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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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21. Aehmed der II
4.

Es geschahe aber nach einem unter den Türken sehr seltenen Bey-Wunderbare
Geschicklichkeit
des Weßirs, ein
Kriegesheer auf-
zurichten.

spiele, daß derselbe genöthiget war, eben diejenigen Mittel, die die vorigen
Weßire angewendet hatten, das Heer zu vermehren, itzo zu ergreifen, um das-
selbe zu vermindern. Denn die Müsülmanen waren durch die glückliche Un-
ternehmung auf Belgrad beherzt gemacht worden, und kamen von allen Seiten
freywillig in solcher Menge herbey, daß man vorher niemals ein so zahlreiches
Heer in dem osmanischen Lager gesehen hatte. Als der Weßir dieses gewahr
wurde: so befahl er den Paschen, daß sie nicht mehr Völker in das Feld brin-
gen sollten, als ihnen zu liefern angesetzet seyen; denn die Müsülmanen haben
itzo gegen die Gjawr zu fechten, und es sey ihnen daher kein großes Kriegesheer
nöthig. Im Gegentheil sey nicht ohne Ursache zu befürchten, weil dieselben,
ehe sie Ofen erreichten, einen langen Strich durch des Feindes Land ziehen müß-
ten: sie möchten Mangel an Lebensmitteln bekommen und davon Unge-
[Spaltenumbruch]

haben möchte, denselben zu trinken: so hatte
er dem Sultane weis gemacht, er sey lahm
an den Füßen, und daher genöthiget, alle
Abende Arzeney einzunehmen. Dieser Ursa-
che wegen hatte er die Befreyung erhalten,
daß er, es mochten für Geschäffte vorfallen,
welche sie wollten, nach der neunten Tages-
stunde* nicht nach Hofe berufen wurde; und
solchergestalt hatte er die Freyheit, wenn es
ihm beliebte, sich bis Mitternacht gütlich zu
thun. Nachdem er von seinem Weßiramte
abgesetzet worden war: so wachte sein mü-
sülmanisches Gewissen auf und fing an, ihn
zu nagen; so daß er sich entschloß, sich die
Bußart, die von den Türken Tewbe genennet
wird, aufzulegen und sich von diesem Ge-
tränke gänzlich zu enthalten. Allein, wenige
Tage darauf, als er diese Enthaltung ange-
fangen hatte, empfand er einen sehr heftigen
Schmerzen in der Lunge, und sein ganzer Leib
geschwall, nicht anders, als wenn er die Wind-
sucht hätte. Die Aerzte versprachen, ihm
wieder zur Gesundheit zu verhelfen, wenn er
nur sich seines vorigen Getränkes wieder be-
dienen wollte. Er wollte aber lieber sterben,
[Spaltenumbruch]
als nach angefangener Buße wieder zu seiner
vorigen Lebensart zurück kehren: und starb
also in seinem Landhause nicht weit von Tschor-
lü, fünf und dreyßig Tage nach seiner Abset-
zung von dem Weßiramte, und wurde zu Con-
stantinopel in einem Türbe beygesetzet, das
er schon bey seinen Lebzeiten zu seinem Be-
gräbnisse erbauet hatte.
2 Aerebedschi Ali] Er gelangte bald
hernach zu der Stelle des obersten Weßirs;
verrichtete aber weder vor noch nach dersel-
ben die mindeste merkwürdige That, und wur-
de in wenigen Monaten von seiner Ehren-
stufe wieder herunter gestürzet. Die Türken
gaben ihm den Beynamen Aerebedschi, ent-
weder, weil sein Vater ein Wagner oder Fuhr-
mann von Kaufmannsgütern (dergleichen
Art Leute zu Constantinopel Aerebedschi ge-
nennet werden) gewesen war; oder auch,
weil er wegen seiner Dummheit und blöden
Verstandes sich besser zu einem Aerebedschi,
als zu dem ersten Bedienten des Reichs, ge-
schicket hätte.

mach
* das ist, nach drey Uhr des Nachmittags.
4 J 2
21. Aehmed der II
4.

Es geſchahe aber nach einem unter den Tuͤrken ſehr ſeltenen Bey-Wunderbare
Geſchicklichkeit
des Weßirs, ein
Kriegesheer auf-
zurichten.

