieſen Be- fehl erhalten hatte: ſo ſchicket er ſich zu ſeiner Reiſe. Ehe er aber dieſelbe wirklich antrat: ſo gehet er ingeheim zu ſeinem Oheime, und eroͤffnet demſelben, was ihm der Sultan fuͤr ein Geſchaͤffte aufgetragen habe. Der Weßir giebt ſeinem Vetter an die Hand (damit dieſer Funke nicht in noch eine groͤßere Flam- me ausbrechen moͤge, als die nur eben geloͤſchet worden war), er ſollte bey ſeiner Zuruͤck- ³⁸ Kibleluͤ Ogli] Er war des Weßirs, Aemidſche Ogli Huſejn Paſchas, Schweſter Sohn; und dieſer hatte eine ſolche innige Liebe gegen denſelben, daß er, ungeachtet der- ſelbe * December.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/834>, abgerufen am 25.11.2024.