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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Teökeöli wird
aus Siebenbür-gen vertrieben.
54.

Ehe er sich aber noch in seinem Fürstenthume festsetzen konnte: so
ging der Prinz von Baden, der willens gewesen war Belgrad zu entsetzen,
nach erhaltener Zeitung, daß diese Stadt verloren sey, mit seinen Völkern in
Siebenbürgen, eroberte daselbst verschiedene Städte, und bemühete sich, den
aufrührischen Fürsten zu Paren zu treiben. Dieser aber, als er von dessen An-
zuge Nachricht erhält, trauet seinen Kräften so wenig zu, daß er Seben* frey-
willig verläßt, und wieder in die Türkey fliehet; daraus er nach der Zeit sich
niemals wieder gewaget hat, zurück zu kehren, oder seine eingebüßten Länder
wieder zu erobern.

Der König von
Polen dringet in
Moldau, und
nimmt Sorokaein.
55.

Im eilften Monate dieses Jahres bringet endlich der König in Po-
len seine Truppen gleichfals ins Feld, gehet über den Dnjester, und dringet mit
denselben in Moldau ein. Weil aber Kantemir, der damalige Fürst des Lan-
des, in den vorigen Feldzügen erfahren hatte, wie beschwerliche Gäste die Polen
seyen: so verbietet er den Einwohnern unter schwerer Strafe, ihnen einige
Früchte zu verkaufen oder zuzuführen. Darauf bringet der Hunger, dieser
grimmige Feind sorgloser Leute, das Heer in solche Noth, daß der König, der
bereits bey Stephanasti über den Prut gegangen war, genöthiget ist, einige von
seinen Truppen zurück zu senden, um zu versuchen, ob sie nicht von andern Or-
ten her Lebensmittel auftreiben könnten. Diese Truppen fallen unversehens
Soroka an, eine Stadt an dem Dnjester; und weil sie bemerken, daß sie keine
Besatzung hat sich zu wehren, hingegen voll von Kriegesvorrathe ist: so neh-
men sie dieselbe ohne den mindesten Widerstand ein, lassen eine starke Besatzung
darinnen, und kehren mit den Lebensmitteln in das Lager des Königes zurück.

[Spaltenumbruch]
26 sich den Tatarn .. ergaben]
Es wird kaum in der ganzen Geschichte ein
Beyspiel zu finden seyn, daß iemals ein Krie-
gesheer, ohne zur Schlacht zu kommen, der-
gestalt zerstreuet und in solches Elend wäre
gebracht worden, als damals dem polnischen
Heere wiederfuhr: ungeachtet die Geschicht-
schreiber dieses Volkes es sehr sorgfältig zu ver-
bergen suchen und ihres Königes Siege erhe-
ben. Ich habe selbst mit meinen Augen
einige Tatarn gesehen, die auf Beute ausge-
[Spaltenumbruch]
gangen waren, und deren ieder sieben Polen
gefesselt mit zurück brachte. Als ich sie fragte;
wie sie doch sich solcher grimmigen Feinde
hätten bemächtigen können: so antworteten
sie mir mit Lächeln; es sey dieses kein größe-
res Wunder, als wann man in Budschak sehe,
daß ein Aejn* sieben Kamele treibe und lenke.
Denn die Polen seyen vom Hunger dergestalt
entkräftet, daß sie itzo nicht grimmiger seyen,
als die Kamele, und lieber bey den Tatarn
von Grütze leben wollten, als daß sie sich
56. Nach
* Hermannstadt.
* ein Hirt, Hüter.
Osmaniſche Geſchichte
Teoͤkeoͤli wird
aus Siebenbuͤr-gen vertrieben.
54.