ſpiele, daß derſelbe genoͤthiget war, eben diejenigen Mittel, die die vorigen
Weßire angewendet hatten, das Heer zu vermehren, itzo zu ergreifen, um daſ-
ſelbe zu vermindern. Denn die Muͤſuͤlmanen waren durch die gluͤckliche Un-
ternehmung auf Belgrad beherzt gemacht worden, und kamen von allen Seiten
freywillig in ſolcher Menge herbey, daß man vorher niemals ein ſo zahlreiches
Heer in dem osmaniſchen Lager geſehen hatte. Als der Weßir dieſes gewahr
wurde: ſo befahl er den Paſchen, daß ſie nicht mehr Voͤlker in das Feld brin-
gen ſollten, als ihnen zu liefern angeſetzet ſeyen; denn die Muͤſuͤlmanen haben
itzo gegen die Gjawr zu fechten, und es ſey ihnen daher kein großes Kriegesheer
noͤthig. Im Gegentheil ſey nicht ohne Urſache zu befuͤrchten, weil dieſelben,
ehe ſie Ofen erreichten, einen langen Strich durch des Feindes Land ziehen muͤß-
ten: ſie moͤchten Mangel an Lebensmitteln bekommen und davon Unge-
[Spaltenumbruch]

haben moͤchte, denſelben zu trinken: ſo hatte
er dem Sultane weis gemacht, er ſey lahm
an den Fuͤßen, und daher genoͤthiget, alle
Abende Arzeney einzunehmen. Dieſer Urſa-
che wegen hatte er die Befreyung erhalten,
daß er, es mochten fuͤr Geſchaͤffte vorfallen,
welche ſie wollten, nach der neunten Tages-
ſtunde* nicht nach Hofe berufen wurde; und
ſolchergeſtalt hatte er die Freyheit, wenn es
ihm beliebte, ſich bis Mitternacht guͤtlich zu
thun. Nachdem er von ſeinem Weßiramte
abgeſetzet worden war: ſo wachte ſein muͤ-
ſuͤlmaniſches Gewiſſen auf und fing an, ihn
zu nagen; ſo daß er ſich entſchloß, ſich die
Bußart, die von den Tuͤrken Tewbe genennet
wird, aufzulegen und ſich von dieſem Ge-
traͤnke gaͤnzlich zu enthalten. Allein, wenige
Tage darauf, als er dieſe Enthaltung ange-
fangen hatte, empfand er einen ſehr heftigen
Schmerzen in der Lunge, und ſein ganzer Leib
geſchwall, nicht anders, als wenn er die Wind-
ſucht haͤtte. Die Aerzte verſprachen, ihm
wieder zur Geſundheit zu verhelfen, wenn er
nur ſich ſeines vorigen Getraͤnkes wieder be-
dienen wollte. Er wollte aber lieber ſterben,
[Spaltenumbruch]
als nach angefangener Buße wieder zu ſeiner
vorigen Lebensart zuruͤck kehren: und ſtarb
alſo in ſeinem Landhauſe nicht weit von Tſchor-
luͤ, fuͤnf und dreyßig Tage nach ſeiner Abſet-
zung von dem Weßiramte, und wurde zu Con-
ſtantinopel in einem Tuͤrbe beygeſetzet, das
er ſchon bey ſeinen Lebzeiten zu ſeinem Be-
graͤbniſſe erbauet hatte.
2 Aerebedſchi Ali] Er gelangte bald
hernach zu der Stelle des oberſten Weßirs;
verrichtete aber weder vor noch nach derſel-
ben die mindeſte merkwuͤrdige That, und wur-
de in wenigen Monaten von ſeiner Ehren-
ſtufe wieder herunter geſtuͤrzet. Die Tuͤrken
gaben ihm den Beynamen Aerebedſchi, ent-
weder, weil ſein Vater ein Wagner oder Fuhr-
mann von Kaufmannsguͤtern (dergleichen
Art Leute zu Conſtantinopel Aerebedſchi ge-
nennet werden) geweſen war; oder auch,
weil er wegen ſeiner Dummheit und bloͤden
Verſtandes ſich beſſer zu einem Aerebedſchi,
als zu dem erſten Bedienten des Reichs, ge-
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* das iſt, nach drey Uhr des Nachmittags.