Ehe er ſich aber noch in ſeinem Fuͤrſtenthume feſtſetzen konnte: ſo
ging der Prinz von Baden, der willens geweſen war Belgrad zu entſetzen,
nach erhaltener Zeitung, daß dieſe Stadt verloren ſey, mit ſeinen Voͤlkern in
Siebenbuͤrgen, eroberte daſelbſt verſchiedene Staͤdte, und bemuͤhete ſich, den
aufruͤhriſchen Fuͤrſten zu Paren zu treiben. Dieſer aber, als er von deſſen An-
zuge Nachricht erhaͤlt, trauet ſeinen Kraͤften ſo wenig zu, daß er Seben* frey-
willig verlaͤßt, und wieder in die Tuͤrkey fliehet; daraus er nach der Zeit ſich
niemals wieder gewaget hat, zuruͤck zu kehren, oder ſeine eingebuͤßten Laͤnder
wieder zu erobern.

Der Koͤnig von
Polen dringet in
Moldau, und
nimmt Sorokaein.
55.

Im eilften Monate dieſes Jahres bringet endlich der Koͤnig in Po-
len ſeine Truppen gleichfals ins Feld, gehet uͤber den Dnjeſter, und dringet mit
denſelben in Moldau ein. Weil aber Kantemir, der damalige Fuͤrſt des Lan-
des, in den vorigen Feldzuͤgen erfahren hatte, wie beſchwerliche Gaͤſte die Polen
ſeyen: ſo verbietet er den Einwohnern unter ſchwerer Strafe, ihnen einige
Fruͤchte zu verkaufen oder zuzufuͤhren. Darauf bringet der Hunger, dieſer
grimmige Feind ſorgloſer Leute, das Heer in ſolche Noth, daß der Koͤnig, der
bereits bey Stephanaſti uͤber den Prut gegangen war, genoͤthiget iſt, einige von
ſeinen Truppen zuruͤck zu ſenden, um zu verſuchen, ob ſie nicht von andern Or-
ten her Lebensmittel auftreiben koͤnnten. Dieſe Truppen fallen unverſehens
Soroka an, eine Stadt an dem Dnjeſter; und weil ſie bemerken, daß ſie keine
Beſatzung hat ſich zu wehren, hingegen voll von Kriegesvorrathe iſt: ſo neh-
men ſie dieſelbe ohne den mindeſten Widerſtand ein, laſſen eine ſtarke Beſatzung
darinnen, und kehren mit den Lebensmitteln in das Lager des Koͤniges zuruͤck.