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[619/0731] 21. Aehmed der II 4. Es geſchahe aber nach einem unter den Tuͤrken ſehr ſeltenen Bey- ſpiele, daß derſelbe genoͤthiget war, eben diejenigen Mittel, die die vorigen Weßire angewendet hatten, das Heer zu vermehren, itzo zu ergreifen, um daſ- ſelbe zu vermindern. Denn die Muͤſuͤlmanen waren durch die gluͤckliche Un- ternehmung auf Belgrad beherzt gemacht worden, und kamen von allen Seiten freywillig in ſolcher Menge herbey, daß man vorher niemals ein ſo zahlreiches Heer in dem osmaniſchen Lager geſehen hatte. Als der Weßir dieſes gewahr wurde: ſo befahl er den Paſchen, daß ſie nicht mehr Voͤlker in das Feld brin- gen ſollten, als ihnen zu liefern angeſetzet ſeyen; denn die Muͤſuͤlmanen haben itzo gegen die Gjawr zu fechten, und es ſey ihnen daher kein großes Kriegesheer noͤthig. Im Gegentheil ſey nicht ohne Urſache zu befuͤrchten, weil dieſelben, ehe ſie Ofen erreichten, einen langen Strich durch des Feindes Land ziehen muͤß- ten: ſie moͤchten Mangel an Lebensmitteln bekommen und davon Unge- mach haben moͤchte, denſelben zu trinken: ſo hatte er dem Sultane weis gemacht, er ſey lahm an den Fuͤßen, und daher genoͤthiget, alle Abende Arzeney einzunehmen. Dieſer Urſa- che wegen hatte er die Befreyung erhalten, daß er, es mochten fuͤr Geſchaͤffte vorfallen, welche ſie wollten, nach der neunten Tages- ſtunde * nicht nach Hofe berufen wurde; und ſolchergeſtalt hatte er die Freyheit, wenn es ihm beliebte, ſich bis Mitternacht guͤtlich zu thun. Nachdem er von ſeinem Weßiramte abgeſetzet worden war: ſo wachte ſein muͤ- ſuͤlmaniſches Gewiſſen auf und fing an, ihn zu nagen; ſo daß er ſich entſchloß, ſich die Bußart, die von den Tuͤrken Tewbe genennet wird, aufzulegen und ſich von dieſem Ge- traͤnke gaͤnzlich zu enthalten. Allein, wenige Tage darauf, als er dieſe Enthaltung ange- fangen hatte, empfand er einen ſehr heftigen Schmerzen in der Lunge, und ſein ganzer Leib geſchwall, nicht anders, als wenn er die Wind- ſucht haͤtte. Die Aerzte verſprachen, ihm wieder zur Geſundheit zu verhelfen, wenn er nur ſich ſeines vorigen Getraͤnkes wieder be- dienen wollte. Er wollte aber lieber ſterben, als nach angefangener Buße wieder zu ſeiner vorigen Lebensart zuruͤck kehren: und ſtarb alſo in ſeinem Landhauſe nicht weit von Tſchor- luͤ, fuͤnf und dreyßig Tage nach ſeiner Abſet- zung von dem Weßiramte, und wurde zu Con- ſtantinopel in einem Tuͤrbe beygeſetzet, das er ſchon bey ſeinen Lebzeiten zu ſeinem Be- graͤbniſſe erbauet hatte. ² Aerebedſchi Ali] Er gelangte bald hernach zu der Stelle des oberſten Weßirs; verrichtete aber weder vor noch nach derſel- ben die mindeſte merkwuͤrdige That, und wur- de in wenigen Monaten von ſeiner Ehren- ſtufe wieder herunter geſtuͤrzet. Die Tuͤrken gaben ihm den Beynamen Aerebedſchi, ent- weder, weil ſein Vater ein Wagner oder Fuhr- mann von Kaufmannsguͤtern (dergleichen Art Leute zu Conſtantinopel Aerebedſchi ge- nennet werden) geweſen war; oder auch, weil er wegen ſeiner Dummheit und bloͤden Verſtandes ſich beſſer zu einem Aerebedſchi, als zu dem erſten Bedienten des Reichs, ge- ſchicket haͤtte. Wunderbare Geſchicklichkeit des Weßirs, ein Kriegesheer auf- zurichten. * das iſt, nach drey Uhr des Nachmittags. 4 J 2

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/731>, abgerufen am 25.11.2024.