[Spaltenumbruch]
26 ſich den Tatarn .. ergaben]
Es wird kaum in der ganzen Geſchichte ein
Beyſpiel zu finden ſeyn, daß iemals ein Krie-
gesheer, ohne zur Schlacht zu kommen, der-
geſtalt zerſtreuet und in ſolches Elend waͤre
gebracht worden, als damals dem polniſchen
Heere wiederfuhr: ungeachtet die Geſchicht-
ſchreiber dieſes Volkes es ſehr ſorgfaͤltig zu ver-
bergen ſuchen und ihres Koͤniges Siege erhe-
ben. Ich habe ſelbſt mit meinen Augen
einige Tatarn geſehen, die auf Beute ausge-
[Spaltenumbruch]
gangen waren, und deren ieder ſieben Polen
gefeſſelt mit zuruͤck brachte. Als ich ſie fragte;
wie ſie doch ſich ſolcher grimmigen Feinde
haͤtten bemaͤchtigen koͤnnen: ſo antworteten
ſie mir mit Laͤcheln; es ſey dieſes kein groͤße-
res Wunder, als wann man in Budſchak ſehe,
daß ein Aejn* ſieben Kamele treibe und lenke.
Denn die Polen ſeyen vom Hunger dergeſtalt
entkraͤftet, daß ſie itzo nicht grimmiger ſeyen,
als die Kamele, und lieber bey den Tatarn
von Gruͤtze leben wollten, als daß ſie ſich
56. Nach
* Hermannſtadt.
* ein Hirt, Huͤter.
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[610/0720] Osmaniſche Geſchichte 54. Ehe er ſich aber noch in ſeinem Fuͤrſtenthume feſtſetzen konnte: ſo ging der Prinz von Baden, der willens geweſen war Belgrad zu entſetzen, nach erhaltener Zeitung, daß dieſe Stadt verloren ſey, mit ſeinen Voͤlkern in Siebenbuͤrgen, eroberte daſelbſt verſchiedene Staͤdte, und bemuͤhete ſich, den aufruͤhriſchen Fuͤrſten zu Paren zu treiben. Dieſer aber, als er von deſſen An- zuge Nachricht erhaͤlt, trauet ſeinen Kraͤften ſo wenig zu, daß er Seben * frey- willig verlaͤßt, und wieder in die Tuͤrkey fliehet; daraus er nach der Zeit ſich niemals wieder gewaget hat, zuruͤck zu kehren, oder ſeine eingebuͤßten Laͤnder wieder zu erobern. 55. Im eilften Monate dieſes Jahres bringet endlich der Koͤnig in Po- len ſeine Truppen gleichfals ins Feld, gehet uͤber den Dnjeſter, und dringet mit denſelben in Moldau ein. Weil aber Kantemir, der damalige Fuͤrſt des Lan- des, in den vorigen Feldzuͤgen erfahren hatte, wie beſchwerliche Gaͤſte die Polen ſeyen: ſo verbietet er den Einwohnern unter ſchwerer Strafe, ihnen einige Fruͤchte zu verkaufen oder zuzufuͤhren. Darauf bringet der Hunger, dieſer grimmige Feind ſorgloſer Leute, das Heer in ſolche Noth, daß der Koͤnig, der bereits bey Stephanaſti uͤber den Prut gegangen war, genoͤthiget iſt, einige von ſeinen Truppen zuruͤck zu ſenden, um zu verſuchen, ob ſie nicht von andern Or- ten her Lebensmittel auftreiben koͤnnten. Dieſe Truppen fallen unverſehens Soroka an, eine Stadt an dem Dnjeſter; und weil ſie bemerken, daß ſie keine Beſatzung hat ſich zu wehren, hingegen voll von Kriegesvorrathe iſt: ſo neh- men ſie dieſelbe ohne den mindeſten Widerſtand ein, laſſen eine ſtarke Beſatzung darinnen, und kehren mit den Lebensmitteln in das Lager des Koͤniges zuruͤck. 56. Nach ²⁶ ſich den Tatarn .. ergaben] Es wird kaum in der ganzen Geſchichte ein Beyſpiel zu finden ſeyn, daß iemals ein Krie- gesheer, ohne zur Schlacht zu kommen, der- geſtalt zerſtreuet und in ſolches Elend waͤre gebracht worden, als damals dem polniſchen Heere wiederfuhr: ungeachtet die Geſchicht- ſchreiber dieſes Volkes es ſehr ſorgfaͤltig zu ver- bergen ſuchen und ihres Koͤniges Siege erhe- ben. Ich habe ſelbſt mit meinen Augen einige Tatarn geſehen, die auf Beute ausge- gangen waren, und deren ieder ſieben Polen gefeſſelt mit zuruͤck brachte. Als ich ſie fragte; wie ſie doch ſich ſolcher grimmigen Feinde haͤtten bemaͤchtigen koͤnnen: ſo antworteten ſie mir mit Laͤcheln; es ſey dieſes kein groͤße- res Wunder, als wann man in Budſchak ſehe, daß ein Aejn * ſieben Kamele treibe und lenke. Denn die Polen ſeyen vom Hunger dergeſtalt entkraͤftet, daß ſie itzo nicht grimmiger ſeyen, als die Kamele, und lieber bey den Tatarn von Gruͤtze leben wollten, als daß ſie ſich entweder * Hermannſtadt. * ein Hirt, Huͤter.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/720>, abgerufen am 22.11.2024.